In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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Ein Artefakt, das eine Zukunft beschreibt, in der Kinder wählen gehen dürfen.
Im Hinblick auf die Bundestagswahl im Herbst 2021 gewinnen Debatten zur Zukunft politischer Beteiligung an Relevanz. Europaweit sinkt seit Jahrzehnten die Zahl der Menschen, die sich in Parteien engagieren. Traditionelle Volksparteien verzeichnen immer höhere Wählerverluste, während gleichzeitig rechtsextremistische und populistische Parteien in ganz Europa an Bedeutung gewinnen: Die politische Landschaft fragmentiert sich zunehmend. Umfragen bezeugen einen Vertrauensverlust in Politik und staatlichen Institutionen. Die repräsentative Demokratie, wie wir sie kennen, scheint sich in einer Krise zu befinden. Parallel dazu ist eine Politisierung zu beobachten, unter anderem in Form einer Wiederbelebung der Protestkultur: Immer mehr Menschen gehen auf die Straße oder nutzen Internetforen, um sich Gehör zu verschaffen. Neben etablierten Formen politischer Beteiligung wie zivilgesellschaftlichem Engagement und Online Petitionen, werden auch immer wieder Ansätze direkter Demokratie, der Einführung von Bürgerräten und einer Senkung des Wahlalters diskutiert.
Was bedeuten diese Entwicklungen für die Zukunft der repräsentativen Demokratie? Wie kann politische Beteiligung in Zukunft inklusiv gestaltet werden? Wie können Parteien repräsentativer werden?
In der Recherche zu Wahlen stieß ich immer wieder auf die Debatte über das Herabsenken des Wahlalters. Hier forderten mehrere Initiativen auf, das Wahlalter zu senken. Ich nahm dies als Ansatzpunkt zur Beschäftigung mit einem zukünftigen Umgang mit politischer Beteiligung.
Zunächst ist zwischen dem passiven und dem aktiven Wahlrecht zu unterscheiden. „Das aktive Wahlrecht ist das Recht eines Menschen, sich an einer staatlichen oder nicht-staatlichen Wahl durch Stimmabgabe beteiligen zu können, also zu wählen. Wer das aktive Wahlrecht besitzt, wird als wahlberechtigt bezeichnet.“ „Das passive Wahlrecht ist das Recht eines Menschen, sich bei einer staatlichen oder nicht-staatlichen Wahl als Kandidat aufstellen zu lassen und gewählt zu werden. Wer das passive Wahlrecht besitzt, wird als wählbar bezeichnet.“*
Die Bundeszentrale für politische Bildung sagt hier zur Bundestagswahl: „Wahlberechtigt sind deutsche Staatsangehörige, die sich seit mindestens drei Monaten in Deutschland aufhalten, das 18. Lebensjahr vollendet haben und ihr Wahlrecht nicht durch einen Richterspruch verloren haben. (…) Für das passive Wahlrecht gelten entsprechende Regelungen: Somit ist wählbar, wer seit mindestens einem Jahr die deutsche Staatsangehörigkeit innehat, das 18. Lebensjahr vollendet hat und das Wahlrecht besitzt.“ **
Um sich zum:r Bundespräsident:in wählen zu lassen muss man sogar mindestens 40 Jahre alt sein.
Wenn man sich die deutsche Geschichte anschaut, so kann man beobachten, dass der Trend zu einem niedrigeren Wahlalter geht. Seit 1976 ist bezüglich des Wahlalters nicht mehr viel passiert. Aktuell ist aber immer wieder das Herabsenken des aktiven Wahlalters zu 16 Jahren im Gespräch***
In einigen Bundesländern ist es bei Kommunalwahlen sogar schon möglich ab 16 zu wählen.
www.wir-wollen-waehlen.de
Diese Initative fordert sogar, das Wahlalter noch weiter zu senken:
„Ein Wahlrecht unabhängig vom Alter ist dringend geboten, weil derzeit alle Menschen unter 18 Jahren pauschal und allein aufgrund ihres Alters vom allgemeinen und gleichen Wahlrecht ausgeschlossen sind. Damit ist die Volkssouveränität verletzt.
Die Mitbestimmung der jungen Generation ist mit Blick auf die Generationengerechtigkeit dringend
wünschenswert, gerade als Korrektiv für die demografische Alterung der Gesellschaft.“****
Dabei fordern sie explizit ein „echtes“ Wahlrecht, kein Stellvertretendes Wahlrecht durch z.B. Erziehungsberechtigte.
In der Recherche ließ sich erkennen, dass dieses Thema auf viel Diskussionspotenzial trifft. Im Hinblick auf die Initiativen, die sich für das Herabsenken des Wahlalters einsetzen, macht es für ein Design Fiction Szenario Sinn den Trend des sinkenden Wahlalters weiter zu verfolgen.
Was passiert, wenn das Wahlalter immer weiter gesenkt wird? Was passiert, wenn Kinder wählen?
________
* https://www.wahlrecht.de/lexikon/aktives-passives-wahlrecht.html
** https://www.bpb.de/politik/wahlen/wahlen-in-deutschland/249503/wahlrecht-und-waehlbarkeit (Stand: 15.3.21)
*** https://www.machs-ab-16.de/wahlen-ab-16-in-deutschland/
****www.wir-wollen-waehlen.de/media/files/download/srzg_positionspapier_wahlrecht_2017.pdf
Der Hauptaspekt meiner Design Fiction ist das Senken des Wahlalters.
Bis wohin senkt man das Alter? Sollten 3-jährige wählen können? Ab wann können Kinder entscheiden?
Um ein passendes Alter der Kinder zu bestimmen, habe ich Paper und Artikel zum Thema Entscheidungen und Alter gelesen.
Die Enscheidung, das Wahlalter auf ausgerechnet 10 zu senken, entnehme ich vor allem folgendem Paper: Decision-Making by Children.
Lundberg, Romich und Tsang untersuchen wann Kinder anfangen autonome Entscheidungen zu treffen und wie auch die Erziehung der Eltern damit zusammenhängt. Je älter Kinder werden, desto mehr dürfen (und ganz wichtig) wollen Kinder und Jugendliche mitenscheiden. Dem Paper zugrunde liegender Research etabliert, dass die Einbeziehung von Kindern in Entscheidungen (entweder mit Eltern oder bei eigenen Entscheidungen) von 9–10 Jahren ansteigt und autonome Entscheidungen (also ohne elterlichen Input) von 12–17 Jahren ansteigt. Sie sagen aber auch, dass Kinder durch ihre Umgebung beeinflusst werden, das heißt, die Entscheidungskraft der Kinder auch abhängig ist von den Vorlieben der Eltern diesbezüglich. Also, wann diese Kinder in Entscheidungen mit einbeziehen.
Logisches Denken, das gebraucht wird um Alternativen abzuwägen entwickelt sich rapide von 8/9 Jahren bis 15 / 16 Jahren.
Auch in dem 2017 veröffentlichten Positionspapier von www.generationengerechtigkeit.info im Abschnitt „Politische Urteilsfähigkeit, Reife und Mündigkeit“ steht folgendes: „Selbst unter Maßgabe kognitiver Entwicklungskriterien erfüllen die meisten jungen Menschen
heute bereits ab ihrem 12. bis 15. Lebensjahr eine ebenso große geistige Reife wie Ältere.
Jugendsoziologen und -psychologen haben immer wieder betont, dass die große Mehrheit der jungen Menschen deutlich vor dem 16. Lebensjahr den Höhepunkt ihrer kognitiven Entwicklung erreicht
(vgl. weiterführende Zitate im Anhang). Auch die Fähigkeit zur politischen Selbsteinschätzung ist vorhanden: Bereits im Alter von 12 Jahren können sich zwei Drittel im politischen Links-RechtsSpektrum positionieren Tillmann 2008, S. 123. Sie sind damit zur politischen Reflektion imstande.
Sie können daher auch ihr Wahlrecht mindestens ebenso gut ausüben wie die meisten Älteren.“
Basierend auf dem Paper und dem Positionspapier, sowie der Beobachteung des Trends zum Herabsenken das Wahlalters, habe ich mich entschieden, das Alter der Wahlbeteiligung im Jahre 2057 auf 10 Jahre zu senken. Ich gehe davon aus, dass sich die Eltern-Kind-Beziehung in den nächsten Jahren verändern wird, Kinder unabhängiger werden und Eltern ihnen mehr Entscheidungen überlassen. Auch gehe ich davon aus, dass Bewegungen wie die Fridays for Future Demonstrationen und gesellschaftliche Veränderungen, junge Menschen stärker politisieren.
Auf Basis des Papers sind die kognitiven Fähigkeiten von 10-jährigen bereits so ausgebildet, dass sie eigene Entscheidungen treffen können, ergo auch selbst entscheiden könnten, wen oder welche Partei sie wählen.
Kinder dürfen ab 10 Jahren wählen
sie wählen alleine und unabhängig von ihren Eltern
sie wählen vor Ort in Wahlkabinen
sie werden am Tag der Wahl betreut von „Kinderwahl-Betreuungspersonen“ (KBBP, wird weiter unten erläutert)
Kindern wird eigene Meinung und Entscheidung zugetraut, rechtlich sind die aber immer noch an Eltern gebunden (Minderjährigkeit existiert noch)
Um die Entwicklung des Wahlalters zu legitimieren, beschreibe ich die geschichtliche Entwicklung von wichtigen politischen, gesellschaftlichen und technologischen Meilensteinen, die zur Senkung des Wahlalters auf 10 Jahre führen.
Anhand eines Artefaktes soll diese Zukunft erfahrbar werden. Da junge Kinder nach wie vor beaufsichtigt werden müssen, gleichzeitig aber die Beaufsichtigung durch Eltern die Gefahr der Beeinflussung darstellt, wird für den Tag der Wahl eine Kinderwahl Betreuungsperson (KBBP) eingeführt. Diese Personen müssen eine Zusatzausbildung absolvieren um am Tag der Wahl Kinder zu betreuen.
Für mein Szenario führe ich hier eine Persona ein.
Nanika ist Lehrperson im Fach Soziologie und hat die Zusatzausbildung zum KBBP absolviert. Das Direktorat ihrer Schule hat es ihr empfohlen und sie für die Ausbildung freigestellt. Nanika wohnt im Bezirk Friedrichshain, in Berlin. Deswegen liegt auch ihr Wahllokal, an dem sie am Tag der Wahl als KBBP arbeiten wird, in diesem Bezirk. Die Ausbildung zum KBBP hat sie schon vor einem Jahr absolviert. Das digitale Handbuch zur ihrer Ausbildung, in dem alle wichtigen Lehrmaterialien zu finden sind und alle wichtigen Infos stehen, wird sie vor der Wahl noch einmal durchlesen. Sie hat schon einiges vergessen. Allerdings möchte Sie sich nicht auf Technik verlassen und möchte ihre Merkbroschüre, die alle KBBPs bekommen, lieber analog bekommen.
In der Mail, die sie einige Wochen vor der Wahl von der Wahlleitungsperson Kanji Jansen bekommt, steht, dass ihr die Merkbroschüre zugesandt wird. Sie erfährt auch von ihrem letzten Pflichttermin, den sie wahrnehmen muss um als KBBP am Wahltag auftregen zu können. Sie freut sich darauf und auf ihre KBBP-Kolleg*innen, die sie dann wiedersehen kann.
PDF zum Downlaod ↴
Die Broschüre ist eine Art Merkhilfe. Hier stehen schnell, als Überblick alle wichtigen Informationen zum Wahltag. Details müssen immer wieder im digitalen KBBP Handbuch, was in der Ausbildung genutzt wurde, nachgeschlagen werden.
Hier steht, auf was Nanika vor und am Wahltag besonders achten muss. Wie sind die Lokale aufgebaut? Wie leitet sie die Kinder zu den Wahlkabinen und zur Urne? Worauf ist bei den Eltern zu achten? Was muss sie dabei haben?
Ich habe mich für die Broschüre entschieden, weil sie ein gutes Format ist um das Storytelling in einem Artefakt zu platzieren. Als Merkhilfe für die KBBP können hier Informationen platziert werden, die Kontext zur Wahl geben. Beim Durchlesen kann man so nebenbei erfahren, wie der geschichtliche Kontext der Wahl ist, was alles passiert ist um hier her zu gelangen und wie ein Wahltag abläuft. Außerdem ist sie ein bekanntes Format. Wir kennen Broschüren als Informationsträger, der die wichtigsten Fakten zusammenfasst. Im Kontext von Design Fiction empfinde ich es als gutes Mittel etablierte Formate zu nutzen um den Fokus auf das Storytelling zu leiten.
In der Recherche zur Ästhetik von offiziellen Broschüren zu Wahlen oder der Bundesregierung fällt eines besonders auf. Es gibt unter den verschiedenen Formaten kein einheitliches Branding. Für meine Zukunftsbroschüre habe ich mich an Informationsbroschüren des Bundestages orientiert und diese so abgeändert, dass sie noch als solche in der Reihe erkennbar sind, sie aber auch so verändert, dass eine klare Abgrenzung und Modernisierung zu erkennen ist.
Die Texte der Broschüre sind so geschrieben, dass ein Einblick in den geschichtlichen Kontext, die aktuelle Lage im Jahr 2057 und den konkreten Ablauf eines Kinder-Wahltages möglich ist.
Die Broschüre richtet sich an Nanika als Person, die die Kinder am Wahltag betreuen wird. Wir sehen den Tag durch ihre Augen. Es wird aber trotzdem klar, welche Umstände Eltern und Kinder an diesem Tag haben und wie andere Personen beteiligt sein könnten.