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Sampling als Kulturtechnik

Praxis und Ästhetik von der Musique concrète bis Ableton Live

Abstract

Sampling kennzeichnet sich bis heute durch die Neuverarbeitung verschiedener Teile einer bereits existierenden Aufnahme in einem neuen Kontext. Diese musikalische Praxis ist immer an die jeweiligen technisch-apparativen Gegebenheiten der Zeit gebunden.

In diesem Sinne soll versucht werden, eine kulturhistorische Entwicklungslinie des Samplings von der Musique concrète, über Hip-Hop, bis zu aktuellsten Beispielen nach-zuzeichnen. Gegenstand der Betrachtung bilden hierfür Werke von Pierre Schaeffer, Bernard Parmegiani, DJ Shadow, Flying Lotus, Oneohtrix Point Never und Johannes Kreidler.

Auch in Zeiten von digitalen Klangarchiven und Musiksoftware wie Ableton Live bleiben Prinzipien vorheriger Sample-Verfahren erhalten. Auf der quantitativen Ebene der Verfügbarkeit und erweiterten Bearbeitungsmöglichkeiten von existierenden Klängen fin-den sich jedoch neue Potenziale. Die Verfahrensweisen des Samplings haben sich als allgegenwärtige Kulturtechnik in der Musik etabliert und scheinen sich darüber hinaus auf ein grundsätzliches Konzept kulturellen Schaffens beziehen zu lassen.

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Pierre Schaeffers künstlerisches Konzept und erste Sampling-Verfahren

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Im Jahre 1948 wurde das „Concert of Noise“ von Pierre Schaeffer über das französische Radio ausgestrahlt. Es umfasste eine Reihe von Stücken, die sich aus Aufnahmen von Zugpfeifen, Kreiseln, Geschirr, Hausbooten, Perkussion-Instrumenten und vereinzelten Klavierklängen zusammensetzten. Schaeffer bezeichnete diese Musik als Musique concrète in Abgrenzung zur tradierten Musik, die auf Notationen und Instrumenten basierte. Die Konkrete Musik bezeichnet also eine Stilrichtung, deren Vertreter verschiedene Klänge aus dem Alltag, der Natur oder anderen Kontexten nutzten, um diese mit Hilfe technischer Mittel zu bearbeiten und zu montieren. Pierre Schaeffer entwickelte eine neue Kompositionsmethode, die sich an den technischen Bedingungen der Zeit und den neuen Möglichkeiten der Studios orientierte. Voraussetzung für diese Form der Musikproduktion sind aber vor allem neue Aufzeichnungs-, Bearbeitungs- und Wiedergabemöglichkeiten in den Tonstudios. So agierte Schaeffer in der Geräusch-Collage „Étude aux chemine de fer“ von 1948 mit den Potenzialen von Plattenspielern. Das Stück setzt sich aus mehreren Aufnahmen von Zug- und Schienengeräuschen zusammen. Ziel war es, die Geräusche nach einer musikalischen Ästhetik zu arrangieren. Schaeffer manipulierte sechs Aufnahmen um die Geräusche in Komponenten wie Klangfarbe, Rhythmus und Tonhöhe zu übersetzen. Hierfür arbeitete er vor allem mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, sowie mit veränderten Lautstärken der Aufnahmen. Diese wurden dann in kleineren Einheiten, wie dem Loop, angeordnet.

Sampling im Hip-Hop

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Sampler und computerbasierte Systeme bilden die wesentlichen Produktionsinstrumente im Hip-Hop und wurden durch die Art und Weise der Nutzung in dieser Szene geprägt. Wichtige Geräte mit denen eine Vielzahl von Hip-Hop Alben produziert wurden, sind beispielsweise der E-mu SP 1200 (1987) und der Akai MPC 60 (1988). Der SP 1200 erlaubte nahezu alles mit einem Sample zu machen. Es kann nahezu beliebig aus- und zugeschnitten, bearbeitet und daraufhin geloopt und in Sequenzen angeordnet werden. Produzenten wie Hank Schocklee bevorzugten die vielseitigen Nutzungsmöglichkeiten des Geräts. Der MPC 60 von Akai hingegen wurde häufig ein besonderer Swing in den Drums attestiert. Jedes dieser Geräte hat seinen spezifischen Sound, der sich beispielsweise in bestimmten Klangeigenschaften von Drums äußert. So konnte von nun an nur mit einem Gerät Musik produziert werden. Effekte wie Bandkompressoren, Delay und Reverb, sowie Funktionen des Mixing waren ebenfalls integriert. Kennzeichnend für die Produktionsweise im Hip-Hop ist die musikalische Strukturierung in Sequenzen und Loops, die schon in den technischen Funktionen der MPCs (SP1200 und Akai 60) angelegt ist. Die immer wiederkehrenden Samples bilden einen Sog und können auf der rhythmischen Ebene einen unglaublichen Groove etablieren. Das Prinzip einer Aufnahme eine ganz bestimmte Soundprobe zu entnehmen und diese auf die gesamte Länge eines Stücks zu wiederholen, gleicht einer Manipulation der Zeit. Die Zeitdauer des Samples wird, metaphorisch gesprochen, bis ins Unendliche ausgedehnt. Aus dem eigentlichen Kontext und Bedeutungszusammenhang wird ein anderes künstlerisches Werk. Eine Beschreibung der Wirkung dieser „geloopten Momente“ von Simon Reynolds ist vor allem für die Hip-Hop-Kultur zutreffend:

„Die Sample Collage ist ein Gewebe aus geloopten Momenten von denen jeder wie ein Portal zu einer weit entfernten Zeit oder einem weit entfernten Ort fungiert, die ein nie gesehenes musikalisches Ereignis erschaffen.“

DJ Shadow und die Musik der Anderen (Cover zu DJ Shadows Album "Entroducing", 1996.)

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Dieses Album bewegt sich in ganz neue Richtungen und läutete eine neue Ära der Musikproduktion ein. Die Verwurzelung in der Crate-Digger-Kultur zeigt sich bereits eindeutig auf dem Cover, das den für seine Auswahl bekannten Plattenladen ‚Rare Records' im südkalifornischen Sacramento, sowie in den Musikkisten blätternde Menschen zeigt. In Beiträgen zu diesem Album findet man immer wieder den Hinweis darauf, dass es ausschließlich aus Samples bestehe. Scheinbar soll Shadow für dieses Album auf 500 Platten zurückgegriffen haben. Entroducing besteht zu weiten Teilen aus sehr kleinteiligen und teilweise stark abstrahierten Samples. Andere Sounds, die verwendet wurden, sind einprogrammierte Drums und weitere Klänge aus dem Sampler und Sequenzer der MPC 60 von Akai, mit dem Shadow das komplette Werk produzierte. Entroducing wirkt in seinem Gesamtzusammenhang wie eine große Sample-Collage. DJ Shadow greift auf ein Archiv an Sounds zurück, das er auf eigene Art und Weise neu strukturiert und organisiert. Es mischen sich verschiedene Stile, Genres und Elemente und verbinden diese in einem neuen Umfeld.

Klangdaten, digitale Archive und Musiksoftware

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Die ersten digitalen Sampling-Maschinen bildeten die Basis für heutige Musiksoftware, Programme und Tools zur Musikproduktion. Die Umwandlung analoger in digitale Signale sowie die erhöhte Speicherkapazität ist die Voraussetzung einer neuen Form der Verfügbarkeit von vorhandenem Klangmaterial. Seit dem Beginn der 2000er Jahre haben sich diese Kapazitäten sowie software-basierte Möglichkeiten der Produktion von Musik erheblich erweitert. Diese Aspekte bilden zusammen mit den Netzwerken des Internets die Hauptmerkmale einer neuen Technologie, die von nun an den Rahmen für nahezu jegliche Form der musikalischen Komposition mit Samples vorgibt. Der Computer der heutigen Zeit ist eine Universalmaschine und das vorherrschende Instrument im 21. Jahrhundert. Musiker haben Zugriff auf ein nahezu unendliches Klangarchiv an bereits vorhandenen Aufnahmen. Alle Informationen können in binäre Codes übersetzt und auf vollständig neue Art und Weise in nahezu jedem beliebigen Medium eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang liegen nun digital gespeicherte Klangdaten vor, die in verschiedensten Dateiformaten immer wieder kopiert und bearbeitet werden können ohne dass sie an einen materiellen Träger gebunden sind. Die Kombination aus Datenbanken von Klang (Verfügbarkeit), Software (zur Bearbeitung) und Netzwerken (Distribution) schaffen neue technische Rahmenbedingungen für die kompositorische Praxis des Samplings. Die Musiksoftware Ableton Live markierte einen starken Einschnitt im Bereich der digitalen Musikproduktion. Eine Vielzahl an Produzenten aller Richtungen und Genres arbeiten mit diesem Programm. Die im Folgenden beschriebene ‚Epoche des Samplings‘ lässt sich nicht mehr in Bezug auf ein bestimmtes Genre oder durch die Abgrenzung einer kulturellen Bewegungen beschreiben. Die Grenzen sind fließend, da sich Sampling-Praktiken außerhalb jeglicher Stilbestimmungen und Klassifizierungsversuche immer wieder finden. Ableton Live fungiert somit vor allem als Stellvertreter der digitalen Musikproduktion mit Software, die grenzüberschreitend Anwendung findet. Im Fokus liegen die spezifischen Möglichkeiten der Bearbeitung und Anordnung von Klangmaterial, die ebenso eine digitale Klangästhetik nach sich ziehen. In digitalen Produktionen zeigen sich bestimmte ästhetische Strategien und Verfahrensweisen, die die Bearbeitung mit digitalen Werkzeugen offenlegen. So verweist die Medialität der Produktionsmaschine auf sich selbst. Die digitale Ästhetik entsteht im technischen Rahmen der computer- und softwarebasierten Musikproduktion und unter den Gegebenheiten des Internets. Grundsätzlich stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Samples in Bezug auf die Erweiterung der Verfügbarkeit (Speicherkapazitäten) und erheblich erweiterten Möglichkeiten der Klangverarbeitung.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Europäische Medienwissenschaften

Art des Projekts

Masterarbeit

Betreuung

foto: Mark Butler foto: SV

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2014 / 2015