In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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Die Klanginstallation “Hello, it’s Li” nähert sich dem Element Lithium aus einer ungewohnten Perspektive. Lithium wird dabei nicht wie gewohnt als Rohstoff betrachtet, der für unzählige technische Geräte relevant ist, sondern es wird selbst zur erzählenden Instanz. Die verschiedenen Klangelemente orientieren sich an den physikalischen und chemischen Eigenschaften des Elements und bilden die wichtigsten Ereignisse seiner Geschichte anhand von sechs Phasen ab: seine Entstehung beim Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren, die Zeit im noch strukturlosen Universum, der Weg auf den Planeten Erde, die Zeit auf der Erde selbst, seine Entdeckung durch den Menschen und schließlich den Zustand als verarbeiteter Rohstoff. Die Installation will dadurch keine Fakten vermitteln, sondern lädt ein, zuzuhören und eigene Assoziationen und Szenarien zu entwickeln. Lithium erscheint dabei nicht als Objekt, sondern als handelnder und empfindsamer Akteur und es bietet sich die Möglichkeit, die Beziehung zu dem Element neu zu reflektieren – Welche Verantwortung tragen wir gegenüber Stoffen, die älter sind als der Planet selbst? Und welchen Blick wirft das Element selbst auf uns Menschen?
Unsere Technologien, Infrastrukturen und Alltagsgeräte sind auf eine Vielzahl natürlicher Materialien angewiesen und zeigen, wie eng unser Leben mit verschiedenen Ressourcen verwoben ist. Die Beziehung, die wir zu diesen Materialien haben, ist jedoch nicht neutral, sondern Ausdruck eines bestimmten Weltverhältnisses. Bereits die Begriffe „Rohstoff“ oder „Ressource“ zeugen von einer bestimmten Logik: Dinge, die als solche bezeichnet werden, scheinen den Menschen zur freien Nutzung und zum Verbrauch zur Verfügung zu stehen, quasi „there for the taking” (Crawford, 2021, S. 106).
Um solche Verhältnisse sichtbar zu machen, eignet sich der Ansatz des Wissenschaftlers Jussi Parikka, der für eine geologische Perspektive auf Medien plädiert. In seinem Buch A Geology of Media (2015) beschreibt er, dass Medien nicht losgelöst von ihrer materiellen Grundlage gedacht werden können. Medien bestehen aus Metallen, Mineralien und Energieflüssen und sind damit in die Tiefenzeit der Erde eingeschrieben (vgl. Parikka, 2015, S. 5). Parikka erinnert daran, dass jeder Datenträger, jede Batterie, jeder Bildschirm auf geologische Prozesse zurückgeht, die Millionen bis Milliarden Jahre alt sind. Der Abbau dieser Stoffe, oft unter extremen ökologischen und sozialen Kosten, spiegelt ein Verhältnis wider, das Parikka als „medianatures“ bezeichnet: Eine enge, aber asymmetrische Verflechtung von technologischen Medien und natürlichen Gegebenheiten (vgl. Parikka, 2015, S. 14).
Ausgehend von dieser theoretischen Annäherung habe ich das Verhältnis von Lithium und Mensch näher in den Blick genommen. Die von Parikka erwähnte Asymmetrie zeigt sich hier besonders deutlich: Lithium, als ein Element welches sich über Milliarden von Jahren gebildet hat und nur in begrenzter Menge auf der Erde vorhanden ist, wird heute in großem Stile abgebaut, um damit Technologien zu betreiben, die oft nur wenige Jahre genutzt werden. Dieser massive Eingriff in geologische Zeiträume steht in keinem Verhältnis zur Kurzlebigkeit der Produkte, für die das Element verwendet wird – in den Worten Kate Crawford’s: „From the perspective of deep time, we are extracting Earth’s geological history to serve a split second of contemporary technological time […]” (Crawford, 2021, S. 31).
Daran anknüpfend versucht das Projekt einen Perspektivwechsel, indem es dem Element Lithium eine eigene Subjektivität zuschreibt, aus der heraus wahrgenommen und erzählt wird. Lithium agiert nicht mehr als “Rohstoff”, sondern wird selbst zum Protagonisten und handelnden Akteur. So entsteht ein alternatives Narrativ, welches neue Fragen aufwirft: Welche Geschichte erzählt das Element? Was macht seinen Charakter aus? Was sind seine Erfahrungen und Gefühle?
Mir war schnell klar, dass ich mit einem auditiven Medium arbeiten möchte, um mögliche Antworten auf diese Fragen zu finden. Im Auditiven wird der nötige Freiraum für Interpretationen gelassen und die Tendenz, ein nichtmenschliches Element zu stark zu anthropomorphisieren (wie es etwa durch Sprache entstehen kann) wird gering gehalten.
Vor diesem Hintergrund bin ich auf das Konzept der Sonic Fiction nach Kodwo Eshun gestoßen. In seinem Buch More Brilliant Than The Sun: Adventures In Sonic Fiction (1998) beschreibt er Sonic Fiction als eine spekulative Erzähform bei der Musik als eine Art Science-Fiction verstanden wird, die Geschichten über mögliche Zukünfte, alternative Realitäten und posthumane Zustände erzählt. Sound wird so zu einem Erfahrungsraum, der neue Denk- und Hörweisen eröffnet (vgl. Eshun, 1998, S. 003-002).
So entstand schließlich die Idee eines Klangtagebuchs, das ausgewählte Ausschnitte aus der Existenzgeschichte von Lithium hörbar macht. Der Begriff „Tagebuch“ verweist dabei auf eine persönliche und emotionale Ebene: Die Klänge sollen erfahrbar machen, was Lithium aus seiner eigenen Perspektive erzählen könnte – so, wie man in einem Tagebuch intime Eindrücke, Erinnerungen oder Gedanken festhält. Daran anknüpfend eröffnet die auditive Ebene einen Zugang zu Lithium, der über die rein sachliche Vermittlung von Zahlen und Fakten hinausgeht. Sie schafft Raum für Imagination und Irritation und ermöglicht es, ein differenzierteres Gefühl für das Element zu entwickeln – jenseits seiner Rolle als “Rohstoff“.
Da Lithium in diesem Projekt als Protagonist verhandelt wird, bestand ein Großteil der Recherche aus einer intensiven und ganzheitlichen Auseinandersetzung mit dem Element. Im Zuge dessen habe ich mich mit den chemischen und physischen Eigenschaften Lithiums beschäftigt, mit seiner Entstehung und Geschichte, seinem Vorkommen auf der Erde sowie seiner Rolle als Ressource für die Menschheit und der damit verbundenen Extraktion, Gewinnung und Weiterverarbeitung. Im Folgenden werde ich auf die zentralen Eigenschaften und Stationen eingehen.
Lithium ist ein silberweißes, weiches Leichtmetall und hat bei Raumtemperatur die geringste Dichte aller festen Elemente. Es ist so weich, dass man es sogar mit einem Messer schneiden kann und ist, wie alle Metalle, ein guter Strom- und Wärmeleiter. Außerdem ist es äußerst reaktiv und reagiert bereitwillig mit vielen Elementen und Verbindungen. Daher ist es in seiner elementaren Form in der Natur auch nicht anzutreffen, denn es reagiert bereits mit Luft oder Wasser (Institut für seltene Erden und Metalle, 2021). Aus diesem Grund ist es auf unserer Erde entweder in gelöster Form, als Lithium-7-Ionen in sogenannten Salaren, oder in fester Form, als Bestandteil magmatischer Gesteine, den sogenannten Pegmatiten, zu finden (ebd.).
Die Entstehung Lithiums reicht bis zur Geburtsstunde des Universums zurück – es entstand nämlich bereits in den ersten Minuten nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren.
Die Natur hat die chemischen Elemente, aus denen alle Sterne und Planeten, alle Organismen und auch wir Menschen bestehen, in zwei Phasen erzeugt (Welt der Physik, 2022). In der ersten Phase der Elementsynthese, die die Minuten nach dem Urknall beschreibt, entstand Lithium als eines der ersten und leichtesten Elemente. Neben Lithium bildeten sich große Mengen Wasserstoff, Helium und eine geringe Menge Beryllium. Anschließend sank die Temperatur und der Druck im Universum so stark, dass keine weiteren Atomkerne mehr gebildet werden konnten. Erst mehrere hundert Millionen Jahre später, mit der Entstehung der ersten Sterne, begann eine zweite Phase der Elementsynthese. In den heißen Kernen dieser Sterne fusionierten leichtere Elemente zu schwereren – ein Prozess, durch den auch Lithium in geringen Mengen erneut entstand. Zusätzlich bildete sich Lithium auch außerhalb von Sternen, wenn hochenergetische kosmische Strahlung mit Teilchen im interstellaren Gas zusammenstießen (Einstein online, o.D.).
Diese Prozesse liefen über Milliarden von Jahren so ab und bis heute kann auf diese Weise neues Lithium im Universum entstehen. Verfolgt man die Geschichte des Lithiums weiter bis auf die Erde, durchläuft das Element noch weitere Phasen.
Ein weiteres großes Ereignis war die Entstehung unseres Sonnensystems vor etwa 4,6 Milliarden Jahren. Aus einer riesigen Wolke aus Gas, Staub und Gesteinstrümmern, in der auch Lithium enthalten war, formte sich zuerst die Sonne und nach und nach die Planeten (geo.de, 2025). Etwa 100 Millionen Jahre später bildete sich so auch die Erde. In ihrer Anfangszeit war sie ein glühender Magma-Ozean, in dem sich Lithium als leichtes Element löste und sich in den oberen Schichten des Erdmantels sammelte (ebd.).
Mit der Abkühlung der Erde begann sich eine feste Erdkruste zu bilden. Das darin enthaltene Lithium wurde dabei in verschiedene Mineralien gebunden – vor allem in silikatischen Gesteinen. Aufgrund seiner geringen Dichte konzentrierte sich das Lithium vorwiegend in den oberen Bereichen der Erdkruste (ebd.).
Als etwa 500 Millionen Jahre später das Wasser auf den Planeten gelangte und sich aus Seen Ozeane bildeten, wurden durch geologische Prozesse wie Verwitterung und Erosion auch Teile des Lithiums im Wasser gelöst. Seit jeher gibt es zwei Arten von Lithiumvorkommen auf der Erde: in magmatischen Gesteinen gebundenes Lithium und in Wasser gelöstes Lithium. An dieser Stelle ist festzuhalten, dass es sich bei Lithium mit einem Erdkrustenanteil von 0,006% um ein seltenes und endliches Element handelt (Institut für seltene Erden und Metalle, 2021). Es bildet sich kein neues Lithium mehr auf der Erde, sondern sein Vorkommen ist auf die Menge beschränkt, die bei der Entstehung der Erde bereits vorhanden war. Dieser Aspekt wird vor allem dann relevant, wenn man Lithium als Ressource betrachtet, die für bestimmte Zwecke eingesetzt wird.
Zwar wurde Lithium bereits vor über 200 Jahren entdeckt, doch lange Zeit fand das Element kaum praktische Anwendung (Institut für seltene Erden und Metalle, 2021). Erst seit etwa 2007 gewinnt es zunehmend an Bedeutung – insbesondere durch seine zentrale Rolle in der Herstellung von Lithium-Ionen-Akkus, wie sie in Smartphones, Laptops, E-Autos und E-Bikes verwendet werden. Die weltweite Nachfrage steigt seither kontinuierlich an (ebd.). Ursprünglich wurde Lithium vor allem durch den Abbau lithiumhaltiger Gesteine im Bergbau gewonnen, was jedoch ein energie- und kostenintensives Verfahren ist. Heute stammt ein Großteil des Lithiums aus salzhaltigen Seen, sogenannten Salaren, vor allem in Südamerika, wo das Lithium durch Verdunstung aus dem Untergrundwasser gewonnen wird (Geology Science, 2023). Aufgrund der weltweit steigenden Nachfrage und der begrenzten Ressourcen werden inzwischen auch alternative Methoden erforscht – unter anderem die Gewinnung von Lithium aus Meerwasser (Institut für seltene Erden und Metalle, 2021).
Der Abbau von Lithium ist sehr umstritten. Für die Gewinnung aus Salzseen wird extrem viel Wasser verbraucht und das häufig in Regionen, die ohnehin unter Wasserknappheit leiden (deutschlandfunk.de, 2019). Zusätzlich führt der Einsatz von Chemikalien zur Verschmutzung von Böden und Trinkwasser. Dies gefährdet lokale Ökosysteme und die Lebensgrundlage der vor Ort lebenden Gemeinschaften. Auch die ungleiche Verteilung der wirtschaftlichen Gewinne und schlechte Arbeitsbedingungen sind zu erwähnen (SWR Doku, 2024).
Nach der intensiven Beschäftigung mit den Eigenschaften und der Geschichte Lithiums – von Theorien zum Urknall und zur Entstehung des Sonnensystems über atomphysikalische und chemische Grundlagen bis hin zu verschiedenen Methoden zur Lithiumgewinnung – stellte sich die Frage, wie sich aus diesen verschiedenen Aspekten eine eigene Geschichte erzählen lässt. Eine Geschichte, in der Lithium die Rolle des Protagonisten und Erzählers zukommt sowie eine Reflexion über die Beziehung “Mensch ←→ Lithium” angeregt wird. Vor diesem Hintergrund entstand dann die Idee eines Klangtagebuchs, welches ausschnitthaft entscheidende Ereignisse aus den 13,8 Milliarden Lebensjahren des Elements abbildet. So war es möglich Lithium eine Stimme zu geben und gleichzeitig die extreme zeitliche Asymmetrie zwischen der langen Geschichte des Elements und den vergleichsweise kurzen, aber massiven menschlichen Eingriffen greifbarer zu machen.
Ich hatte das Glück, dass ich bei der Entwicklung der sechs Klangstücke mit dem Komponisten für elektronische Musik Moritz Schindewolf zusammenarbeiten konnte, der ausgehend von meinen detaillierten Beschreibungen in Ableton in eine auditive Version erarbeitet hat. Als Quellmaterial dienten dabei eigene Aufnahmen sowie einfache Töne, aus denen mithilfe verschiedener Klangmodulationsverfahren neue Klanglandschaften geschaffen wurden. Dabei arbeitete Moritz vor allem mit Granularsynthese, Frequency Shifting, Frequenzmodulation und Ringmodulation – Techniken, mit denen sich die Klangfarbe und Struktur von Tönen stark verändern lassen.
Ein Teil des Klangmaterials stammt aus Tonaufnahmen, die ich selbst für die Installation erstellt habe: Mithilfe eines Kontaktmikrofons habe ich unter anderem das Brechen von Wellen an Felsen aufgenommen – als klangliche Interpretation des Lithiumvorkommens auf der Erde in Gestein und Wasser (Phase drei und vier). Außerdem habe ich für Phase sechs die Geräusche aufgezeichnet, die beim Gebrauch von Smartphones oder Laptops entstehen – also genau jenen Technologien, in denen Lithium-Ionen-Akkus verbaut sind. Durch das Kontaktmikrofon klingen die Aufnahmen von Tippgeräuschen oder Vibrationen besonders direkt und körperlich – passend zu der Vorstellung, dass Lithium im Inneren dieser Geräte von genau diesen Klängen umgeben ist.
1 & 2 – Lithiumhaltiges Gestein im Geologischen und Mineralogischen Museum in Kiel
3 – Zoom Audiorecorder mit Kontaktmikrofon
4 & 5 – Tonaufnahmen in Monemvasía, Griechenland
Bevor es an die klangliche Ausarbeitung der sechs Phasen ging, war ein entscheidender Arbeitsschritt Lithium als klanglichen Protagonisten hervorzuheben und die Frage zu beantworten, wie Lithium an sich klingen könnte. Als Orientierung dienten dabei vor allem die physikalischen und chemischen Eigenschaften: Lithium als leichtes und reaktionsfreudiges Metall. Ausgehend davon wurde ein Grundton gewählt, der in einem Frequenzbereich liegt, der oft als “energetisch“ und “hell“, aber nicht schrill empfunden wird (bei ca. 420 Hz). Durch Frequenzmodulation wurde daraus ein Klang mit mehr Obertönen und Eigencharakter geformt, um Lithium gegenüber den anderen Klängen mehr hervorzuheben. Um seine Reaktionsfreudigkeit abzubilden, wurde der Lithium-Sound durch leichte Frequenzverschiebungen etwas destabilisiert, woraus sich ein schwingender Klang ergeben hat. Der daraus entstandene charakteristische Lithium-Sound passt sich in den jeweiligen Phasen an die verschiedenen Ereignisse an: So klingt beispielsweise das in Gestein gebundene Lithium tiefer und schwingt langsamer, während es in der in Wasser gelösten Form höher klingt und schneller schwingt.
Raw Lithium-Sound: https://on.soundcloud.com/6XZzSClN3svWWJQqj4
Für die Vertonung der sechs Phasen stand an erster Stelle jeweils eine möglichst konkrete und detaillierte Beschreibung der verschiedenen Klangelemente. Es galt für jeden Abschnitt zu überlegen, welche der Ereignisse auf welche Weise vertont werden sollten. Dazu zählte eine genaue Beschreibung der Klangfarbe, der generellen Stimmung, des Verlaufs innerhalb der Phase, des Tempos sowie mögliche klangliche Inspirationen oder Referenzen. Außerdem ginge es auch hier immer darum, aus der Perspektive von Lithium zu denken: Der Urknall wird beispielsweise nicht als gewaltige Explosion inszeniert, sondern als kaum hörbare Druckwelle. Denn Lithium entstand selbst erst kurz nach dem Urknall und wäre zu diesem Zeitpunkt noch nicht anwesend gewesen, um eine laute Entladung wahrzunehmen.
Nach mehreren Feedback-Runden, in denen ich Moritz Rückmeldungen zu seinen Entwürfen gegeben habe, sind schließlich sechs Klangstücke zwischen zwei und sechs Minuten entstanden:
Geburt (Jahr 0 - 200.000):
Ein Druckwelle symbolisiert die Entstehung des Universums. Aus dieser Bewegung heraus beginnt sich der Klang von Lithium allmählich zu formen: Die Klanglandschaft drumherum ist weit und offen und beschreibt das noch junge und strukturlose Universum, in dem Lithium gerade erst in Erscheinung tritt.
https://on.soundcloud.com/jRRJ6fT8eKUOpxgvT1
Erkundung (Jahr 200.000 - 9.200.000.000):
Mit der Entstehung der ersten Sterne beginnt für Lithium eine Phase ständiger Bewegung und Umwandlung. Es wird Teil von Fusionsprozessen, verschmilzt mit anderen Elementen, wird zerstört und in Sternexplosionen wieder neu gebildet. Im Hintergrund liegt ein gleichmäßiger, atmosphärischer Klangteppich, der das stetige Pulsieren des frühen Universums hörbar macht. Im Vergleich zur ersten Phase rückt das Lithium klanglich näher, da der Entstehungsprozess nun abgeschlossen ist und es sich frei durch seine Umgebung bewegt.
https://on.soundcloud.com/85G9fJXxYFl1VjCdKP
Ein neuer Anfang (Jahr 9,2 Mrd. - 9,5 Mrd.):
Aus einer dichten Wolke aus Gas und Staub formt sich ein neues Sonnensystem. Lithium ist Teil dieses Umbruchs und wird schließlich auch Teil der jungen Erde. Der hallende Klangraum des Universums tritt zurück und es entstehen neue akustische Ebenen: das Brodeln flüssigen Gesteins, das Zischen der abkühlenden Erdoberfläche, das erste Plätschern von Wasser. Lithium wandert durch unterschiedliche Zustände – mal gelöst im heißen Magma, mal gebunden in festen Gesteinsschichten, dann wieder frei im Wasser. Diese Bewegungen spiegeln sich in einer sich wandelnden Klangtextur, in der Tempo und Schwingung, je nach Form, in der Lithium gerade existiert, variieren.
https://on.soundcloud.com/DOX8P71jsh9Ip5UFQ7
Zwischen Wasser und Stein (Jahr 9,5 Mrd. - 13.799.999.800):
Mehr als 99,999995 % seiner Existenz auf der Erde verbringt Lithium unberührt, gebunden in Gestein oder gelöst in Wasser. Die Klangebene greift diesen Zustand auf: Wasser- und Wellengeräusche wechseln sich mit tiefen, basslastigen Klangflächen ab. Mal stehen beide Klangwelten isoliert nebeneinander, mal überlagern sie sich, was die beiden Zustände symbolisiert, zwischen denen das Element durch Erosion, Verwitterung und Ablagerung pendelt.
https://on.soundcloud.com/RxfFyTjzY1RpxgCpSl
Unruhe (Jahr 13.799.999.800 - 13,8 Mrd.):
Nach fast 13,8 Milliarden Jahren freier Existenz wird Lithium erstmals gezielt vom Menschen extrahiert. Ein neuer rhythmischer Klang tritt in den Vordergrund, der für die menschliche Ordnung, das Streben nach Kontrolle und Struktur steht. Der Moment, in dem Lithium zum relevanten „Rohstoff“ erklärt wird, markiert einen radikalen Bruch und zeigt sich im Klang als greller, fast blendender Ton, der wie ein Lichtstrahl plötzlich auf etwas lange Verborgenes fällt.
https://on.soundcloud.com/TZBRUu22WRK4hIRipV
Entfremdung (Jahr 13,8 Mrd.):
Lithium ist zum Schlüsselmaterial moderner Technologie geworden. Es steckt in Smartphones, Laptops und Werkzeugen. Als Folge dieser Entwicklung ist Lithium immer weniger Teil geologischer Kreisläufe und verbringt stattdessen seine Zeit eingeschlossen in der Geräuschkulisse menschlicher Nutzung. Der neue Klangraum ist nah, dicht und monoton: geprägt von Tippgeräuschen, Vibrationen und entferntem Stimmengewirr. Was zuvor beweglich und offen war, klingt nun passiv und eingeengt.
Die Idee, die Klangstücke in Form einer Installation zu präsentieren, entwickelte sich erst im Laufe des Arbeitsprozesses. Eine rein auditive Wiedergabe schien mir im Hinblick auf mein Vorhaben zunehmend zu eindimensional, da sie die Wahrnehmung auf ein Sinnesorgan und eine lineare Rezeption beschränkt hätte. Doch gerade um die zeitliche Asymmetrie in der Beziehung zwischen Mensch und Lithium erfahrbar zu machen, stellt eine Installation in meinen Augen das passendere Medium dar, da sie eine räumliche und körperliche Bezugsebenen darstellt. Die Anordnung der sechs Phasen im Raum, die Wahl und Positionierung der Lautsprecher, Lautstärkeverhältnisse oder ergänzende visuelle Elemente stellen alle gestalterische Variablen dar, die jeweils im Sinne der Erzählung angepasst werden können und die Wahrnehmung dieser beeinflussen.
Das grundlegende Konzept der Installation ist, dass alle sechs Klangstücke über sechs im Raum verteilte Soundquellen wiederholt abgespielt werden. Zuhörende können durch ihre Position im Raum sowohl fokussiert einzelne Phasen anhören als auch die Überlagerung mehrerer Klangebenen erfahren. Dieser Aufbau bricht mit der Vorstellung einer linearen Zeitachse und ermöglicht stattdessen die Erfahrung von Gleichzeitigkeit – in Bezug auf Ereignisse, Zustände und Bewegungen, die nebeneinander bestehen. Orientierung im Raum bietet eine Schnur, die spiralförmig auf dem Boden verläuft und sich von ihrem Mittelpunkt aus Richtung Decke windet. Das äußere Ende der Spirale markiert den Moment des Urknalls (Jahr 0), das obere Ende, welches an der Decke befestigt ist, steht für die Gegenwart (Jahr 13,8 Milliarden). Die sechs Phasen sind entlang dieser Spirale positioniert; Markierungen benennen jeweils den zeitlichen Abschnitt sowie den Titel der Phase.
Phasen 1-3, die die Jahre vor der Zeit auf dem Planeten Erde umfassen, werden jeweils über ein Lautsprecher-Paar wiedergegeben. Die Boxen stehen relativ nah beieinander, sodass dazwischen ein konzentrierter Klangraum entstehen kann, der ein fokussiertes Zuhören der einzelnen Phasen erlaubt. Für Phase 1 ist zusätzlich ein Subwoofer eingeplant, um die Druckwelle des Urknalls körperlich spürbar zu machen.
Phase 4 befindet sich im Mittelpunkt der Spirale in einer Art Klangkabine auf Stelzen. Die Verlagerung entlang der Schnur in die Höhe symbolisiert die Tiefenzeit der Erde; Zeit verläuft hier nicht horizontal, sondern vertikal. Die Klangkabine lässt sich mit einem Vorhang verschließen und ermöglicht eine konzentrierte Erfahrung der Lithium-Klänge in Wasser und Stein. Sie verfügt außerdem über zwei Lautsprecher: Auf dem einen werden die Tonspuren abgespielt, die Lithium im Gestein repräsentieren, auf dem anderen die, die Lithium im Wasser darstellen. So lassen sich beide Zustände differenziert und dennoch gleichzeitig erleben.
Phase 5 wird über einen einzelnen gerichteten Lautsprecher wiedergegeben, der sich direkt neben und etwas oberhalb der Klangkabine (Phase 4) befindet. Die Box ist auf einem Metallgestell montiert und gibt die Klänge gezielt in eine Richtung ab. Im Gegensatz zu den anderen immersiven Setups, die jeweils eigene Klangräume erschaffen, wirkt diese Soundquelle klar und fast aufdringlich. Wie die Zäsur, die innerhalb der Phase beschrieben wird, greift so auch ihr Aufbau klanglich in den Raum ein.
Phase 6 wird schließlich über ein Smartphone wiedergegeben. Dieses hängt an einem transparenten Nylonfaden befestigt von der Decke und ist mit dem Endpunkt der Spirale verbunden. Der Klang ist nur über Kopfhörer hörbar, die mit dem Gerät verbunden sind. Hier spricht Lithium quasi direkt aus dem Inneren der Technologie heraus, in der es verbaut ist.
Leider konnte eine Umsetzung der Installation im Rahmen dieser Projektarbeit und durch den Mangel an Equipment bislang nicht umgesetzt werden und beschränkt sich daher noch auf ein Modell.
Als kleiner Ausblick kann unter folgendem Link eine grobe Vorstellung davon gewonnen werden, wie sich eine Überlagerung der sechs Klangstücke anhören könnte: https://on.soundcloud.com/wagy7U5zwmtOQjgSUa
Verschiedene Ansichten der sechs Phasen modelliert in Blender.
Sie dienen der Veranschaulichung des Grundkonzepts der Installation und stellen noch keine finale Version dar.
Abschließend lässt sich sagen, dass sich dieses Projekt vor allem mit zwei zentralen Aspekten beschäftigt hat: der Frage, wie einem nichtmenschlichen Element eine eigene Stimme und Subjektivität verliehen werden kann; und dem Potenzial von Sound als Medium, um genau diesen Perspektivwechsel erfahrbar zu machen.
Durch den Blick des Elements konnten zwar neue Betrachtungsweisen und Einschätzungen gewonnen werden, aber dennoch stellen die Klangstücke eine subjektive Interpretation dar. Die Wahl eines auditiven Mediums hat sich in meinen Augen bewährt: Durch die Klangstücke werden Bilder und Assoziationen erzeugt, die eine Geschichte erzählen und dennoch Freiraum zur Interpretation lassen und nicht zu viel anthropomorphisieren.
Erst bei einer finalen Umsetzung der Installation im Raum wird es möglich sein, die sechs Klangstücke im Verhältnis zueinander abzustimmen. Die Wahl der Lautsprecher, die Größe und Akustik des Ausstellungsraums, die Positionierung und Ausrichtung entlang der Spirale sowie generelle Einstellungen von Lautstärke, Tonhöhen und -tiefen und Bässen werden entscheidend beeinflussen, wie das gesamte Werk erfahrbar wird. Dabei wird sich auch die Frage stellen, wie viel Kontext nötig ist, um das Erzählte zu verstehen und wie viel Offenheit es braucht, damit eigene Deutungen möglich bleiben?
Neben den inhaltlichen Aspekten, auf deren Grundlage die Klanginstallation aufbaut, wurde sie auch durch verschiedene kreative Projekte inspiriert. Bezüglich der grundlegenden Herangehensweise war die Arbeit von Jost Wessel sehr interessant für mein Vorhaben. In seinem Projekt Zinnwaldite, KLiFeAlO₁₀₂ (2023) arbeitet er direkt mit Tonaufnahmen aus einer Lithiummine und von Experimenten mit Lithium selbst. Das daraus entstandene Klangstück verfolgt ebenfalls das Ziel, dem Element eine eigene Stimme zu verleihen. Darüber hinaus wurde ich klanglich von dem Stück Valley Flow (1991-92) von Denis Smalley inspiriert. Er verwendet sehr haptische Klänge und eröffnet dadurch konkrete Räume und Perspektiven in der Vorstellung der Zuhörenden. Auch die musikalische Darstellung von Nähe und Distanz, die ihm sehr gut gelingt, war für mein eigenes Projekt relevant.
Während meinen Überlegungen hinsichtlich einer Vertonung von Lithium selbst bin ich auf das Album Silicate Squeak (2021) von Windowseeker gestoßen. Es orientiert sich klanglich an der Kristallstruktur von Silikaten und stellt damit ein interessantes Beispiel dar, wie chemische Verbindungen vertont werden können.
Auf der installativen Ebene wurde ich schließlich von den Arbeiten von Natasha Barrett und dem Projekt donatus subaqua (1996) von Klaus Osterwald inspiriert. Beide arbeiten mit Naturaufnahmen und ermöglichen den Zuhörenden in ihren Installationen eine verstärkte Wahrnehmung dieser Naturklänge. Bei den Projekten von Natasha Barrett hat mir besonders gefallen, dass häufig die Umgebungsgeräusche an den jeweiligen Ausstellungsorten live in die Installation einfließen und diese mitgestalten. Somit schafft sie nicht nur ein verstärktes Bewusstsein für die Umgebung und Natur, sondern lässt die Zuhörenden auch Teil der Erfahrung werden. Beide Künstler*innen arbeiten mit Klängen, die die freie Assoziation anregen und schaffen es durch eine auditive Dokumentation ihrer Umwelt die Aufmerksamkeit auf sonst unsichtbare und übersehene Details zu richten, was mir erneut die Potenziale von audiobasierten Medien vorgeführt hat.
Zuletzt hat mich das Projekt Deep Time Walk (2016) für die räumliche Konzeption meiner Installation inspiriert. Der Deep Time Walk ist ein Audiowalk zur Geschichte der Erde, welcher auf eine Strecke von 4,6 Kilometer angelegt ist – entsprechend der 4,6 Milliarden Jahre, die das Alter der Erde beschreiben. Dabei passt sich der Audiowalk dynamisch an die Gehgeschwindigkeit der Nutzer*innen an und verändert entsprechend die Klanglandschaft. Neben der Vermittlung geologischer Fakten wird die Erdgeschichte dabei über die körperliche Ebene des Gehens erfahrbar gemacht und so in ein direktes, räumlich-zeitliches Verhältnis zur eigenen Existenz gesetzt.
Crawford, K. (2021). Atlas of AI. In Yale University Press eBooks. https://doi.org/10.12987/9780300252392
Deep Time Walk - explore Earth history and geological time. (2025, 24. Juli). Deep Time Walk. https://www.deeptimewalk.org/
deutschlandfunk.de. (2019, 30. April). Lithium-Abbau in Südamerika - Kehrseite der Energiewende. Deutschlandfunk. https://www.deutschlandfunk.de/lithium-abbau-in-suedamerika-kehrseite-der-energiewende-100.html
Donatus Subaqua, von Klaus Osterwald. (1998). https://klausosterwald.de/klang-sound-installation/donatussee/
Einstein-Online (o. D.). Der Blick in die chemische Vergangenheit. https://www.einstein-online.info/spotlight/bbn_obs/
Eshun, K. (1998). More Brilliant Than the Sun: Adventures in Sonic Fiction.
geo.de. (2025, 25. April). Die Entstehung der Erde. https://www.geo.de/wissen/erdgeschichte-die-entstehung-der-erde-30176484.html
Geology Science. (2023, 23. April). Lithium (LI)-Erz. https://de.geologyscience.com/ore-minerals/lithium-li-ore/?_gl=1*1q2w5ho*_ga*NjEzNDkyNDI2LjE3NDQ3MjkxNDg.*_ga_KBCMV5RQC8*czE3NDY0NTIxMTEkbzQkZzEkdDE3NDY0NTIxODMkajYwJGwwJGgw
Institut für seltene Erden und Metalle. (2021, 21. November). Lithium Preis, Geschichte, Vorkommen, Gewinnung und Verwendung. Institut für Seltene Erden und Strategische Metalle e.V. https://institut-seltene-erden.de/seltene-erden-und-metalle/strategische-metalle-2/lithium/
Natasha Barrett - Composer, Sound-artist, Performer, Immersive and 3D sound specialist. (o. D.). Natashabarrett. https://www.natashabarrett.net/
Parikka, J. (2015). A Geology of Media. https://doi.org/10.5749/minnesota/9780816695515.001.0001
Silicate Squeak, von Windowseeker. (2021, 3. Dezember). Infinite Drift. https://infinite-drift.bandcamp.com/album/silicate-squeak
SWR Doku. (2024, 2. April). Umweltzerstörung beim Abbau - Greenwashing in Brasilien? | Kampf um Rohstoffe | SWR Doku [Video]. YouTube. https://www.youtube.com/watch?v=fj-g3Ar3Vio
Valley Flow, von Denis Smalley. (2023, 14. Januar). Empreintes DIGITALes. https://empreintesdigitales.bandcamp.com/track/valley-flow
Welt der Physik (2022, 1. Mai). Entstehung der Elemente. https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/hadronen-und-kernphysik/elemententstehung-und-erzeugung/entstehung-der-elemente/
Zinnwaldite, KLiFeAlO₁₀₂, von Jost Wessel. (2024, 21. Januar). https://fhp.incom.org/project/24912