In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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Typographic Fieldstudies
Unter einer Feldstudie versteht man eine systematische wissenschaftliche Beobachtung unter natürlichen Bedingungen im Biotop des beobachteten Objekts, außerhalb des Labors. Sie kann rein beobachtend und beschreibend sein.
Feldstudien im Zusammenhang mit Typografie gibt es so nicht, deshalb sollte im Rahmen des Kurses ‚Typographic Fieldstudies‘, eine Reportage mit typografischen Mitteln entstehen.
Neben der Suche nach einem eigenen Thema sollten wir die Hausaufgabe ‚typographic recording‘ bearbeiten. Dazu sollten wir in die Welt hinaus gehen und einen Ort oder eine Situation schriftlich festhalten. Ich hatte sehr wenig Zeit und machte aus der Not eine Tugend, indem ich einen Arbeitstag aufschrieb: Während ich im Jüdischen Museum Berlin arbeitete, notierte ich alle Gespräche und Fragen der Gäste, Funksprüche von Kollegen, Umgebungsgeräusche und Wandbeschriftungen, auf die ich in der sechsstündigen Schicht traf. Aus den Notizen machte ich dann zu Hause eine ‚Abschrift‘ in mein Skizzenbuch.
Arbeitsskizze und Übertragung ins Sizzenbuch
Zwischendurch hatten wir außerdem die Möglichkeit in der Siebdruckwerkstatt uns in experimentellem Siebdruck auszuprobieren, bei dem nur mit Acrylfarbe, Schablonen aus Packpapier und ganz ohne das übliche Belichten, einige spannende Plakate entstanden.
Das zu untersuchende ‚Objekt‘ war frei wählbar und mir war schnell klar, dass ich mich mit Schrift im öffentlichen Raum beschäftigen wollte.
Schrift umgibt uns überall in unserem alltäglichen Leben und gibt der Welt eine gewisse Ordnung. Gerade im öffentlichen Raum treffen die verschiedenen Funktionsweisen von Schrift aufeinander. Wo sie an einer Stelle der Orientierung dient, taucht sie woanders in kommerziellem Kontext auf. Anderenorts liefert sie uns Informationen zu Bedeutung und Geschichte eines Ortes und überall dazwischen treten Menschen mit individuellen Meinungsbekundungen zu allen möglichen Themen in Erscheinung.
Ohne Strassenbeschilderungen könnten wir uns schwer in unserer Umwelt zurechtfinden, Firmenlogos sagen uns, wo wir Essen, Kleidung oder Fahrkarten kaufen können und gäbe es keine Erklärungen zu bestimmten Gebäuden und Orten in Form von Texttafeln, Informationsstelen oder Gedenkstätten, könnten wir deren Bedeutung an der Stelle vielleicht gar nicht verstehen.
Neben all diesen ‚offiziellen‘ Schriftzeichen, haben scheinbar auch viele Menschen das Bedürfnis ihre individuellen Spuren und Meinungen zu hinterlassen. Und so findet man überall Aufkleber, Graffiti und Liebeserklärungen auf Hauswänden, die die Zeichen der Firmen, Konzerne und Institutionen des öffentlichen Lebens überlagern.
Zusammen ergeben all diese Schriftzeichen mit ihren verschiedenen Bedeutungsebenen das typografische Bild, das wir uns von einem Ort machen und merken. Einige verschwinden nach einer gewissen Zeit wieder, andere sind fest mit einem Ort verbunden, so dass man sie auch immer wieder genau dort auffinden kann.
Die Frage die sich mir stellte, war, ob es möglich ist, einen bestimmten Ort typografisch zu portraitieren. Kann man diesen Ort nur anhand der dort auftauchenden Schrift und Zeichen wiedererkennbar festhalten?
Schrift im öffentlichen Raum in verschiedenen Kontexten
Um mich der Fragestellung anzunähern, hielt ich zunächst meinen Heimweg – vom S-Bahnhof Ostkreuz bis zu meiner Haustür – fotografisch fest. Am Computer stellte ich dann die Bereiche frei, auf denen Schrift vorkam und stellte aber schnell fest, dass ich jeglichen fotografischen Bezug – Straßenzüge, Schaufenster, Menschen und Autos – entfernen musste. Also wählte ich auf den Fotos nur alles das aus, was im weitesten Sinne als Schriftzeichen zu verstehen war: typografisch gesetzte Texte, Logos und deren Bildzeichen, aber auch Taggs und Graffiti. Um jetzt noch die Hierarchie der Zeichen zu brechen und sie auf eine gemeinsame Ebene zu bringen, färbte ich sie allesamt Schwarz ein. Dann kombinierte ich die freigestellten Schriften aller Fotos zu einer gesamten Grafik.
Das Arbeitsprinzip: Originalfoto / freigestellte Schrift / grafische Reduktion
finale Grafik aus mehreren Fotos
Jetzt hatte ich eine grafische Darstellung einer Straße im Berliner Friedrichshain erstellt. Aber an anderen Plätzen gibt es andere Schriftzeichen, also fragte ich mich nun, in wieweit sich die daraus resultierenden Grafiken unterscheiden würden. Ich beschloss die Arbeitsweise beizubehalten und einen weiteren Ort zu portraitieren.
Ich bin sehr regelmäßig auf dem Alexanderplatz unterwegs, meist um von einem Verkehrsmittel in ein anderes zu steigen und es lag nahe, hier mit der Untersuchung zu beginnen. An drei verschiedenen Tagen lief ich den gesamten Platz ab und fotografierte so ziemlich alles was mir an Schrift auffiel. Schlussendlich hatte ich mehr als dreihundert Fotos, die ich freistellte, um deren Versatzstücke wieder zu einer Grafik des Alexanderplatzes anzuordnen. Das fertige Bild maß einen mal zwei Meter.
Fotos vom Alexanderplatz als Vorlage für das typografische Portrait
Das fertige Portrait des Alexanderplatz im Dezember 2017
In einer Beratung mit Professor Völker entstand dann die Idee, aus dem Plakat ein Buch zu machen. Dafür wählte ich aus der Grafik spannende Ausschnitte, die ich als Doppelseiten anordnete. Entstanden ist eine Art typografischer Reiseführer über den Alexanderplatz.
Unboxing 'Berlin Alexanderplatz'
Innenansichten des fertigen Buchs