In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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Das Projekt „Blindspots in Future Narratives - Decolonial Futures“ untersucht im Rahmen des Seminars Zukunftsforschung, wie Zukunft durch Künstliche Intelligenz (KI) dargestellt wird und welche blinden Flecken in diesen Erzählungen existieren. Es hinterfragt die hegemonialen Strukturen, die durch KI-generierte Zukunftsbilder fortgeschrieben werden, und beschäftigt sich mit der Dekolonialisierung von Zukunftsvorstellungen.
Mit Hilfe des Bildgenerierungstools Midjourney wurde untersucht, wie Zukunftsbilder je nach Sprache und Region geformt werden. Dabei zeigte sich, dass westliche Vorstellungen von Fortschritt und Modernität dominieren, während alternative oder indigene Zukunftsvisionen oft unsichtbar bleiben. Die Ausstellung als zentrales Element des Projekts schafft einen partizipativen Raum für Reflexion und kritische Diskussion, um diese Muster zu hinterfragen und neue Erzählungen zu entwickeln.
Zukunft ist nicht neutral, sondern von bestehenden Machtverhältnissen geprägt. Um eine gerechtere und nachhaltigere Zukunft zu gestalten, müssen diese hegemonialen Muster aktiv hinterfragt und aufgebrochen werden.
Zukunft ist weit mehr als das, was vor uns liegt – sie ist ein Raum voller Möglichkeiten, in dem Macht, Ideologien und kollektive Imagination aufeinandertreffen. Wie wir über die Zukunft denken, entscheidet nicht nur über unsere Träume, Hoffnungen und Ängste, sondern auch über unsere Gegenwart. Wer die dominanten Narrative über Zukunft prägen kann, beeinflusst, wie wir heute handeln und welche Alternativen wir uns überhaupt vorstellen können.
Midjourney ist eines der umfangreichsten (kostenpflichtigen) Werkzeuge zur textbasierten Generierung von Bildern. Die erste Version wurde im Februar 2022 veröffentlicht, die aktuelle Version 6.1 im Juli 2024. Über eine Zahlung von 9$ erhalten Nutzer:innen, in einem Zeitraum von 30 Tagen 3:20 Stunden der von Midjourney zur Verfügung gestellten Rechenleistung. Weitere Rechenleistung kann zu jeder Zeit erworben werden.
Für das Projekt haben wir zunächst den Begriff „Zukunft“ und danach „eine postkoloniale Stadt“ als Prompt verwendet. Unser Interesse bestand darin, im ersten Schritt herauszufinden, inwiefern die generierten Bilder sich unterscheiden oder auch ähneln; und in einem zweiten Schritt zu erforschen, inwiefern derselbe Prompt in verschiedenen Sprachen von Midjourney interpretiert und umgesetzt wird. Die von uns verwendeten Sprachen bilden nur einen Teil der Möglichkeiten ab. Nichtsdestotrotz haben wir versucht einen möglichst großen Sprachraum abzubilden. Gewählt haben wir Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Arabisch, Farsi, Swahili, Russisch und Mandarin. Darüber hinaus haben wir „a future city in […]“ und dann, auf Grundlage von 5 Kontinenten (Europa, Amerika, Afrika, Asien und Ozeanien) und „a future city in a postcolonial world“ eine weitere Bilderreihe generiert und hier dargestellt.
Im Folgenden haben wir jeweils fünf Begriffe geprompted, aus denen von Midjourney jeweils vier Bilder generiert wurden. Zu jedem Prompt, in jeder Sprache existieren also 20 Bilder.
Aus den 20 Bildern haben wir aus Platzgründen, subjektiv, 6 Bilder ausgewählt und gedruckt, um sie für die nachfolgende Diskussion zugänglich, d.h. erfahrbar, zu machen.
Auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Systeme wie Midjourney sind in ihrer Unterhaltung und Anwendung sehr ressourcen- und kostenintensiv. Sowohl der Energie als auch Wasserverbrauch sind unsichtbar oder werden unsichtbar gemacht. Auch deshalb haben wir uns entschieden, die in Anspruch genommenen Ressourcen des Projekts mit abzubilden.
Im Rahmen dieses Projektes haben wir ungefähr 200 Prompts geschrieben, mit denen insgesamt 800 Bilder generiert wurden. Davon haben wir 156 für die Ausstellung ausgewählt. Die Nutzung von bildgenerierender KI ist eine Form der energieintensivsten KI-Anwendungen. Bei Midjourney sind für die Generierung dieser Bilder 3 Stunden und 20 Minuten Rechenzeit beansprucht worden, die sich auf die kostenpflichtige Nutzung der Hardware von Midjourney, bezieht.
Der genaue Ressourcenverbrauch in der Herstellung der benötigten Hardware, vor allem aber der Energieverbrauch für das benötigte Training und die anschließende Nutzung, sind nicht öffentlich. Nichtsdestotrotz rücken diese Aspekte im Kontext der Nutzung von generativen KI-Modellen verstärkt in den Fokus.
„Generative tasks are more energy- and carbon-intensive compared to discriminative tasks. […] the most energy- and carbon-intensive tasks are those that generate new content: text generation, summarization, image captioning, and image generation. Tasks involving images are more energy- and carbon-intensive compared to those involving text alone. More specifically, tasks involving predicting categories (text-to-category, image-to-category) are less energy-intensive than those involving generating images (e.g. text-to-image), with those involving text between the two. “
Auszug aus: Luccioni, A. S., Jernite, Y., & Strubell, E., 2024
Im Interesse eines partizipatorischen Forschungsansatz, haben wir uns für das Format der Ausstellung entschieden, um dem Ansatz zu folgen, dass die Verhandlung von Zukunft und Zukunftsvorstellungen ein offener, partizipativer Prozess sein sollte, der nicht in Konzepten durch wenige erarbeitet wird. So könnte die Ausstellung zum Beispiel Ergebnis einer partizipativen Ausarbeitung sein, die in der visuellen Form der Öffentlichkeit vorgestellt wird und Raum für Diskussion und Austausch eröffnet. Dieser Austausch wird wiederum von den Forschenden festgehalten und in weitere Forschungsprozesse integriert.
Der Begriff Partizipation leitet sich aus dem lateinischen „participatio“ ab und bedeutet heute wie damals: Beteiligung, Teilnahme, Mitwirkung, Mitbestimmung. Sehr basal verstehen wir darunter gegenwärtig das Teilhaben an gesellschaftlichen und politischen Prozessen und Entscheidungen. Dies erfolgt nicht zum Selbstzweck, sondern in Hinblick auf eine Anpassung demokratischer Prozesse, an zunehmende Unsicherheit durch Krisenhaftigkeit einerseits und die Möglichkeiten durch zunehmende Vernetzung andererseits (Vgl Michalski et al 2001). Wie das Design dieser Beteiligungsprozesse aussieht, unterscheidet sich von Staat zu Staat, von Gemeinde zu Gemeinde, je nach Themenstellung. Ausstellungen identifizieren wir dabei als ein niedrigschwelliges Format, um Themen im öffentlichen Raum zu platzieren und zur Verhandlung zu stellen. Weitere Praxisbeispiele zu unterschiedlichsten Partizipationsprozesse in ganz Europa finden sich in etwa auf der Seite https://partizipation.at/.
Hier sind die ausgewählten Bilder zu den Prompts:
Jedes der Bilder gibt die kulturell und architektonisch geprägten Vorstellung, die die KI mit den jeweiligen Sprachräumen oder Kontinenten verbindet. Dabei werden deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Kultur- und Sprachräumen deutlich.
Es finden sich Vorstellungen vorherrschender Weltbilder und Machthierarchien in der Darstellung der Konzepte wieder. Es gibt selten Darstellungen auf denen viele Menschen zu sehen sind, häufig sind die Bilder Menschenleer oder Individualisiert. Während der europäische Sprachraum durch Innovation, Technologie und Weltallbilder geprägt ist, werden die anderen Sprach- und Kulturräume verstärkt träumerisch dargestellt, verbunden mit dem Aufgreifen kultureller Stereotypen.
Interessant ist auch das Verhältnis zwischen Stadt/Mensch und Natur auf den Darstellungen, sowie die geschlechterspezifischen Darstellungen.
Im nachfolgenden Teil werden wir uns mit Erkenntnissen aus Sozialwissenschaftlicher Forschung auseinandersetzen, um die Strukturen und (re)preoduzierten Bilder in dekoloniale Theoriearbeit einzuordnen.
In der Beschäftigung mit Zukunftsbildern müssen wir uns zwangsläufig mit dem Begriff der Imagination oder auch Vorstellung beschäftigen. Dabei spielt auch die Frage nach Originalität eine Rolle, die sich verschieden ausdrücken kann und generell auch umstritten ist. So stellen bspw. neurowissenschaftliche Forschungen heraus, dass menschliche Kreativität oft nicht mehr ist als eine Rekollektion von Erfahrungen und Erlebnissen, die in einem „kreativen Prozess“ neu zusammengefügt werden. Es handelt sich dabei nur selten um „echte“ Originalität im Sinne etwas wirklich „Neues“ zu schaffen.
Imagination kann aber ihrerseits auch als die Fähigkeit verstanden werden sich einzelne Objekte, Zustände, Ideen oder ganze Welten vorstellen zu können, die möglichst wenig mit dem Ist-Zustand zu tun haben. Auch aufgrund unserer Erfahrungen, Werte, aber auch (intellektuellen) Prägungen oder Denksysteme ist der Horizont der Imagination aber nicht unbegrenzt. Eher wird Bekanntes reproduziert, als dass es infrage gestellt wird und in Zukunft andere Entscheidungen getroffen werden können. Unabhängig davon, ob „echte“ Originalität überhaupt möglich ist oder sein kann, muss jeder Prozess der Imagination mit der Frage beginnen, was außerhalb des eigenen Vorstellungshorizont liegen könnte. Sich dessen konstant bewusst zu machen ist insofern notwendig, als das die Wahrscheinlichkeit verringert wird (möglicherweise ungewollte) Objekte, Zustände, Ideen oder auch ganze Welten in Zukunft zu reproduzieren.
Die Imagination und das sich ständig vollziehende und aktive „world-building“ hängen von der Narration ab. Menschen sind empfänglich für Geschichte und diese selbst prägen, wie die Realität wahrgenommen und erklärt wird. Wenn Imagination darüber entscheidet was möglich ist, dann beschreiben Erzählungen (Narrative), was Sinn ergibt und was nicht.
Populäre Zukunftsbilder, die den Anspruch verfolgen, Visionen für das Leben in der Zukunft zu entwerfen, sind seit der Industrialisierung vor allem von technischer Innovation geprägt. Wir alle kennen die Bilder und Träume von glänzenden Städten mit fliegenden Fahrzeugen, automatisierter Arbeit, oder auch die Realisierung von menschelichen Leben auf dem Mars. Die Aussicht auf ein gutes Leben in der Zukunft lässt sich in diesen Bildern hauptsächlich durch Technologie realisieren. Für die Erlangung dieser Zukunft werden für (soziale, ökologische, ökonomische) Probleme im Hier und Jetzt vor allem an die Möglichkeiten technischen Lösungen geglaubt.
Der positive Technikbezug lässt sich in Europa auf ein mechanistisches Weltbild zurückführen, das mit der Europäischen Aufklärung und der Rationalisierung der Außenwelt (alles messbar, alles berechenbar) aufkam. Das mechanistische Weltbild wurde in Europa mit Descarte's Meditationes de prima philosophia, 1641 realitätsprägend und hatte kulturhistorisch einen starken Einfluss auf weitere Denker der Europäischen Aufklärung, wie Thomas Hobbes (Politik), David Hume (Philosophie), J. F. Herbart (Psychologie / Pädagogik). Nachdem durch dieses Weltbild die Welt, die Natur, der Staat und das gesamte Selenleben nach mechanischen Regeln erklärt wurden, legte F.W. Taylor mit seiner mechanistischen Theorie zur Betriebsführung den Grundstein für den Taylorismus, der Fertigung von Produkten in Fließbandproduktion.
The Rise of modern Science, a mechanistic and physical world-view, was based on the killing of nature as a living organism and it's transformation into a huge reservoir of „natural resources“ or „matter“, which could be measured, analysed and synthesized by Man into his new machines by which he could make himself independent from Nature.
Aus: Maria Mies, Patriarchy and Accumulation on a World Scale, 1986
Auch in den Zukunftsbildern der MAGA (Make Amaerica Great Again) Bewegung und Ihrer Philosophie des Longterminismus werden die Ideen der Technoutopie gekoppelt mit dem Recht des Stärkeren stark deutlich. Aber auch in unseren vorliegenden KI generierten Zukunftsbildern und bekannten Bildern in der Öffentlichkeit, geprägt durch einflussreiche Firmen und staatliche Ministerien, werden die Tendenzen der Technologischen Utopien deutlich.
Auch in unseren Prompts zu Zukunft in 'europäischen Sprachen' sind die Symbole klar sichtbar:
Die Ästhetik des Leben auf dem All, weiter entwickelte technische Innovationen, die das Leben und Körper prägen, im urbanen Ambiente mit massiver Architektur.
Warum aber fällt es uns heutzutage so schwer eine positive Zukunft zu imaginieren? Und wieso sind positive Zukunftsvisionen heute meist eine Fortschreibung des Status Quo mit fortschrittlicher Technik? Oder anders gefragt: Is there no alternative?
Der Kulturtheoretiker Mark Fisher zeigt in seiner Analyse des kapitalistischen Realismus, wie der Kapitalismus unsere Vorstellungskraft dominiert und das Denkbare prägt. Mit der Aussage „Es ist einfacher, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“ (Fisher : 8) verweist Fisher auf die Enge unserer kollektiven Imagination. Der Kapitalismus hat nicht nur unsere Gegenwart durchdrungen, sondern auch unsere Vorstellungen von Zukunft besetzt.
In diesem scheinbar alternativlosen Raum werden potenziell transformative Visionen entschärft oder in marktfähige Formen umgewandelt, bevor sie überhaupt entstehen können. Die Folge: Unsere Fähigkeit, radikale, utopische Zukunftsentwürfe zu denken, wird systematisch eingeschränkt.
So erscheint es uns als seien wir am Ende der Geschichte angelangt. Das Scheitern utopischer Gesellschhaftskonzepte wie des Kommunismus hat zu einem allgemeinen Misstrauen geführt und utopische Vorstellungen werden als gefährlich abgewertet. Fisher beschreibt, wie utopische Ideen diskreditiert werden, indem sie mit historischen Katastrophen wie autoritäten Regimen assoziiert werden. Dies hat zu einem Verlust des utopischen Imaginären geführt, was sich beispielsweise darin ausdrückt, dass eher Nostalgische als Utopische Momente popkulturell stattfinden. So dominieren nostalgische Rückgriffe auf frühere Zeiten anstatt visionäre Blicke in die Zukunft. Kulturell wird dies in Retro-Wellen in Musik und Film deutlich. Fisher schreibt hierzu:
„Diese Malaise, das Gefühl, dass es nichts Neues gibt, ist selbst nicht neu. Wir befinden uns am notorischen „Ende der Geschichte“, das Francis Fukuyama nach dem Fall der Berliner Mauer verkündet hat. Fukuyamas These, dass die Geschichte mit dem liberalen Kapitalismus auf ihrem Höhepunkt angelangt sei (Fukuyama 1992), mag auf breiter Front verspottet worden sein, aber auf der Ebene des kulturellen Unbewussten ist sie weitestgehend akzeptiert und sogar übernommen worden.“
Diese dominante Erzählung, die mit Magret Thatchers „There is no alternative“ auf den Punkt gebracht wird, verstellt den Blick für progressive Zukünfte und hat Utopien nahezu verdrängt. So zeigt uns auch die KI Zukunft vor allem als Fortschreibung der Gegenwart. Fortschritt bedeutet hier, bessere Technologien oder ausgefallenere Architektur, fundamentale Systemveränderungen oder dekoloniale Städte sind kaum zu finden.
In Orientalismus (1978) beschäftigt sich Edward Said mit der Wahrnehmung „des Westens“ vom „Orient“ bzw. ihrem Verhältnis zueinander. Das Hauptaugenmerk seiner Untersuchungen liegt dabei auf der Repräsentation des „Orients“ in einer eurozentristischen Welt. Geographisch wird „der Orient“ mehr oder weniger alles außerhalb des Europäischen bzw. westlichen Kosmos verstanden.
Mindestens drei Aspekte sind für das Verständnis des Konzepts’ Orientalismus notwendig: Orientalismus als Disziplin durch die der Orient als Feld des Lernens, der Entdeckung und auch der Praxis zugänglich gemacht wird und als Rahmen, in dem Äußerungen über das Forschungsobjekt „Orient“ überhaupt erst möglich werden (1).
Als nächstes soll Orientalismus als geregelte Form des Schreibens, der Vorstellung oder auch des Studiums begriffen werden. Die weiterhin durch - auf den Orient zugeschnittene - Herangehensweisen, Perspektiven und ideologisch bedingte Ressentiments eine besondere Art des Forschens und der Lehre, des Verwaltens und der (sprachlichen) Konnotation hervorbringt (2). Darüber hinaus beschreibt Orientalismus ein „system of ideological fictions“ (3).
Dekolonialisierung ist ein Prozess des Abbaus von Strukturen, Praktiken und Wissenssystemen, die aus dem Kolonialismus hervorgegangen sind. Sie verfolgen das Ziel, Macht neu zu verteilen und die Rechte, sowie die Erzählungen, historisch marginalisierter Gemeinschaften wiederherzustellen. Einen besonderen Teil der Praxis ist es, eurozentrische Rahmenbedingungen, die die Wissensproduktion definiert haben, zu hinterfragen und zu transformieren, um Systeme zu fördern, die die kulturelle, soziale und politische Vielfalt der Welt widerspiegeln.
Die dekoloniale Theorie greift Konzepte wie die „Kolonialität des Wissens“ auf, die zeigen, wie koloniale Strukturen die Art und Weise geprägt haben, wie Wissen verstanden und organisiert wird. Dekolonisierung bedeutet nicht nur die Überprüfung offizieller Geschichtsschreibungen, sondern auch die Integration von Stimmen und Praktiken, die zum Schweigen gebracht oder ausgeschlossen wurden.
Die Dekolonisierung von Städten umfasst nicht nur die Entfernung historischer Überbleibsel des Kolonialismus, sondern auch die Auseinandersetzung mit Narrativen und Machtstrukturen, die die „Kolonialität“ in der Gegenwart fortschreiben. Anglozentrische Perspektiven neigen dazu, ein „modernes“ Stadtmodell durchzusetzen, das kulturelle Vielfalt und lokale Wissenssysteme ignoriert und dadurch koloniale Ungleichheiten und Hierarchien reproduziert.
Aus dieser Perspektive betrachtet, ist Dekolonisierung nicht nur ein technischer Prozess, sondern eine epistemische Transformation. Ziel ist es, die historisch zum Schweigen gebrachten Stimmen in der Stadtplanung und Wissenschaft anzuerkennen und zu stärken. Die urbane Dekolonisierung ist somit kein bloß symbolischer Akt, sondern eine Einladung, unsere Städte neu zu denken und uns von reduktionistischen Visionen zu lösen, die die globale Vielfalt einem einzigen Fortschrittsideal unterordnen.
„The predetermination of future(s) imposed by dominant epistemologies is one of the most prevalent and fundamentally problematic forms of colonial legacy that is challenged by decolonial literature.”
Kolonialisierung wird hauptsächlich rückblickend als Geschichte, manchmal in der Gegenwart und nur sehr selten als Zukunft begriffen. Was passiert ist, kann nicht mehr verändert werden und was passiert, wird in dem Moment, indem wir uns seiner Gewahr werden, schon Geschichte. Was noch nicht passiert ist, sondern erst passieren kann, bleibt offen.
Was aber, wenn das, was „passieren kann“ zu einer ewigen Fortschreibung dessen, was passiert ist und passiert, wird? Wenn die Kolonialisierung in Vergangenheit und Gegenwart sich in der Zukunft fortschreibt? Aus einer kolonialisierten Perspektive sind nicht nur die Körper gefangen, sondern befindet sich auch die „imagination in captivity“. Zukunftsbilder sind in der Gegenwart wirkmächtig. Auch deshalb ist es notwendig sie von ihren kolonialen Ketten zu befreien. Nur wenn wir die Zukunft befreien, kann die unendliche Fortschreibung der Ungerechtigkeit verhindert werden.
In von künstlicher Intelligenz (KI) generierten Bildern zeigen Darstellungen von „Städten der Zukunft“ oder futuristischen Gesellschaften oft eine stark eurozentrische und hegemoniale Perspektive. Dieses Phänomen lässt sich durch Antonio Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie analysieren. Gramsci beschreibt Hegemonie als eine Form des kulturellen und ideologischen Führungsanspruchs, bei dem die Werte und Normen der dominanten Gruppen als universell und selbstverständlich akzeptiert werden.
Die herrschende Klasse ist in der Lage, ihre Macht aufrechtzuerhalten und zu legitimieren, nicht nur durch Zwang sondern durch die Kontrolle von Ideolgie und Kultur. Diese Hegemonie wird laut Gramsci als ein Weltbild reproduziert und diese Sichtweise wird als normal und natürlich legitimiert. Um diese Idee einer “natürlichen” Welt zu verbreiten, nutzt die herrschende Klasse sogenannte organische Intellektuelle. Diese helfen dabei, die Botschaft der herrschenden Klasse an den Rest der Gesellschaft zu übermitteln.
Wenn KI-Systeme aufgefordert werden, Zukunftsbilder zu erzeugen, basieren diese oft auf westlichen Idealen von Fortschritt und Modernität: glänzende Wolkenkratzer, High-Tech-Infrastruktur und eine Ästhetik, die lokale, indigene oder alternative Zukunftsvisionen ignoriert. Dieser Bias ist nicht zufällig, sondern resultiert aus den Daten, mit denen KI trainiert wird – Daten, die hauptsächlich aus dem globalen Norden stammen und bestehende hegemoniale Narrative reproduzieren.
Die kulturelle Hegemonie beeinflusst jedoch nicht nur die generierten Bilder, sondern auch, wie diese interpretiert werden. Wiederholte Darstellungen eines „westlichen Fortschritts“ fördern eine globale Vorstellung von Zukunft, die dekoloniale Alternativen – basierend auf sozialer Gerechtigkeit, kultureller Vielfalt und Nachhaltigkeit – systematisch ausschließt. Dies verstärkt einen Kreislauf, in dem dominante Narrative ihren Machtanspruch festigen, während marginalisierte Perspektiven verdrängt werden.
Auf diese Weise wird in der modernen Zeit weiterhin durch solche Mechanismen die Vorstellung reproduziert, wer und was als Repräsentation des Modernen gilt und was als vielversprechende Zukunft betrachtet werden soll. Die Erzählung der Städte der Zukunft liegt weiterhin in den Händen von Akteuren, die die Macht innehaben und das wissenschaftliche und reflektierende Denken kontrollieren.
Begriff Othering bezeichnet den Prozess, bei dem eine soziale oder kulturelle Gruppe als “die Anderen” definiert und behandelt wird, im Gegensatz zu einem “Wir”. Dieses Konzept beinhaltet die Entmenschlichung und den Ausschluss der als anders wahrgenommenen Gruppe, wodurch Ungleichheiten und Machtstrukturen verstärkt werden. Es basiert auf einer symbolischen Konstruktion, in der den “Anderen” negative oder minderwertige Eigenschaften zugeschrieben werden, weil sie nicht zur dominanten Norm gehören.
Die Idee der “othering” (Otredad) entsteht aus der sozialen Natur des Menschen: Wir sind auf die Kooperation mit anderen angewiesen, um zu interagieren und zu überleben. Wenn sich jedoch eine Gruppe von Menschen als “Wir” definiert und die anderen als “die Anderen”, entsteht eine Trennung, eine wahrgenommene Differenz. Diese “Anderen” teilen folglich keine Identität oder Zugehörigkeit mit der dominanten Gruppe.
Das Konzept des Othering erhält eine negative Konnotation, wenn die Unterschiede (ob real oder imaginär) zwischen Gruppen stigmatisiert werden. Diese Dynamik wird komplexer, wenn sie in einen Kontext mit dominierenden Gruppen und einem Ungleichgewicht in Ressourcen, Gerechtigkeit und Empathie eingebettet ist.
Othering wird oft als eine Haltung verstanden, die die Kulturen untersucht, die in den Randbereichen der Gesellschaft existieren. Diese Kulturen werden aus einer universalen Perspektive als “nicht gleichwertig” betrachtet. In globalen Zusammenhängen werden die “Anderen” häufig als “nicht modern” oder “ weniger entwickelt” bezeichnet oder mit Begriffen wie “non-aligned” oder als Teil der “Dritten Welt” wahrgenommen, was ihre marginalisierte Position weiter festigt.
Unsere Vorstellung von Zukunft ist unweigerlich mit der jeweiligen Vorstellung von Zeit verknüpft. Das lineare Zeitverständnis, das in der westlichen Moderne dominiert, sieht Zeit als fortschreitende Linie, die von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft führt. Diese Perspektive ist eng mit dem Glauben an Fortschritt verbunden. In dieser Idee folgt die menschliche Entwicklung einem zielgerichteten Verlauf, in dem sich in verschiedenen Bereichen wie Wissenschaft, Technik und gesellschaftlicher Entwicklung kontinuierlich verbessert wird.
Diese Form von Fortschrittsmythos ist eng mit der Vorstellung eines Zivilisationsprozesses verknüpft, wie er besonders in der westlichen Moderne formuliert wurde. In einer solchen Annahme übertrifft jede neue Stufe einer Entwicklung die vorherige und führt näher an ein ideales Ziel heran.
Durch das Verständnis einer lineare Abfolge von Zeit und dem damit einhergehenden Mythos von Fortschritt wurde die koloniale Unterdrückung und Ausbeutung ideologisch legitimiert.
Über Jahrhunderte wurde das Bild von Zukunft durch koloniale Perspektiven geprägt, die mit Vorstellungen von Fortschritt und Modernität die Welt in Zentren und Peripherien teilten. Die Gewalt dieser kolonialen Ordnung wirkt(e) nicht nur durch physische Unterdrückung, sondern auch durch die Aneignung von Zeit und Imagination: Der Westen setzte sich selbst als Maßstab der Zukunft und reduzierte andere Kulturen auf Tradition und Vergangenheit.
Auch in den von der KI generierten Bildern schreibt sich diese Erzählung fort. Während in der amerikanischen und europäischen Stadt der Zukunft schnelle Straßen, hohe Häuser und fliegende Technologien dominieren, erinnern die Bilder der afrikanischen Stadt der Zukunft mit viel grün, sandigen Farben und wenig Technologie eher an eine verklärte Vergangenheit. Die postkoloniale Stadt hingegen wird in manchen Bildern fast schon dystopisch dargestellt oder wirkt mit teilweise dargestellten Heißluftballons als Fortbewegungsmittel hochgradig rückwärts gewandt.
Um aus der intellektuellen Monokultur des westlich geprägten Entwicklungsparagdigma zu entkommen, schlägt u.a. Arturo Escobar das Konzept Pluriversaler Zukunftsbilder vor (Vgl. Escobar 2019). Angelehnt an die Forderungen sozialer Bewegungen in Lateinamerika, fordern sie als Teil ihres eigenen Dekolonialisierungsprozess, die Akzeptanz und den Respekt ihrer Existenzen ein, auch wenn sie westlichen Vorstellungen von Entwicklung widersprechen. Anstelle der Zielvorstellung universeller Rechte (und Zukunftsbilder), wird ein Fokus auf die Existenz verschiedener Welt- und Zukunftsbilder, in Respekt zueinander, gelegt.
Anstelle technologische Innovation als Patentlösung drängender ökologischer, sozialer und ökonomischer Herausforderungen anzunehmen, verfolgen vielfältige Ansätze den Bezug auf bestehende Wissensbeständen und Wiederbelebung von Praktiken.
Epistemische Gewalt beschreibt den Umstand, dass lediglich Wissen, das etablierten Diskurse und Perspektiven bedient, gehört wird und als legitim betrachtet wird (Vgl. Hall/Tandon 2017). Perspektiven aus marginalisierten Regionen der Welt (ca. 80%) oder marginalisierten gesellschaftlichen Schichten werden selten im etablierten Wissenschaftlichen Diskurs, der journalistischen Welt oder politischen Entscheidungstischen repräsentiert. Die Sichtbarmachung von anderen Wissen, als jenes das westliche Diskurse und Vorstellungen bedient oder Ihnen entspringt, ist eine Praxis der Widerherstellung epistemischer Gerechtigkeit. Die Veröffentlichung von Wissen außerhalb machtvoller Diskurse oder Räume ist häufig mit Hindernissen verbunden ist. Initiativen wie ‚Whose Knowledge‘ oder ‚Tapestry of Alternatives‘ sind nur einige der unterschiedlichen Initiativen, die sich für die Sichtbarkeit marginalisierter Perspektiven einsetzen und somit auch einen Beitrag zur Pluralisierung von Zukunftsbildern leisten.
Die Stärkung von Bildern anderer Zukunftsvorstellung findet sich vor allem im Bereich der Kunst, Kultur und Science Fiction.
Eine der dekolonialen Arten über Zukunft nachzudenken und damit Kunst, Kutur und Science Fiction Romane zu prägen, stellt der Afrofuturismus dar. Dieser Begriff wurde in den 1990er Jahren von dem Kulturkritiker Mark Dery geprägt, die Bewegung des Afrofuturismus gibt es hingegen schon länger. Im Afrofuturismus werden Vergangenheit, Gegenwart und insbesondere Zukunft aus afro-diasporischen Perspektiven, meist künstlerisch, neu gedacht. Der Afrofuturismus als Schnittstelle von Kunst, Kultur und Politik trägt so dazu bei, neue Perspektiven zu eröffnen. Dabei dient er sowohl als künstlerischer Ausdruck als auch als politisches Instrument, um soziale Missstände zu thematisieren und Visionen einer gerechteren Zukunft zu entwerfen.
Ein besonders prägender Akteur des Afrofuturismus ist der Musiker Sun Ra. In den 1960er und 70er Jahren kombinierte er seine Musik mit Philosophie und arbeitete durch kosmische Ästhetik und Metaphern die Erfahrungen der afroamerikanischen Diaspora mit ein. Als Kunstfigur behauptet Sun Ra er würde vom Planeten Saturn stammen. Dieser Bezug auf den Weltraum als Ort der Flucht und Erneuerung symbolisiert die Suche nach einer alternativen Realität.
Besonders für den afrofuturistischen Weltraumbezug ist auch noch die Metapher der Entführung durch Außerirdische. Diese symbolisiert die historische Erfahrung der Entfremdung und Entwurzelung durch den transatlantischen Sklavenhandel. Häufig wird sie jedoch positiv umgedeutet als Möglichkeit zur Transformation, Flucht und Befreiung von kolonialen und rassistischen Narrativen.
Auch die afrofuturistische Musikgruppe Drexciya greift auf eine fiktive Unterwasserwelt zurück, in der die Nachkommen von schwangeren afrikanischen Sklav:innen, die während der atlantischen Überfahrt von Bord geworfen wurden, überlebten. In dem Unterwasser-Universum von Drexciya konnten die über Bord Geworfenen unter Wasser atmen und gründeten dort eine eigenständige Zivilisation. Auch hier wird die schreckliche historische Realität mit einer futuristischen, utopischen Vision verknüpft.
Ein weiterer spannender Bezugspunkt des Afrofuturismus stellt der fiktive Staat Wakanda dar. Dieser Staat stammt aus dem Marvel-Universum und ist eine zentrale Ikone des Afrofuturismus, da Wakanda die Synthese aus afrikanischer Tradition und futuristischer Technologie verkörpert. Wakanda war nie besetzt oder kolonialisiert und steht somit für die Vision einer selbstbestimmten Zukunft der afrikanischen Diaspora. Wakanda inspiriert durch die Darstellung einer Welt, in der der afrikanische Staat nicht nur sichtbar, sondern auch die treibende Kraft hinter dem globalem Fortschritt ist. Immer wieder dient Wakanda als Vorbild auch für Projekte in der richtigen Welt, wie beispielsweise die Bemühungen des Rappers Akon zeigen, der momentan Geld für eine Stadt mit dem Vorbild Wakanda sammelt.
Die Bilder von Zukunft, die uns umgeben, existieren nicht zufällig um uns herum. Sie werden geprägt von Machtdynamiken, gesellschaftlicher Kulturgeschichte und Zugang zu Diskurs und Macht zu Prägung von Bildern.
Die Reflexion der eigenen Bilder von Zukunft und der Herkunft dieser Bilder ist ein Ansatz, der sehr aufschlussreich der eigenen Sozialisierung gegenüber sein kann.
Für eine Beteiligung im Diskurs um die Prägung von Zukünften, ist die Anerkennung der Pluralitäten der anstehenden Zukünfte unerlässich, genau so wie die Aneignung der Prägung von Bildern und Narrativen über mögliche Zukünfte.
Im Rahmen unseres Seminars wurde die Ausstellung unseren Kommilitonen vorgestellt.
Escobar, Arturo (2018) Designs for the Pluriverse: Radical Interdependence, Autonomy, and the Making of Worlds. London/Durham: Duke University Press.
Fischer, Mark (2009) Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? Hamburg: VSA.
Hall, B.L. and Tandon, R. (2017) ‘Decolonization of knowledge, epistemicide, participatory research and higher education’.Research for All, 1 (1), 6–19. DOI 10.18546/RFA.01.1.02
Luccioni, A. S., Jernite, Y., & Strubell, E. (2024). Power Hungry Processing: Watts Driving the Cost of AI Deployment? The 2024 ACM Conference on Fairness, Accountability, and Transparency, 85–99.
Michalski et al. (2004). Governance im 21. Jahrhundert. OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/9789264589360-de.
Mies, Maria (1986) Patriarchy and Accumulation on a World Scale. N.J.: Zed Books Ltd.
Longtermismus. Der Geist des digitalen Kapitalismus. Unter: https://media.ccc.de/v/38c3-longtermismus-der-geist-des-digitalen-kapitalismus [30.03.25]
Said, Edward W. (1986) Orientalismus. Frankfurt a.M.: Fischer.
Weiterführende Links:
https://globaltapestryofalternatives.org [30.03.25]
https://partizipation.at/ [30.03.25]
https://whoseknowledge.org [30.03.25]