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Identitäten verstehen · Spielformat für »Queeres Brandenburg«

Identitäten verstehen · Spielformat für »Queeres Brandenburg«

Im Rahmen des Kurses »CAPS LOCK« haben wir ein Kartenspiel entwickelt, das in Diversity-Workshops an Schulen dabei helfen soll, Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen zu vermitteln und sich in unterschiedliche Perspektiven hineinzuversetzen.

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Ausgangspunkt

Motiviert durch das Buch und den gleichnamigen Kurs »CAPS LOCK: How Capitalism Took Hold of Graphic Design, and How to Escape from It« begannen wir, nach einem Projekt zu suchen, in welchem wir ein Designprojekt für gemeinnützige Zwecke ohne kommerzielle Hintergründe angehen könnten. Unser Ziel bestand darin, eine Kooperation mit einer gemeinnützigen Organisation oder einem Verein einzugehen.

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Kontaktaufnahme

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Als Kollektiv, bestehend aus Allies und queeren Personen, nahmen wir Kontakt zur Landeskoordinierungsstelle »Queeres Brandenburg« auf. In dieser ersten Mail legten wir besonderen Wert darauf, uns nicht nur als Auftragsabarbeitende zu präsentieren, sondern als engagierte Personen, die sich für die Gestaltung öffentlicher, gemeinnütziger Projekte interessieren. Uns war wichtig zu betonen, dass wir an einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit interessiert sind, nicht an einer einfachen Auftragserteilung. Daher strebten wir von Anfang an danach, tiefe Einblicke in die Arbeit des Vereins zu erhalten, ohne uns aufzudrängen.

Überraschend erhielten wir kurzfristig einen Termin mit dem Leiter der Organisation, der sich sehr interessiert zeigte und uns direkt konkrete Projektideen vorschlug.

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Zielsetzung

Eins der vorgeschlagenen Projekte beinhaltete die Entwicklung eines Spiels für die sogenannten Regenbogenworkshops, die von »Queeres Brandenburg« durchgeführt werden. Diese Workshops finden in Schulen unterschiedlicher Schulformen in ganz Brandenburg statt und dienen der Aufklärung über sexuelle Orientierungen und Geschlechtsidentitäten. Da die Workshops oft in einem sehr lehrendenzentrierten Format abgehalten werden, war das Ziel, ein Spielformat zu entwickeln, das mehr Interaktion und Dynamik unter den Schüler*innen fördert.

Rahmenbedingungen

  • Konzipiert für die 8.–9. Schulklasse (Alter zwischen 14 und 15) mit bis zu 25 Schüler*innen
  • Durchführung in großer Gruppe, also ohne Aufteilung in kleinere Teilgruppen
  • Einfache Spielmechaniken, die keine langwierige Einarbeitung erfordern

Ziele für das Spielformat

  • Das Spiel soll für jeden leicht verständlich und spielbar sein
  • Dynamisches Spielprinzip, das alle Schüler*innen mit einbezieht
  • Es soll zur Anregung von Diskussionen beitragen und unterschiedliche Perspektiven bieten
  • Keine Demütigung oder Ausgrenzung von Teilnehmer*innen
  • Eine schnelle und effektive Lernkurve soll erreicht werden

Thematische Ziele

  • Es soll das Verständnis dafür gefördert werden, dass Geschlecht bei Geburt, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung eigenständige Faktoren sind, die nicht bewusst ausgewählt werden können
  • Das Spiel soll zur Sensibilisierung für eine breite Palette an Identitäten beitragen und dabei auch diejenigen Identitäten, die als nicht-queer gelten, ausdrücklich thematisieren und anerkennen

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Inhalte und Spielmechanismen

Mit diesen Zielen vor Augen schauten wir uns zunächst nach möglichen Mitteln und Spielmechanismen um. Wir stießen auf das bestehende Spiel »Identitätenlotto«, das in eine ganz ähnliche Richtung geht: auf einem Spielplan müssen Situationen durchschritten und auf Basis verschiedener Identitätsperspektiven reflektiert werden. Zusätzlich sammelten wir Spielprinzipien anderer Spiele, die mit dem Einnehmen verschiedener Identitäten bzw. dem Handeln auf Basis von gezogenen Karten zu tun haben.

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Wir beschlossen, die drei Kategorien zugewiesenes Geschlecht bei Geburt, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung als drei separate Kartendecks zu handhaben, aus deren Kombination sich Gesamtidentitäten ergeben. Teilnehmende des Spiels bekommen zu Anfang aus den drei Decks je eine Karte, wovon sie allerdings erst einmal nur die erste aufdecken. Damit wird eine Metapher zu einem der Kernziele des Spiels hergestellt: die Identität aller Menschen ist von vorne herein bestimmt (also nicht frei wählbar oder veränderbar), allerdings lernen wir erst über Kindheit, Jugend und spätere Lebensphasen hinweg, sie zu verstehen und mit ihr umzugehen.

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Das Spiel findet in einem Stuhlkreis statt, in dem die gesamte Gruppe zusammensitzt. Auf Basis der aktuell aufgedeckten Karten werden dann entlang eines Lebenswegs Situationen und Herausforderungen besprochen. Diese betreffen bestimmte Perspektiven besonders, sodass die Teilnehmenden mit den entsprechenden Karten zuerst dazu eingeladen werden, die jeweilige Situation zu reflektieren. Danach wird das Gespräch für die komplette Runde geöffnet.

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Bei der Auswahl und auch Benennung der Kategorien und einzelnen Karten standen wir in engem Austausch mit unserem Kontaktpartner bei »Queeres Brandenburg«. Es war schwierig, einerseits die Diversität an Identitäten zu repräsentieren und möglichst wenige Definitionen auszuschließen, das andererseits aber auch mit dem Ziel zu vereinbaren, die Schüler*innen bei so einem Grundlagenworkshop nicht zu überfrachten. Mit unserem Projektpartner verständigten wir uns daher auf eine etwas begrenztere Auswahl an Karten und er merkte auf Basis seiner Erfahrung in den vielen vergangenen Workshops beispielsweise auch an, die erste Kartenkategorie statt »Zugewiesenes Geschlecht bei Geburt« lieber etwas einfacher »Angeborenes Geschlecht« nennen zu wollen.

Diese Gratwanderung zwischen Diversität und Vereinfachung ist uns nicht leicht gefallen und kann sich bis zum finalen Spiel auch nochmal verändern, da wir uns noch nicht ganz sicher sind, wie wir die Karten »Intersex« und »Asexuell« in den besprochenen Situationen gut einbeziehen können.

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Wie bereits angedeutet verläuft das Spiel entlang eines Spielplans, der in verschiedene Lebensphasen gegliedert ist. Über die Phasen hinweg werden nach und nach die zwei anderen, am Anfang noch verdeckten Karten aufgedeckt, sodass bei Situationen im Aufwachsen-Stadium die Geschlechtsidentität dazukommt und in der Jugend dann schließlich die sexuelle Orientierung. Dieses Aufdecken in Schritten steht stellvertretend dafür, die eigene Identität bereits von Anfang an zu haben, sich ihr aber erst nach und nach ganz bewusst zu werden.

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Wie die besprochenen Situationen aussehen und wie die Zuordnung zu bestimmten Identitäten/Perspektiven funktioniert, ist anhand einiger Beispiele im unteren Bild gezeigt. Personen mit den unter dem Text gelisteten Karten bzw. Kartenkombinationen (für die wir intern eine verkürzte Darstellung in Kastenform verwendet haben, die sich im Gestaltungsprozess aber dann noch einmal verändert hat) werden zuerst dazu eingeladen, die Situation auf Basis der Perspektive ihrer Karten zu reflektieren, bevor der Rest der Gruppe in das Gespräch einsteigen kann.

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Die folgende Liste zeigt den aktuellen Stand der Situationen, die zusammen den Spielplan bilden. Hier werden sich aber sicherlich auch noch Dinge verändern, da unser Kontaktpartner aktuell noch vom Rest des Teams bei »Queeres Brandenburg« Rückmeldungen einholt.

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Für die Verwendung im Spielmaterial haben wir schließlich noch ein visuelles System aufgestellt, das den Kategorien Farben und Symbole zuweist, um die Zuordnung von Situationen zu den Teilnehmenden zu vereinfachen. Das mag auf den ersten Blick etwas abstrakt aussehen, erschließt sich aber besser mit einem Blick auf die gestalteten Spielkarten und Situations-Slides, die im nächsten Abschnitt vorgestellt werden.

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Visuelle Gestaltung

Am Anfang des Gestaltungsprozesses stießen wir auf den Font »Queering« des Designers Adam Naccarato. Die Schriftart ist inspiriert von queeren Protest-Plakaten und Publikationen und dazu frei verwendbar. Wir fanden diesen Hintergrund und die verbundene Ästhetik für unser Projekt sehr passend und nahmen den Font daher als Ausgangspunkt für die visuelle Gestaltung unseres Spielmaterials.

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Wie beschrieben ist ein Kernziel des Spiels, Awareness für die Vielfalt an Identitäten zu schaffen und damit auch Definitionen zu vermitteln. Daher nehmen die Flaggen der verschiedenen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen auf den Identitätskarten eine prominente Rolle ein. Als Kontrast zur eckigen Formsprache der Schrift treten die Flaggen als frei geschwungene Formen auf, die einerseits an physische Flaggen erinnern und außerdem zwischen den Kartenkategorien variieren. Auf Karten nicht queerer Perspektiven ist die Ally-Flagge dargestellt, um auch die Verantwortung Anderer zu thematisieren, queeren Stimmen mehr Gehör zu geben und sich gegen Diskriminierung einzusetzen.

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Neben dem Titel einer Identität befinden sich auf den Karten ein kurzer Beschreibungstext und eine Fußzeile. Diese zeichnet die jeweilige Kategorie aus und enthält eine geometrische Form, die für die Zuordnung zu den Situationen wichtig ist.

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Die Situationen werden entweder in Form einer Art Umklapp-Kalender oder als digitale Slides im Klassenraum präsentiert (das ist noch nicht abschließend geklärt, wahrscheinlicher sind aber die Slides). Auf jeder Karte bzw. jedem Slide ist das aktuelle Lebensstadium dargestellt sowie eine farbliche Markierung, welche Kartenkategorien zum jeweiligen Zeitpunkt zur Verfügung stehen. Die Zeile am unteren Rand zeichnet jene Identitäten aus, für die die Situation besonders relevant sein kann, sodass die entsprechenden Personen zuerst zur Reflexion eingeladen werden.

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Nächste Schritte

Das beschriebene Spielprinzip ist bis jetzt noch nicht getestet – sprich aktuell noch ein Zwischenstand. Wir werden mit unserer Kontaktperson bei »Queeres Brandenburg« vor allem noch einmal die Situationen durchsprechen und das Spiel anschließend mithilfe eines gedruckten Prototypen testen. Es ist wichtig, verschiedene Situationen durchzuspielen und auf Komplikationen zu untersuchen und es ist zu erwarten, dass wir einige Situationen und Mechaniken noch etwas weiter anpassen oder verfeinern müssen, um unerwartete Wendungen zu verhindern. Auch für einige pädagogische Herangehensweisen fehlt uns das Wissen und die Erfahrung, weshalb Team-interne Testläufe umso wichtiger sind.

Der nächste Schritt ist ein Praxistest unter realen Bedingungen innerhalb einer Schulklasse, denn unsere Kontaktperson hat uns in Aussicht gestellt, dass wir bei einem der Schulworkshops selbst mit dabei sein können. Mit den dabei noch zusätzlich gewonnenen Erkenntnissen besteht dann hoffentlich die Möglichkeit, das Spiel so zu finalisieren, dass wir es drucken können und »Queeres Brandenburg« es in den Workshops regelmäßig durchführen kann.

Für einen kostengünstigen Druck bietet sich an, die Karten im A7-Format zu drucken. Der leicht beige Hintergrund in den Entwürfen soll im physischen Ergebnis durch leicht getöntes Papier entstehen.

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Learnings und Reflexion

Die Konzeptionsphase erforderte viel Zeit und Diskussion, sowohl intern als auch mit »Queeres Brandenburg«. Obwohl Kommunikationsverzögerungen Herausforderungen darstellten, halfen uns die detaillierten Briefings dabei, unser Spiel zielgruppengerecht zu gestalten. Die enge Zusammenarbeit mit dem Verein ermöglichte es uns, tatsächlich sinnvolle Unterstützung zu leisten, anstatt unsere eigenen Ideen aufzuzwingen.

Eine weitere Herausforderung bestand darin, eine Vielzahl an Identitäten und Lebensformen im Spiel fair zu berücksichtigen, ohne den Fokus zu verlieren. Feedback aus dem Kurs und der Austausch mit dem Verein waren dabei sehr hilfreich.

Insgesamt haben wir wertvolle Einblicke in die Themen Vermittlung und Spielmechaniken gewonnen und freuen uns, zur Vielfalt in Brandenburg beizutragen. Durch das Buch »CAPS LOCK« wurde uns zudem klar, dass Design auch ohne kommerzielle Absichten erfolgreich und sinnbehaftet sein kann. Es unterstrich die Bedeutung, alle Beteiligten im Prozess abzuholen, dabei keine finanziell motivierten Abkürzungen zu nehmen, sondern lieber eine Schleife mehr zu drehen. Vor allem entlastete es uns von dem Erfolgsdruck, wodurch wir uns ermutigt fühlten, eine riskantere Idee zu verfolgen, deren Scheitern auch ein akzeptables Resultat gewesen wäre. Obwohl die Zusammenarbeit herausfordernd war, sehen wir das Projekt als Erfolg und planen, auch in Zukunft für »Queeres Brandenburg« aktiv zu sein und das Spiel abzuschließen bzw. weiterzuentwickeln.

Fachgruppe

Theorie

Art des Projekts

Studienarbeit im zweiten Studienabschnitt

Betreuer_in

foto: Silas Wolf

Zugehöriger Workspace

CAPS LOCK – Changing Perspective on Design

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2023