In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
Den unsre Bedrängnis, die zeitlich und leicht ist, schafft eine ewige und über alle Maßen gewichtige Herrlichkeit. Uns, die wir nicht sehen auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare. Denn was sichtbar ist, das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig.
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Meine Augen schmerzen. Es ist da ein nicht enden wollender Druck, der meine Augen zum Explodieren treiben will, doch es will ihm nicht einfallen, dass mein Schädel bloß nach vorne hin geöffnet ist – dass man meine Augen also nach vorne hin zerplatzen lassen müsste. Stattdessen versucht dieser elende Quälgeist meinen geschundenen Sehapparat unentwegt in alle anderen Richtung zerbersten zu lassen. Erfolglos natürlich, denn meine stabilen Augenhöhlen (ich habe von Kind an immer die stabilsten Augenhöhlen gehabt) presse sich ihm unermüdlich entgegen. Sehr zu meinem Leidwesen, wohlgemerkt, denn so wandert jener Druck in pulsierenden Schlägen durch meinen Kopf, die die Haut mir zum Zerreißen spannen.
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Ich war beim Augenarzt. Er hat mir bodenlose Dummheit attestiert und noch das ein oder andere Schimpfwort über mein Äußeres verloren. Meine Augen seien aber ganz fabelhaft. Er riet mir dennoch zu einer Brille, um mein Gesicht etwas zu kaschieren.
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Soeben wollte ich durch die Penetration meiner Sklera mithilfe einer kleinen desinfizieren Nadel meinen Schmerzen ein Ende bereiten, in der Hoffnung, der unerträgliche Druck würde – gleich überschüssiger Luft aus einem Fahrradreifen, wenn dessen Ventil geöffnet wird – einfach entweichen.
Doch die Hochschule, die ich aus Prokrastination echter Lebens-Beschäftigung gelegentlich besuche, hält mir Alternativen vor. Es gibt Kurse(!) und in ihnen soll Sehen gelehrt werden! Kann die Antwort so simpel sein? Haben meine Schmerzen gar keinen medizinischen Ursprung, sondern sind bloß die logische Konsequenz jahrelanger Inkompetenz im Umgang mit meinem Sehapparat. Man wir sehen (haha)
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Wir haben heute unentwegt Objekte angestarrt. Es blieb mir verschlossen, ob das Blinzeln während der Prozedur gestattet ist – ich habe es sicherheitshalber unterlassen. Die Temperatur im Raum betrug ungefähr 57°. Ich weiß nicht, ob das Teil der Behandlung ist. Der Schweiß lief mir jedenfalls in einem Fort in die weit aufgerissenen Augen. Wie paradox, dass Flüssigkeit so brennen kann. Ich habe trotzdem nicht geblinzelt.
Ferner sollte gezeichnet werden. Hier meine Bilder. Ich sehe sie gerade auch zum ersten Mal:
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Wir hängen unsere Zeichnungen an die Wand und schauen. Daneben steht immer mal wieder ein Mensch und redet vielerlei.
Teil der heutigen Übung scheint es zu sein, die Augen nicht gar zu lange an einem Punkt festwachsen zu lassen. Ich gebe mir einen Rhythmus. Im Vier Viertel Takt (oder was ich dafür halten) blicke ich vom Menschen zum Bild, vom Bild zur Wand, von der Wand zum Menschen, zum Bild, zur Wand, zum Menschen, zum Bild, zur Wand usw. usw. Nach einer Weile beziehe ich auch den Fußboden und die Decke mit ein, um meinen Augen die Freude der vollständigen Rotation zu gewähren.
Anschließend zeichnen wir erneut Verschiedenes, doch ich bekomme die Drehung meiner Augen nicht wieder eingestellt und so wandert mein Blick in stark verprügelten Kreisbewegungen um mein Blatt, während meine Hände dasselbe mit einem Stift massakrieren.
Hier die Ergebnisse:
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Ich habe die Rotationsübung der letzten Sitzung daheim fleißig wiederholt, denn zweifellos lag mein größter Fehler bisweilen darin, nur immer geradeaus zu glotzen. Ich habe die Übung nur dahingehend erweitert, dass ich mir vor Beginn der Rotationen ein Shotglas Olivenöl unter ein jedes Augenlid kippe, damit meine Augäpfel sich nicht durch die ganze Bewegung an meinen (wie bereits erwähnt recht stabilen) Augenhöhlen wund scheuern.
Die heutige Übung bestand darin, die Gebrauchsanweisung für ein Lego-Set zu zeichnen, wobei uns nur die einzelnen Steine gegeben wurden, ohne dass uns gesagt wurde, wie das fertige Gebilde auszusehen hat.
Ich glaube, ich habe es falsch gemacht.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Temperatur im Raum das Öl in meinen Augen zum Sieden bringt. Ich sehe also erneut nichts.
Hier die Ergebnisse:
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Ich mache Fortschritte, glaube ich. Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich in der Lage, meine Augen zu hören. Ich mutmaße, der Siede-Prozess der letzten Woche hat die Flüssigkeit in ihnen verhärtet – wie bei einem gekochten Ei – und sie zudem ein wenig zusammenschrumpfen lassen. Sie gleichen jetzt zwei Murmeln und wenn ich gegen sie klopfe, wie ich es zu tun pflege, ertönt ein dumpfer Klang, als klopfe man auf einen weichen Holztisch. Der Rotationsradius hat sich durch das Zusammenschrumpfen auch erweitert, sodass ich nun theoretisch die Decke meiner Augenhöhlen betrachten kann. Theoretisch, denn naturgemäß wird alles schwarz, sobald ich es probiere, da das Licht sich weigert, meinen Augen in diese Tiefen zu folgen.
Wir arbeiten heute draußen. Ich sehe seit 2 Tagen ausschließlich zweidimensional. Alles offenbart sich mir bloß noch als Fläche, in die ich immer fort hineinzurennen glaube. Jeder Schritt erfüllt mich mit tiefer Angst. Unglücklicherweise sollen wir heute die verschiedenen Bereiche der Hochschule perspektivisch darstellen.
Ich scheitere.
Hier die Ergebnisse:
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Teil der Behandlung ist es, ununterbrochen, auch zwischen den einzelnen Sitzungen, zu zeichnen.
Vermutlich soll die eigene Umgebung so auswendig gelernt werden. Den therapeutischen Ansatz dahinter erkläre ich mir folgendermaßen: Es entlastet die Augen, wenn sie nicht erst verstehen müssen, was sie betrachten. Wenn sie es einfach schon wissen, weil sie es schon einmal gesehen und es sich, bei diesem ersten Sehen, eingeprägt haben. Versuche ich mir beispielsweise vorzustellen, wie ein Flugzeug genau aussieht, so fällt mir auf, dass ich keine Ahnung habe. Ich habe ein Symbol, aber ein ernstzunehmendes Bild, an das ich nach Belieben herantreten könnte, um es in all seinen feinen Einzelteilen zu betrachten, zeichnet sich mir vor meinem inneren Auge nicht ab. Ein jedes Mal also, wenn ich ein Flugzeug sehe, muss mein Auge es mir von neuem übersetzen, weil mein inneres Auge sich dem Vokabellernen verweigert hat. Dieses Lernen soll im Laufe der Behandlung nachgeholt werden, so meine Vermutung, um die schreckliche Disharmonie zwischen meinem Außen- und Innen-Auge, die zweifellos der Kern all meiner Schmerzen ist, endgültig in Einklang zu bringen.
Hier einige dieser Vokabelübungen:
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Ich habe begonnen, Menschen mit in die Übungen aufzunehmen. Sie bewegen sich nur leider ununterbrochen, was es enorm schwierig macht, sie akkurat auf dem Papier einzufangen. Hinzu kommt eine vernichtende Müdigkeit, die mich seit Tagen nicht loslässt. Wann immer meine Augen sich auf einem Menschen ausruhen, um ihn sehen zu lernen, fallen mir meine Augenlider zu. Ich muss meinen Blick also stetig in Bewegung halten und ihn springen lassen zwischen Papier und Mensch.
Hier einige dieser Anstrengungen:
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Die heutige Sitzung findet erneut im altbekannten Raum statt. Die Temperatur ist seit dem dritten Behandlungstag um weitere 14° Grad gestiegen. Hitze muss ein gewollter und essenzieller Teil der Therapie sein, anders ließe sich die Raumwahl nur als versuchte Körperverletzung erklären. Ich versuche also nicht, mich ihr (der Hitze) zu entziehen, sondern mich ihr gänzlich hinzugeben. Ich trage ausnahmslos lange schwarze Gewänder, die allesamt ineinander verschmelzen. So habe ich meine Hose in meine Socken gesteckt und darüber feste schwarze Stiefel gezogen. Der Übergang von Hose zu Oberkörper ist versiegelt durch ein Unterhemd, das in der Hose steckt. Darüber liegt ein Rollkragenpullover, dessen Ärmel in schwarzen Handschuhen verschwinden. Überworfen ist all das von einem massigen Wollmantel, aus dem nur meine Stiefel und mein Kopf herausragen. Letzterer ist umwickelt mit einem schwarzen Schal. Ich kann kaum atmen und ziehe unentwegt Wasser durch einen Strohhalm, der aus meinem Schal herausragt und dessen anderes Ende in einem Waschbecken steckt, neben dem ich mich in weiser Voraussicht für die heutige Sitzung platziert habe. Der Hahn des Beckens läuft ununterbrochen und dennoch füllt es sich nicht auf – wenngleich der Stöpsel steckt. So gierig versuche ich, den Wasserverlust, den mein Körper in schier endlosen Schweißausbrüchen erleidet, auszugleichen.
Wir sollen Stühle zeichnen. Meine Versuche der letzten Wochen, die Menschen sehen zu lernen, gestatten mir aber keinen klaren Fokus, und so morphen sich Möbel und Fleisch zu einem.
Der sich anbahnende Hitzschlag tut das Übrige.
Hier die Ergebnisse:
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Ich zeichne weiter Menschen. Langsam wandeln sie sich zu einer Masse. Es sind immer wieder dieselben Klumpen, dieselben Knorpel, derselbe Schatten. Ich begreife allmählich. Unter ihrer aller Haut, unter allem Fett und Haar wandert die immer selbe Fleisch-Maschine.
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Erneut befinden wir uns außerhalb der Hochschule.
Ich bin erleichtert. So sehr ich der Hitze im Behandlungssaal auch ein jedes ihrer Heilsversprechen gutmütig abkaufe, so hätte ein erneuter Aufenthalt in ihren Armen so kurz nach der letzten Sitzung mir doch endgültig das letzte bisschen Leben aus meinem geschundenen Leib herausgepresst.
Wir besuchen heute ein Museum und haben darin Verschiedenes abzuzeichnen. Ich habe mir zunächst die größten Sorgen um die heutige Stunde gemacht, da die Müdigkeit mir weiter unnachgiebig auflauert und meine Augen zum Verschluss zwingt, sobald diese sich gar zu lange in der ruhigen Betrachtung eines Gegenstandes oder Lebewesens versuchen. Ich habe die Überlegung angestellt, meine Lider schlicht abzuschneiden, da sie mich in meinem Heilungsprozess doch nur behindern. Jedoch widerspricht dem zweierlei. Zum einen wären meine eh schon trockenen Augen so der verlässlichsten Methode ihrer Befeuchtung beraubt. Zum anderen drohten mir meine Augen, seit sie mir zusammenschrumpften, nun schon das ein ums andere Mal beinahe aus dem Kopf herauszufallen, wären da nicht meine Lider ihnen zuvorgekommen, indem diese fleischigen Vorhänge sich den Flüchtigen verlässlich in den Weg warfen.
Es gelang mir jedoch ein Kompromiss.
Durch die Behandlung meiner Lider mit allerhand Chemikalien (die ich hauptsächlich nach ihrer farblichen Kompatibilität zusammengemischt habe), sind diese inzwischen komplett durchsichtig.
So können sie weiter den Großteil der ihnen von Gott gegebenen Aufgaben erfüllen, ohne mich aber in meinem Heilungsprozess weiter aufzuhalten.
Ich habe meine Augen nun also durchgehend geschlossen und öffne sie nur, um invertiert zu blinzeln (Statt; auf, zu, auf – jetzt; zu, auf, zu).
So hocke ich im Museum und zeichne das Folgende:
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Es ist die Hälfte geschafft. Anscheinend waren diese ersten 50 % als Vorbereitung für die zweite Hälfte gedacht. Während wir bisweilen jede Woche ein neues Thema angegangen sind, erhielten wir nun eine abschließende Aufgabe, mit der es sich bis zur finalen Sitzung in 6 Wochen zu beschäftigen gilt. Das bislang Gelernte soll darin zur Anwendung kommen.
Es wird uns nicht mehr vorgegeben, was wir betrachten sollen. Wir sollen eigenständig sehen.
Ich fühle mich bereit.
Meine ersten Sehversuche scheitern aber..
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Meine Augen haben seit der letzten Sitzung einen eigentümlichen Geruch angenommen, der mich in meine Kindheit zurückversetzt. Nun erfahre ich meinen Sehapparat bereits mit 4 meiner 5 Sinne.
Ich zeichne weiter:
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Ich arbeite unermüdlich an der Umsetzung der letzten Aufgabe.
Dabei muss ich der Versuchung widerstehen, nicht doch eines meiner Augen aus meinem Kopfe herausfallen zu lassen, um es mir auf die Zunge zu legen.
Es fühlt sich nicht recht an, meinen Geschmackssinn an der ungeheuren Weiterentwicklung meiner Augen nicht teilhaben zu lassen.
Ich zeichne also, um mich abzulenken:
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Ich habe mir eine Sonnenbrille zugelegt. Es war mir zuwider, dass die Wanderwege meiner Augen zu einem Spektakel mutiert sind, dessen Verfolgung all meinen Mitmenschen jederzeit offen stand, auch bei geschlossenen Lidern.
In dieser neu- bzw. zurückgewonnenen Anonymität war es mir auch wieder möglich, mich weiter mit den Menschen zu beschäftigen:
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Ich mache mich bereit zur Umsetzung des letzten Schrittes meiner finalen Heilungsaufgabe. Ich möchte eigenständig sehen. Ich möchte mich dabei lösen von dem, was sich mir nur auf den ersten Blick offenlegt. Ich möchte die Dinge sehen, wie sie wirklich sind.
Ich möchte mich sehen.
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Die Aufgabe wird besprochen. Es gibt Einzel-Konsultationen. Ich lege meine Skizzen vor, doch ich kann sie nicht beschreiben – Ich darf nicht! Sie müssen eigenständig funktionieren, sonst sind sie nichts wert.
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Ich zeichne unentwegt. Ich habe keine Zeit mehr.
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Es ist an der Zeit für die finale Umsetzung.
Ich lege mir etwas Esspapier in meine Augenhöhlen und lasse es darin sich vollsaugen, während ich mich selbst beobachte. Anschließend lasse ich das Papier mir auf der Zunge zergehen, um dem weiterhin vorherrschenden Drang zu widerstehen, meine Augen selbst zu lecken.
Ich schmecke das Bild. Es brennt sich mir auf mein inneres Auge. Ich drehe meine Augen in meinem Schädel und starre an die Decke meiner Augenhöhlen. Dann beginne ich, die Schatten zu zeichnen, die das Licht meines inneren Auges flackernd an die Höhlenwand wirft.
Platon hatte Unrecht: Die Wahrheit findet sich doch in der Höhle.
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Ich seh! Ich seh!
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Dank.