In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
Während alles sich verändert, ist es der Wandel, der beständig bleibt. Sowohl auf individueller, als auch auf gesellschaftlicher Ebene wollen Menschen sich erinnern. Doch jeder Moment kann nur einmalig erfahren werden, jeder Versuch des Erinnerns unterliegt ist vielmehr eine (Re-)Konstruktion der „eigentlichen Erinnerung“.
Ich hatte bereits vor ein paar Jahren ein Projekt zum Thema „Flüchtiges Festhalten“ gemacht und mich in dem Rahmen mit der Fragilität eigener Erinnerung auseinander gesetzt. In dem alten Projekt war dies nicht der Hauptpunkt und eher ein kleinerer Aspekt einer eigentlich anderen Thematik, doch das Thema ließ mich nie ganz los und so sah ich diesen Kurs als gute Möglichkeit, hier noch weiter einzutauchen.
Also begann das Semester für mich mal wieder mit Recherche zum Thema Erinnerungen, Konfabulation und dem Mandela Effekt.
Das Langzeitgedächtnis wird unterschieden zwischen deklarativen (auch expliziten) Erinnerungen und dem impliziten Gedächtnis.
Das implizite Gedächtnis umfasst eher Fähigkeiten und unbewusstes Wissen (beispielsweise Schuhe binden oder Fahrrad fahren), das sich oft leichter ausführen als beschreiben lässt.
Das explizite Gedächtnis beinhaltet bewusste Erinnerungen, wobei hier weiter zwischen dem semantischen und episodischem Gedächtnis differenziert wird.
Im semantischen Gedächtnis speichern wir Wissen und vermeintliche Fakten, während das episodische Gedächtnis sich mit Ereignissen und Tatsachen aus dem eigenen Leben befasst.
Und genau hier wird es spannend:
Wir alle haben sicher schon einmal festgestellt, dass unsere Erinnerungen fehlerhaft sind. Denn besonders die Erinnerungen, die wir bewusst „abrufen“ können sind besonders anfällig für Veränderung. Unser Gehirn ist keineswegs wie eine Festplatte, die Dinge sicher abspeichert und unverändert wieder abrufen kann. Episodische Erinnerung werden unterfüttert, ergänzt und verändert durch Rückgriffe auf semantisches Wissen und unterliegen oftmals einer Postrationalisierung. Doch genau diese POST-rationalisierung (re)konstruiert viel mehr als dass sie einfach nur wieder gibt, ein jedes Erinnern „kontaminiert“ quasi die eigentliche Erinnerung.
Dies kann soweit führen, dass man sich an Dinge „erinnert“, die so eigentlich nie stattgefunden haben. Hier wird dann von Konfabulation gesprochen. Und bei kollektiven Konfabulationen, wie zum Beispiel eine vermeintliche Erinnerung an die Meldung von Mandelas Tod während seiner Gefangenenschaft (er starb über 20 Jahre später an einer Lungenentzündung), wird vom Mandela-Effekt gesprochen.
Das Memory Archive soll ebendiese Fragilität menschlicher Erinnerungen erforschen. Statt explizitem Ereignis oder Artefakten werden hier Erinnerungsprozesse und die Fluidität unseres Gedächtnisses archiviert.
Um dies am besten zum Ausdruck zu bringen und verbildlicht erfahrbar zu machen, entschlossen wir uns dies im Format eines interaktiven Webprojekts umzusetzen.
Parallel zur inhaltlichen Recherche versuchte ich mich an ersten Darstellungsexperimenten, wobei ich vor allem in generativer Bildgeneratoren viel Potenzial sah. Hierzu bediente ich mich oft eigener Erinnerungen und versuchte diese mit KIs nachzubilden und/oder Einzelheiten darin zu verändern.
Unten ein frühes Beispiel, mit dem Versuch eine Kindheitserinnerung zu „finden“:
Das Ergebnis dieser Veränderungen führte ich über Frame Interpolation wieder zu einem Video zusammen, welches ich dann gegebenenfalls mit After Effects noch etwas anpasste und mit verschiedenen Interaktionseffekten (Interaction on hover/mouse move/delay/custom cursor/erscheinen durch hotspot) auf ready mag platzierte.
Die Frage, was für Erinnerungen darstellen wollen, blieb bei uns lange Diskussionspunkt. Wie könnten wir „Momente“ finden, die auch bei anderen eigene Erinnerungen aufkommen lassen? Auf einem stetig wachsenden Miroboard sammelten wir verschiedene Ideen.
Doch irgendwann kam der Punkt, wo ich die Forderung „möglichst alle“ anzusprechen, aufgab. Ich wüsste nicht, wie ich Bilder schaffen sollte, die irgendeinen Anspruch an Allgemeingültigkeit haben. Zwar sind Giuliana und ich nicht ganz gleich alt und sind an unterschiedlichen Orten aufgewachsen, doch sind wir im Großen und Ganzen in wahrscheinlich recht ähnlichen Millieus unterwegs. Natürlich könnte man über Popkultur und Weltgeschehen agieren, doch auch da variiert der Kontext, in dem diese beobachtet/gelebt wurden. Um etwas zu finden, wo Leute wirklich anknüpfen können, habe ich oft den Eindruck, dass es ohnehin besser funktioniert, wenn man „oddly specific“ wird. Ich ging also meine eigene Camera Roll durch, suchte möglichst „authentische“ Bilder und fragte Personen aus meinem Umfeld nach Bildmaterial zu bestimmten Themen. So ergaben sich moodboards im weiteren Sinne, deren Inhalte ich teils zusammenführte, durch runway interpolierte, mal verbalisiert als prompt in midjourney eingab und schlichtweg ganz viel herum expermentierte. Um so eine etwas allgemeinere Stimmung für die einzelnen Themen zu erschaffen, sind nicht alles verfremdete Inhalte. Manche Videos (rennende Kinder, die Wasseroberfläche im Schwimmbad von unten, der Nebel um den Freefalltower, wie das Sonnenlicht durch die Baumkronen fällt) sind dann irgendwie so generisch, dass es bei den meisten wohl doch eigene Erinnerungen hervorruft – welche auch immer das sein mögen. Hier und da spielten wir auch mit Assoziationsketten, was wir teils durch objektbezogene Cursor, Hotspots oder Slideshows darstellten.
Als Schrift wählte ich Redaction von Titus Kaphar und Reginald Dwayne Betts, die mit ihren immer gröber werdenden Schriftschnitten Veränderung sehr gut darstellt. Zwar ging es bei der Konzeption von Redaction primär um die Reproduktion historischer Dokumente, doch den Bezug zur Verfremdung von Informationen über Zeit fand ich auch inhaltlich sehr treffend.
Die ABCDiatype Variable von Dinamo bietet sich hervorragend zur Schriftmischung mit der Redaction an und bringt als Groteskschrift aber trotzdem noch genug Kontrast.
Um der Vielzahl an visuell komplett unterschiedlichen Inhalten auf den Bilderstapeln einen Rahmen zu geben, der aber auch nicht zu viel Raum einnimmt, gestaltete ich verschiedene Entwürfe für den Hintergrund, die auch als eine Art Key Visual funktionieren sollten. Da die Redaction in ihrer pixeligen Rasterung schon recht charakterstark ist, wandte ich diesen Effekt auch für unser Key Visual an.
Farblich entschied ich mich für ein Grau mit leichtem Sepiastich, das jedoch nicht mit den Farben der Stapelmedien konkurrieren sollte.
Angelehnt an Sepia, doch deutlich gesättigter, fungiert Orange als aktive Farbe für die Webseite.
Bisher habe ich oft erst übers Konzept meine Medienwahl gefunden und dann oft auf Print zurückgegriffen. Für diesen Kurs hatte ich von Anfang an vor, ein Webprojekt zu machen und habe dabei gemerkt, wie ich umdenken musste – zumal das Memory Archive sich ja auch nicht wie eine klassische Webseite verhält.
Außerdem wurde ich jetzt wohl erfolgreich zu ready mag bekehrt – auch ohne große Coding-Kenntnisse ist es wirklich großartig, was da alles machbar ist. Trotzdem – oder vielleicht genau deswegen? – juckt es mich jetzt auf jeden Fall ein bisschen in den Fingern, vielleicht doch mal einen Coding Kurs zu belegen. Ich hätte es soo gerne gehabt, wenn verschiedene Erinnerungen wirklich miteinander verschmelzen. Apropos Konjunktiv und Fahrradkette:
Mir ist aber auch aufgefallen, wie schwer es mir bei einem Webprojekt fällt, einen Schlussstrich zu ziehen. Bei Publikationen ist nicht so viel mit hätte und könnte, irgendwann kommt das Ding in Druck und dann ist meistens erstmal Schicht im Schacht. Beim Memory Archive fällt es mir sehr schwer loszulassen und es fertig zu nennen. Man könnte meinen 150 Erinnerungsfragmente würden reichen, aber je mehr ich dran mache, desto mehr fällt mir ein, was ich noch gerne einbauen und im Detail verbessern würde.
Und ich sag mal so:
vielleicht wächst es ja auch doch noch ;)
//edit: okay, es lässt mich nicht los. Deswegen gibt es jetzt noch eine Submit-Möglichkeit, man kann mir also Erinnerungen einreichen. Dies geht durch Beschreibung oder Bildmaterial und je nachdem, was da vielleicht noch so kommt, kann das Memory Archive fröhlich vor sich hin wachsen.