In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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SwitchCoal ist ein Projekt basierend auf einer Studie, welche eine Energiepotential-Analyse an den Standorten aller weltweiter Kohlekraftwerke vornimmt, um zu beurteilen, inwiefern erneuerbare Energien in den Gestehungskosten konkurrenzfähig sind. Das eindeutig positive Ergebnis soll im Rahmen dieses Projektes kommunikativ aufbereitet werden, um möglichst großen Impact an der COP28 und darüber hinaus zu erreichen.
Das realisierte Produkt ist erreichbar unter www.switchcoal.org. Dieses Incom-Projekt behandelt jedoch nur die gemeinsame Konzeptionsphase im Rahmen der Projektwochen WS23. Die anschließende Entwicklung ist hinter diesem Link dokumentiert.
Projektwochen Oktober 2023. Zwischen unzähligen Kursen zu bewegter Typografie, Design-Software, User Interfaces oder Modellbau taucht recht spät und unauffällig noch ein weiterer Kurs mit dem kryptischen Namen „SwitchCoal @COP28“ auf. Das Besondere? Eine hautnahe und reale interdisziplinäre Auseinandersetzung mit einer der oder in vieler Augen auch der größten Krise unserer Zeit auf: Der Klimakrise.
Aber von Anfang an. Wir sitzen zu sechst im Kurs, drei mal ID, zwei mal KD und einmal PD, hauptsächlich Grundstudium. Es geht los mit einem Impulsvortrag. Spätestens zur ersten Mittagspause ist allen klar worauf sie sich eingelassen haben. Hier geht es nicht um entspanntes Zeichnen oder einen sanften Start ins Semester. Hier wird ein steiler Einstieg genommen in die Klimakrise, Verantwortung und Wirkung, Lösungen und nicht-Lösungen.
Von Anfang an gestaltet Prof. Holger Jahn den Kurs frei. Ihm ist bewusst, dass es ein komplexes Thema ist, wir sollen selbst entscheiden können, in welcher Intensität wir es bearbeiten (können) und wie wir unsere Entwürfe und Ideen ausrichten. Wie weit wollen wir gehen? Wie tief wollen wir gehen?
Es besteht die Möglichkeit ein reales Projekt zu konzipieren, in einer Gruppe aus sechs Studierenden und zwei DozentInnen die Orientierung bieten. Wir können unsere Stärken identifizieren und so nicht nur fachlich und arbeitsteilig arbeiten, sondern auch erfahren, was es heißt als Team unter Zeitdruck ein Projekt zu entwerfen, welches realen und potentiell großen Impact haben kann.
Auftakt war eine Intro Session, in der Bewusstsein für CO2-Budgets geschaffen wurde. Tobias, akademischer Mitarbeiter an der FHP, hat uns nach einem kurzen Vortrag durch das „Spiel mit Grenzen geführt“, in dem einem der eigene Fußabdruck, Vergleichswerte und zukünftige „Restbudgets“ interaktiv und plastisch dargestellt werden.
Obwohl wir mit sehr unterschiedlichen Wissensständen in den Kurs gestartet sind, war es für alle gut ein Grundverständnis für die Thematik und deren Dringlichkeit zu erlangen.
Sensibilisiert für die Grundproblematik der Klimakrise geht es an mögliche Lösungsstrategien, vor allem: Die Energieproduktion. Hier greift nun die Kernthematik des Kurses, die Auseinandersetzung mit SwitchCoal.
Was ist SwitchCoal?
SwitchCoal ist eine zum Zeitpunkt der Projektwoche in Arbeit befindliche Studie, welche das monetäre Potential des Wechsels von Kohlekraftwerken zu erneuerbarer Energie untersucht. Besonders dabei sind folgende Aspekte:
Das Ergebnis spricht eine eindeutige Sprache: Über 90% der Kohlekraftwerke lassen sich unter den Annahmen des Modells lukrativ switchen. Dabei entsteht ein aggregierter „Additional Profit“ (also ein Profit über den bei solchen Infrastruktur-Projekten erwartbaren IRR von 5-6% hinaus) in Billionen-Höhe. Vor allem in Europa ist das Wechseln aufgrund der CO2-Bepreisung besonders lukrativ. Die Studie kann hier gefunden werden: Link zur Studie.
Wozu braucht es nun uns?
Hier kommen wir ins Spiel. Die Studie soll zur COP28 – Klimakonferenz 2023, in Dubai, Konferenz Nummer 28 – fertig gestellt und auf der Konferenz kommuniziert werden. Mit der Frage, wie wir am meisten Impact erreichen können wird die Ideation-Phase der Projektwoche eingeläutet.
Wir führen Zoom-Calls mit den Wissenschaftlern, die uns die Exceltabellen präsentieren – 200 Spalten 2500 Zeilen, wir versuchen die vielen ökonomischen und ökologischen Größen der Tabellen zu verstehen, zu sortieren und zu kontextualisieren.
Man merkt schnell, dass das größte (meist verschenkte) Potential in einer Kombination aus Innovation und Wissenschaftlichen Erkenntnissen mit gezielter Kommunikation liegt. Wie viele Forschungsprojekte versanden oder erlangen nie die notwendige Reichweite, weil sie nicht oder unzulänglich kommuniziert werden und keiner sie versteht?
So planen wir in der verbleibenden angebrochenen Woche ein holistisches Kommunikationskonzept inklusive eines interaktiven Produkts zu prototypen, welches nachfolgend zum Kurs bis zur Konferenz entwickelt werden kann.
Thematisch trennen wir das Konzept in zwei Teile: Erstens die Kommunikation, in der wir uns positionieren, die Zielgruppe identifizieren, eine Brand entwickeln, den Ton der Ansprache setzen, die Kanäle der Kommunikation bestimmen – alles unter der Bedingung der finanziellen und zeitlichen Machbarkeit. Auf Basis dieser Identität soll zweitens das interaktive Daten-Interface designed werden.
Warum Daten-Interface? Hier ist ein Interface zur Navigation durch die Daten unumgänglich, um Verständnis zu erzeugen. Die Alternativen sind die unübersichtliche Excel-Tabelle und die Studie, welche die Endergebnisse in Tabellenform aufbereitet darstellen. Beides ist jedoch nicht anwendbar im Kontext der COP in der der Delegierte angesprochen, Zahlen gezeigt und begründet werden müssen. Auch zu Verbreitung im Internet ist diese Form nicht geeignet. Stattdessen soll jede interessierte Person, das für sie Interessante schnell und einfach herausfinden und verstehen können.
Im Folgenden wird näher auf die Entwürfe zu Kommunikation und Produkt eingegangen.
Kommunikation
Was ist die Zielgruppe? Wir wollen Leute erreichen, die skeptisch sind, die überzeugt werden müssen oder schlicht noch nicht wissen, dass erneuerbare günstiger sind. Leute, die nach Profit optimieren und mit monetären Argumenten überzeugt werden können. Oft konservativer eingestellte Personen aus Wirtschaft und Politik. VertreterInnen der MAPA (Most Affected People and Areas) aus dem globalen Süden.
Was ist der Kontext des Touch Points? Hier fokussieren wir uns zu aller erst auf die COP28. Diese COP steht im Zeichen eine Kassensturzes. Es wird nach dem Bekenntnis zum 1,5 Grad Weg 2015 in Paris zum ersten mal abgerechnet, wie groß die Emissionen heute sind, ob gesetzte Ziele erreichbar sind, wie groß die Lücke zu diesen momentan ist. Das beeinflusst natürlich das Informationsinteresse. Auf der COP stehen die Emissionen im Fokus, die politischen Gesandten. Zudem muss die COP selbst bedacht werden: Die Kommunikation verläuft über das gesprochene Wort und bzgl. Interfaces auf mobilen Geräten – wichtig für die Gestaltung des Daten-Tools.
Wie positionieren wir uns? SwitchCoal sollte sich auf sein USP fokussieren: Wir möchten die Profitabilität hervorheben, wir möchten seriös und professionell kommunizieren. Das bedeutet auch eine klare Abgrenzung zum Aktivismus und dessen Kommunikationsstil.
Was bedeutet das für die Tonalität? Auch hier positionieren wir uns neutral und sachlich. Wir wollen nicht vorwerfen, sondern einen objektiven Vergleich anstellen, bei dem erneuerbare in 90% der Fälle die profitablere Option sind.
Wie ist das Narrativ? Hierbei haben wir uns schwergetan. Wie in den Abschnitten zu Zielgruppe und Kontext der COP klargeworden ist, gibt es zwei starke Interessen: Die Emissionen und die Profitabilität. An der Frage entlang an welcher dieser beiden Messages wir uns ausrichten, haben wir viele Diskussionen geführt und Brainstorming Sessions absolviert. Am Ende haben wir uns für einen zweigleisigen Slogan. entschieden, die Profitabilität in Linie der restlichen rationalen Kommunikation jedoch priorisiert:
„More Profit, less Emissions: The Smart Move away from Coal“
Das Markenbild und die Wortmarke folgen dieser Logik: Sachlich und objektiv, einfach und professionell.
Die Farbe soll kein „Natur-Grün“ sein, kein „Standard-Blau“ wir haben eine Farbe dazwischen gewählt. RWE und E.on, große Energiekonzerne, folgen scheinbar dem gleichen Gedankengang.
Das Logo und die Wortmarke stellen diesen Switch von dreckig-schwarz nach sauber-türkis jeweils dar. Während „SwitchCoal“ dies eindeutig beschreibt und gleichzeitig als Aufruf zu verstehen ist, verkörpert das Logo dies visuell: Links (hinten) alt, dreckig, kohlig-schwarz zu rechts (vorne) positiv, hoffend, sauber grün-blau. Weiter kann das Logo als „Switch“ (Schalter) gesehen werden, stehend für das einfache ab- bzw. umschalten der Kraftwerke.
Produkt
Was ist das Produkt? Wir unterteilen in erstens das Daten-Interface, in dem wir die Daten aus der Studie konzentriert und strukturiert aufrufen können. Zweitens ist dieses eingebettet in eine allgemeine Website, auf der Informationen zum Projekt, zu den Autoren und die Studie selbst zu finden ist. Dritter Teil ist eine Kampagne, jedoch nachrangig und nur umzusetzen, falls Mittel oder Personen frei werden.
Die Vision des Produkts ist, dass SwitchCoal mit maximalem Impact zur Informationsbeschaffung bei der politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsfindung beitragen kann. Dazu gehört auch die Öffentlichkeit und die Presse, die in der Lage sein sollen, die Ergebnisse der Studie leicht zu interpretieren, zu nutzen und zu verbreiten, um Druck auf EntscheidungsträgerInnen zu erhöhen.
Dazu gehören Features, wie eine ausgewählte, strukturierte und hierarchisierte Auswahl an entscheidenden Informationen ausgerichtet an die jeweilige Zielgruppe (z.B. Land oder Kraftwerk). Weiter sollte die App Interaktiv funktionieren und Echtzeitdaten bereitstellen.
Weitere Feature-Ideen aus der Brainstorming Session sind im vierten Bild der Galerie zu sehen, jedoch muss in Anbetracht der Zeit strikt beurteilt werden, wie sinnvoll die Features sind und wie aufwändig die Implementierung.
Die Architektur der Seite leitet sich aus dem obigen Sphärenmodell und den erforderlichen Features ab. Wichtig zu erwähnen ist vor allem die Strukturierung in drei Aggreagtionsebenen: Die globale Ebene zeichnet das (ideelle) Gesamtpotential, die Länderebene ist vor allem für die Einsparungen an Emissionen wichtig, die auf der COP28 präsentiert werden und die Kraftwerksebene ist aus finanzieller Sicht besonders interessant, werden sie doch einzeln auf ihre Profitabilität beurteilt.
Bemerkenswert ist zudem die Implementierung als Widget auf externen Seiten. So soll im Stile eines Tweet-Embeds die Einbindung in bspw. Presse-Apps möglich sein.
Die Landing Page startet mit dem direkten Einstieg ins Tool. Dies folgt dem Gedanken, dass auf der COP das Szenario zu erwarten ist, dass Delegierte der Länder in wenigen Sekunden zwischen Terminen am eigenen oder vorgehaltenen Handy einen Blick auf das Tool werfen werden können – längere Beschäftigung kann in diesem Rahmen nicht erwartet werden. Umso wichtiger ist eine schnelle und simple Navigation und klare Präsentation der wichtigsten KPIs.
Die Länderspezifische Aggregation hinter der Selektion des Landes zeigt uns direkt die finanziellen Vorteile eines Komplettausstiegs aus der Kohlekraft. Direkt an zweiter Stelle ist die Emissionsreduktion zu sehen, die so potentiell erreicht werden kann.
Interaktiv wird es, wenn ich anfange nach Kraftwerken zu filter, wie bspw. „was passiert, wenn ich nur die drei dreckigsten Kraftwerke abschalte?“. Auch hier gibt es eine aggregierte Zahl, welche jedoch nur noch die ausgewählten Kraftwerke zusammenzählt. So kann schnell ein Überblick über die Lage im eigenen Land gewonnen werden.
Auf Kraftwerksebene sehen die Zahlen ähnlich aus. Ein Foto oder Satellitenbild sollte dem Betrachter einen emotionalen Bezug geben.
Die Widgets könnten folgendem Entwurf folgen und die wichtigsten Zahlen in Echtzeit an externe Apps übertragen.
Jetzt geht es erst richtig los: Wir haben bis zur Klimakonferenz, die am 30. November 2023 startet noch ca. 4 Wochen. Die Seite muss gebaut werden, die Daten eingebunden, das Branding finalisiert und auf Visitenkraten, Präsentationen, Flyern und der Studie angewandt werden. Es gibt noch einiges zu tun. Let's see.
Update: Die Dokumentation der Entwicklung des Projekts findet sich hinter diesem Link.
Zum Kursthema
Das Thema ist so wichtig, wie komplex. Wir freuen uns über jeden Kurs der zur Klimakrise angeboten wird. Wir haben gemerkt, dass das Potential als Designer, vor allem als Team von Designern mit verschiedenen Schwerpunkten in der Lösungsfindung zur Klimakrise sehr groß sein kann. Zudem bietet sie durch ihren systemischen Charakter unendlich Anknüpfungspunkte für Design-Projekte. Mega wichtig!
Zum Projekt
Das Projekt war gewaltig. In einer Woche in das Thema einzusteigen, das Projekt zu durchdringen und einen Entwurf zu präsentieren – eigentlich unrealistisch. Ohne Vorkenntnisse einzelner Teammitglieder hätte es wohl nicht geklappt. Wir haben es jedoch geschafft einen substanzielles Ergebnis zu präsentieren, auf das wir gemeinsam in meinen Augen ziemlich stolz sein können.
Dass wir an einem realen Projekt, mit PartnerInnen und Daily-Zoom Updates arbeiten konnten war zudem ein Sprung in die persönliche Zukunft, den wir so zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet hätten. Im Rahmen der Uni realen Impact bei solch einem Thema erzeugen zu können ist ein ganz anderes Gefühl als rein persönliche Uniprojekte. Auch hier freuen wir uns über vergleichbares Kursangebot in Zukunft.
Zur Herangehensweise
Prof. Holger Jahn hat uns große Freiräume gelassen, sodass wir nach der Einführung und im Rahmen der Kommunikation mit dem SwitchCoal Team selbst steuern konnten, wie wir das Projekt umsetzen, wie weit wir gehen. Einerseits, war es wahrscheinlich wichtig bei diesem komplexen Thema und einer zusammengewürfelten Studierenden-Gruppe diesen Grad der Freiheit zuzulassen, sodass diese ihre Stärken entfalten kann. Andererseits muss aufgepasst werden, dass es bei einem solchen Thema nicht zur Überforderung führt. Generell ist dieser Lehrstil für eine Projektwoche sehr gut geeignet.
Zum fachlichen und thematischen Niveau
Die Klimakrise besser zu verstehen, die CO2-Budgets zu durchdringen und ein Projekt zu kommunizieren, dass auf einer wissenschaftlichen Studie fußt ist wohl sehr ambitioniert für eine Woche. Das Niveau war grenzwertig für den Rahmen, jedoch hat es Spaß gemacht an diesen Grenzen zu arbeiten. Im Nachhinein sind wir froh, diesen Kurs gewählt zu haben, hätte man wohl kaum mehr lernen können in den sieben Tagen der Projektwoche.