Incom ist die Kommunikations-Plattform der Fachhochschule Potsdam

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Wahrheit ist Überredung

Illusionen der Wirklichkeit

Abstract

Tag für Tag laufen in jedem von uns bestimmte Routinen und Muster ab – ein gut geöltes Räderwerk von Abläufen, das den Alltag möglichst reibungslos und ohne großen Aufwand bewältigt. Unser Unbewusstes fällt Entscheidungen und wir denken nur im Nachhinein, diese SELBST getroffen zu haben. Wir sind Stets bestrebt, einen Zustand »kognitiver Leichtigkeit« einzunehmen, da dieser den geringsten Eenergieaufwand bedeutet und wir uns weiterhin dem Glauben hingeben können, alles (über uns) zu wissen. Doch oft genug geraten Steine in dieses Räderwerk der Routinen, wir gehen Täuschungen auf den Leim, verkennen unseren Irrtum – und der Denkfehler liegt einzig und allein darin, dass wir nicht denken WOLLEN. Wenn ich, als Kommunikationsdesigner, die »Fehltritte« des Unbewussten verstehen lerne, kann ich – subversiv oder aufklärend – mithilfe prägnanter Oberflächen und Wortlaute komplexen Sachverhalten eine Form geben. Doch damit geht eine Verantwortung einher, der ich im Verlauf der Bearbeitung meiner Bachelorarbeit sowohl theoretisch, als auch illustrativ nachgegangen bin. Dabei diente das Zwei-Schichtenmodell Daniel Kahnemans (»Schnelles Denken, langsames Denken«) als theoretische Grundlage.

Konzept

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Mein Ziel war es, die Thematik illustrativ aufzuarbeiten und mittels vorliegender Dokumentation möglichst ansprechend und spannend zu gestalten. Durch die malerisch-typografische Unterlegung des theoretischen Teils sollte dieser für die von mir anvisierte, anspruchsvolle Zielgruppe der Kommunikationsdesigner interessant und interpretierbar werden.

Um einen möglichst experimentellen Ansatz zu finden und mich von der so gewohnten papiernen Oberfläche zu lösen, räumte ich kurzerhand eine Wand bei mir zuhause frei. Eine weiße Wand, auf der ich begann einen Blick von außen nach innen zu werfen. Mir wurde in meinem Arbeitsprozess und dem theoretischen Teil klar, dass jeder seinen ureigenen Blick auf die Welt hat. Wenn ich einen dottergelben Kanarienvogel zeichne, kann ich nicht davon ausgehen, dass die Betrachter meines Werkes nicht eher einen grellgelben Papagei sehen. Ich kann nur zeichnen, was für MICH Wahrnehmung bedeutet.

»Die aktive Beteiligung des Gehirns am Sehen bestimmt den Umfang und die Qualität der Wahrnehmung. Wir befinden uns ständig auf der Suche nach Neuem, nach Noch-nicht-Gesehenem, auch nach der Wahrheit.«

Das Auge ist unser zentrales, weitaus am häufigsten benutztes und beanspruchtes Sinnesorgan – es bestimmt unser Dasein, unsere Wahrnehmung, unser So-Sein signifikant. Meine Wand befriedigt diesen Hunger nach Neuem immer wieder. Die Tage gingen ins Land und gleichwohl wie die Wege, die ich im Alltag zurücklegte, verflochten sich auf der rauhen Oberfläche Linien zu Gesichtern, Strukturen zu Farbflächen. Exemplarisch steht meine Wand dafür, was in unserem Hirn tagtäglich abläuft: es speichert jeden Moment, Jahr um Jahr, Repräsentationen der Welt in eine Datenbank, die niemals voll zu werden scheint.

Der Film

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Ich habe diesen stetigen Prozess wahrnehmbar werden lassen, indem ich durch eine Videokamera meine Arbeit auf der Wand aufgezeichnet habe. In Zeitraffer verfolgt der Betrachter, wie Figuren entstehen und wieder übertüncht werden. Wie ständig ein neues Bild meiner Wirklichkeit entsteht, sich auf bereits bestehende Strukturen stützt und andere revidiert oder negiert.

Wir sind stetig dabei, um unbewusst unserem Bedürfnis nach Ordnung und Kohärenz nachzukommen, uns die Welt so zu konstruieren, wie wir meinen, das sie Sinn macht. Es reicht also vollkommen aus, Bilder und Sätze auf meiner Wand anklingen zu lassen – dadurch, dass der Rezipient erwartet, dass es hier nur um das Thema Wahrnehmung geht, wird er sinnreiche Assoziationen produzieren.

»Anbieten wird sich Dir die Welt zur Entlarvung, sie kann nicht anders, verzückt wird sie sich vor Dir winden.«

Die Informationsflut, die der Film produziert, ist überwältigend, die Fülle an Details kann in der zeitlichen Abfolge nur zu einem kleinen Teil beim ersten Anschauen wahrgenommen werden. Das Auge konzentriert sich hauptsächlich auf meinen Schemen, der auf der Wand herumwerkelt und verfolgt die Veränderungen: Gedankenverknüpfungen und dazugehörige Geschichten entstehen im Kopf des Betrachters. Wenn hingegen im Film Pausen und Zeitsprünge auftauchen, ist der Rezipient gezwungen den Leeraum zu füllen: er konstruiert das Nicht-Gezeigte, denkt sich das, was er nicht sehen konnte, selbst. In dem Moment, wo sich Menschen vor der Projektion meines Filmes auf einer Wand bewegen und ihre Schatten scherenschnittartig einige Motive verdecken, werden diese ebenso zur Nicht-Information für das Auge und gerade durch ihr kurzzeitiges Verschwinden interpretierbar. Durch die Interaktion entscheidet der Betrachter meiner Arbeit, was er sehen und worauf er seine Aufmerksamkeit gezielt lenken möchte.

Die Dokumentation

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In meiner Dokumentation habe ich die Wand als Steinbruch genutzt, Ausschnitte und Versatzstücke der Illustrationen miteinander verschränkt, um einen großen Interpretationsspielraum beim Betrachter zuzulassen. Auch hier ist eine zeitliche Abfolge erkennbar. Beim Blättern erscheinen Formen oder Figuren, die einige Seiten später schon wieder kaum zu erahnen sind. Je tiefer man als Leser in die Materie eindringt, desto weiter entwickeln sich die Illustrationen – das Pendant zur Entwicklung auf meiner Wand. Am deutlichsten sieht man das vielleicht am Beispiel der Katze auf den Seiten zwei und vier: anfangs noch deutlich zu sehen, ist sie plötzlich weiß überpinselt, wenn man die Seite umblättert.

Die Weiterentwicklung der Illustrationen – vom linearen Stil hin zu flächigen Motiven – zieht sich durch das Buch wie ein roter Faden. Am Beispiel der Doppelseiten 30/31 und 42/43 kann man gut nachvollziehen, wie ein Motiv im Arbeitsprozess zur Grundlage eines völlig anderen wird. Von der Schreibtischlampe, die den Mere-Exposure-Effekt ausleuchtet, hin zur Kausalitätsheuristik, die gleich einem galoppierenden Pferd unseren Alltag durchkreuzt. Je genauer der Betrachter sich den Illustrationen widmet, desto häufiger wird er Querverbindungen unter den Motiven auf die Spur kommen.

Um das interaktive Element des Filmes ein wenig in der Dokumentation anklingen zu lassen, habe ich mich dazu entschieden, durchsichtige Folien zu integrieren. Diese bieten dem Leser eine zusätzliche Ebene, je nachdem wie er es sehen möchte, haben sie verschiedene Bedeutungsansätze. In der Überlagerung des Fließtextes klingt wiederum das Thema an (Sätze, die unscharf bzw. generell eher schlecht zu lesen sind, werden bewusster wahrgenommen, denn durch die höhere kognitive Auslastung beim Lesen geht eine gesteigerte Aufmerksamkeit einher). Auch hier wird der Aspekt des Hinzufügens bzw. der Verschiebung von Information verbildlicht, beim Umblättern der Folie auf den Seiten 28/29 vervollständigt das Gesicht erst beim Umblättern das vorhandene Motiv.

Der Wegweiser

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Ein Projekt von

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Bachelorarbeit

Betreuung

foto: Prof. Dr. phil. Rainer Funke foto: Prof. Hans-Jörg Kotulla

Zugehöriger Workspace

APPLAUS⁹ Ausstellerworkspace

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2014