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gehen (heißt gehen für immer)

Nach dem Bau der Mauer 1961 war bis zum Ende der DDR die Flucht in den Westen nur unter Lebensgefahr möglich. Viele haben es dennoch gewagt und mehrere Hunderte haben ihr Leben beim Versuch verloren. Trotzdem nahmen die Zahlen der Flüchtigen zu, gerade im Sommer 1989, kurz vor dem Mauerfall, nutzen viele die Chance, über Ungarn aus der SED-Diktatur zu fliehen. Eine davon war meine Mutter, Ricarda Zagora. Sie war damals eine junge Studentin, die wie viele keine Zukunft für sich in der DDR sah und bereit war, alles zurückzulassen. In meiner Bachelorarbeit „gehen (heißt gehen für immer)“ führe ich ein Interview mit ihr über ihre Flucht und setze das in einem Animationsfilm um.

Abstract English

After the construction of the Wall in 1961, until the end of the GDR, escape to the West was possible only at the risk of one's life. Nevertheless, many dared to do so and several hundred lost their lives in the attempt. Nevertheless, the numbers of fugitives increased, especially in the summer of 1989, shortly before the fall of the Wall, many took the chance to flee the SED dictatorship via Hungary. One of them was my mother, Ricarda Zagora. At that time she was a young student who, like many, saw no future for herself in the GDR and was ready to leave everything behind. In my bachelor thesis „Leaving it all- the story of an escape“ I conduct an interview with her about her escape and convert this into an animated film.

1. Einleitung

Familiengeschichten scheinen Filmemacher*innen häufig zu beschäftigen. Ich vermute, dass ein Grund dafür ist, dass es wie in Tough (2016) von Jennifer Zheng ein Stück der eigenen Identität widerspiegelt und um so weniger man darüber weiß, um so weniger kann man sich darüber selbst identifizieren. Und vielleicht fragen wir deshalb in Deutschland auch oft nicht nach, da es schwierig ist, dass auch Nationalsozialisten deine Familiengeschichte ausmachen können. Von meinem Opa wusste ich lange nicht viel, nur Anekdoten, aber ich konnte mir irgendwann das Gröbste zusammenreimen: Er war deutscher Pilot im Zweiten Weltkrieg, wurde schwer verletzt und war lange in französischer Kriegsgefangenschaft. Später in der DDR wurde er Mitglied in der SED. Aus heutiger Sicht ist das zwar ein krasser Lebenslauf, aber keiner, auf den man als Nachfahrin stolz sein kann oder sich mit identifizieren möchte und vielleicht habe ich ihn deswegen vor seinem Tod nie wirklich ausgefragt. Meine Mutter dagegen hat mich immer beeindruckt. Sie ist mit Anfang 20 aus einer Diktatur geflohen, hat alleine zwei Kinder großgezogen, hat einen Doktortitel als Abschluss und hat sich letztendlich ein komfortables Leben aufgebaut. Und während man natürlich nicht nur die Geschichten erzählen sollte, die einem bequem sind und stolz machen, so kann ich sie noch fragen und ihre Geschichte festhalten und erfahren, wie es war, in einer Diktatur groß zu werden.

2. Historischer Kontext

Von 1949 bis zur Vereinigung am 3. Oktober 1990 war Deutschland in zwei Staaten getrennt. Im Osten wurde die Deutsche Demokratische Republik (DDR) von der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in einem heute als diktatorisch angesehenen System regiert. Das war hervorgegangen aus der sowjetischen Besetzung nach dem Zweiten Weltkrieg. Der “sozialistische Staat der Arbeiter und Bauern” sollte den Faschismus “beseitigen”. Spätestens in den 80er-Jahren stieg aber die Unzufriedenheit der Bevölkerung und die Verschuldung der DDR so sehr, das viele DDR-Bürger*innen die Chance nutzen, über die Länder des ehemaligen Ostblocks nach Westdeutschland zu fliehen. Der Tag des Mauerfalls am 9.11.1989 ist zwar nicht das offizielle Ende des SED-Regimes, aber signalisierte doch deutlich dessen Zerfall. Die Nachwirkungen dieses Regimes spürt man auch heute noch, und dennoch ist es beinahe unvorstellbar, dass vor etwas mehr als 30 Jahren eine Diktatur herrschte, genau hier, wo wir jetzt stehen. Und obwohl es heute oft reduziert wird auf die Abwesenheit von Bananen und Levis-Jeans und einem gelegentlichen “es war ja nicht alles schlecht”, so hatte es doch das Leben vieler Generationen maßgeblich beeinflusst und vor allem eingeschränkt. Nicht ohne Grund flohen Tausende in die Bundesrepublik Deutschland. Man geht heute davon aus, dass nach dem Mauerbau wenigstens 5075 Menschen die Flucht gelungen ist. Wie viele es versucht haben, aber daran gescheitert sind, verwundet oder getötet wurden, das ist nicht bekannt. Heute sind viele dramatische Fluchtgeschichten bekannt, die z. B. dank selbst gegrabener Tunnel, Heißluftballons oder Ostseeüberquerungen gelangen. Viele konnten auch im Sommer 1989 über die Botschaften in Budapest, Prag und Warschau entkommen oder nutzten die Chance über Ungarn zu fliehen, als dieses ab dem 11.9.1989 seine Grenzen öffnete und die Weiterreise über Österreich in die BRD ermöglichte. Auch meine Mutter floh wenige Tage vor Mauerfall mit ihrem Trabi in die BRD über Ungarn mit vielen anderen DDR-Bürger*innen. Und so ist ihre Geschichte auf keinen Fall einzigartig, aber ein interessanter und persönlicher Blickwinkel auf diese Zeit und zeigt auch noch mal, wie unerwartet der Mauerfall und das Ende der DDR kamen.

3. Animierte Dokumentarfilme

3.1 Zwischen Fakten und Fiktion

Animierte Dokumentarfilme sind ein beliebtes Genre geworden und spätestens seit dem Erfolg von Waltz with Bashir in 2008 haben sie Eingang in den Mainstream erhalten. Honess Roe definiert animierte Dokumentarfilme als “jeden Film, (1) der aufgenommen oder Frame by Frame erstellt wurde (2), der von der Welt handelt und nicht einer Welt, die vom Filmschaffende ausgedacht wurde und (3) der als Dokumentation präsentiert wird”. Sheila Sofian dagegen sagt etwas allgemeiner, dass der Begriff “jeden animierten Film, der nicht-fiktives Material behandelt” einschließt. Dennoch stellt sich die Frage der Legitimation des Genres, wie kann eine Dokumentation, die die Wahrheit darstellen soll, kombiniert werden mit fiktiven Bildern, ohne genau diesen Anspruch zu verlieren? Wieso glauben wir, was wir sehen und hören in animierten Dokumentationen? Und was hat sich geändert, dass es diesen neuen Trend zu geben scheint? Diesen Fragen möchte ich mich in diesem Kapitel widmen.

Lange wurde fotografiertes oder gefilmtes Material als Goldstandard angesehen, um dokumentarische Inhalte oder auch “die Wahrheit” darzustellen, da es nah an dem ist, was wir mit eigenen Augen sehen können. Animation dagegen wurde lange fast nur zur Darstellung von Fantasiewelten verwendet, das Genre zeichnet sich meistens durch stark stilisierte Visualisierungen aus, die anders aussehen als die physische Welt und werden durch ihren Produktionsprozess als “gemacht” angesehen. Dadurch erhielt Animation den Status des “Künstlichen” und jenseits der Grenzen der Realität und damit auch nicht in der Lage, Realität zu repräsentieren.

Doch der Status von fotorealistischem Material änderte sich in den letzten Jahrzehnten, Darstellungen der Realität müssen nicht mehr gezwungenermaßen fotorealistisch sein und dafür gibt es viele Gründe, auf die ich im nächsten Teil mehr eingehe. Besonders die steigenden Fälle von Fotomanipulation zeigen, dass man die Informationen in fotorealistischem Material nicht grundsätzlich als “die Wahrheit” akzeptieren darf, gerade da es nicht “die Wahrheit” oder “die eine Realität” gibt. Und jede Form der visuellen Repräsentationen einer Realität (auch bei fotografiertem oder gefilmtem Material) ist unvollständig, da sie nun einmal nur eine Repräsentation ist, auch wenn das Zuschauenden nicht immer bewusst ist.

Und so ist es heute in einer Ära von Fake News immer wichtiger, offen über diese Tatsachen zu sein. Und gerade gefilmte Dokumentationen werden oft nicht hinterfragt, sondern Inhalte werden als Tatsachen dargestellt. Obwohl genau wie bei animierten Formaten mitunter Filmemacher*innen seine oder ihre Interpretationen eingebaut haben. Animation und animierte Dokumentationsfilme sind dagegen sehr offensichtlich durch ihre “gemachte” Art, das Werk eines oder einer Filmemacher*in und machen dem Zuschauenden so bewusst, dass sie nur eine Interpretation einer Realität ansehen. Filmemacher Dennis Tupicoff sagt dazu:

“Unabhängig davon, ob es sich um die „Wahrheit“ handelt oder nicht, finde ich, dass Dokumentarfilme genauso fantastisch sind wie ein Animationsfilm. Und das kommt von jemandem, der eine große Liebe zum fotografischen Bild hat. Ich bin einfach sehr skeptisch gegenüber einigen der Behauptungen, die von Dokumentarfilmen kommen, wie zum Beispiel, dass es „wahr“ ist, weil es gefilmte Bilder sind. Wir wissen, dass das nicht so ist oder besser gesagt nicht so sein muss.”

Wenn also animierte Dokumentationsfilme eine offensichtliche Interpretation sind, spielt Glaubwürdigkeit eine große Rolle. Dafür haben sich Techniken etabliert, die auch “warrants of truth” (sozusagen Beweismittel) genannt werden, und diese können verschiedene Formen annehmen. Am häufigsten scheint die Form des “realen” Audios verwendet zu werden, z. B. in Form eines Interviews oder O-Tons, wo man die Stimme eines oder mehrerer Protagonist*innen hört. Andere “warrants of truth” können Fotos oder Realbildaufnahmen der Personen oder Orte sein, um die es geht. Diese orientieren sich also doch wieder an Elementen des klassischen, gefilmten Dokumentarfilms und nutzen diese effektiv.

Ein großer Vorteil des animierten Dokumentationsfilms ist das nicht alle Aspekte unserer Realitäten “filmbar” sind, die Grenzen unserer Realitäten verschwimmen, z. B. durch das Digitale und omnipräsente Bildschirme, aber auch Emotionen, Erinnerungen und Trauma können in Dokumentationen Platz finden und werden sogar ebenbürtig zu anderen Geschehnissen dargestellt. So müssen unsere Realitäten nicht mehr unbedingt aussehen wie unsere physische Welt und damit auch ihre Repräsentationen nicht.

Ein gutes Beispiel ist Waltz with Bashir, ein animierter Film über einen Kriegsveteran, der nicht nur von seinen Erinnerungen, sondern auch von Trauma und Schuldgefühlen handelt. Der Film stellt die Geschehnisse rein subjektiv dar und mit viel Fokus auf Emotionen und trotzdem wurde die Darstellung von Krieg von anderen befragten Soldaten als realer empfunden als Aufnahmen.

Ich komme zu dem Schluss, dass auch wenn intuitiv sich Animation und Dokumentation auszuschließen scheinen, dies nicht unbedingt der Fall ist. Animierte Dokumentationsfilme haben andere Vorteile, wie z. B. persönliche und emotionale Inhalte darstellen. Und Gunnar Strøm schlug vor, dass “Animation ein Begriff ist, der sich auf die Technik bezieht und Dokumentation auf den Inhalt und … sich damit die beiden nicht ausschließen.”

3.2 Wieso jetzt?

Die Form der animierten Dokumentation existiert schon sehr lange. Dennoch fühlt es sich an, als wäre sie erst in den letzten 10 bis 15 Jahren entstanden. Wie kommt das? Allgemein akzeptiert ist, dass The Sinking of Lusitana (1918) der erste animierte Dokumentationsfilm ist. In dem Film geht es um den Untergang eines Passagierschiffes, was die USA dazu veranlasste, in den 1. Weltkrieg einzusteigen. Der Film benutzte ähnliche Beweise, die man heute auch verwendet. In diesem Fall Fotografien von bekannten Persönlichkeiten, die das Unglück nicht überlebt haben. Hier schon wurde Animation benutzt, um das Ungefilmte zu präsentieren. Doch insgesamt setzte sich im letzten Jahrhundert fotografisches und gefilmtes Material durch und wurde lange als einzige Option angesehen, um die Realität darzustellen, Informationen zu übermitteln und das, ohne dass Zweifel an dem Inhalt aufgekommen sind.

Trotz des frühen Beispiels eines animierten Dokumentationsfilms scheint das Medium dann für fast 90 Jahre wieder aus der Öffentlichkeit zu verschwinden. Bis zum wahnsinnig populären Waltz with Bashir (2008). Doch schon vor Waltz with Bashir gab es einige wenige animierte Dokumentationsfilme, aber das Genre bekam erst mit diesem Film sowohl akademische Aufmerksamkeit als auch die des internationalen Publikums. Wie schwierig vorher der Status noch war zeigen auch Interviews mit Filmemacher*innen aus der Zeit z. B. Marie-Josée Saint-Pierre sagt in einem Interview: “In 2006 haben Leute noch gesagt, dass es keine Dokumentation sein kann, weil es animiert ist. Aber jetzt erkennen Leute an, dass Dokumentationen ein Mix aus Genres sein können.„

Heute gibt es ganze Filmfestivals, die sich nur mit dem Format auseinandersetzen und kaum Fragen der Legitimation. Der Boom an Beliebtheit, aber auch die Akzeptanz des animierten Dokumentarfilms macht zu diesem Zeitpunkt auch Sinn, zieht man in Betracht, dass Fotorealismus an Glaubwürdigkeit stark verloren hat. Ein Beispiel sind Tools, die es erlauben, in Echtzeit ein gefilmtes Gesicht mit einem anderen zu ersetzen und so jede Person alles sagen und machen lassen zu können, was man möchte. Und das sind nur die neuesten Entwicklungen, die schon vorher begonnen haben mit Foto- und Filmmanipulationen aller Art.

Auf der Gegenseite wurden animierte Formate immer allgegenwärtiger und vertrauter. Es wird an vielen Stellen zur Visualisierung von Informationen genutzt, taucht immer häufiger in Nachrichtenformaten auf und auch als Nutzer*innen präsentieren wir uns selbst in animierten Formen, z. B. als GIFs oder Emojis fast täglich.

“Der Aufstieg des animierten Dokumentarfilms ist Ausdruck der zeitgenössischen Veränderungen in der dokumentarischen Darstellung, die zentrale Rolle des Zuschauers als Schiedsrichter des Wahrheitsanspruchs und der Bruch mit der visuellen Mimesis; er zeigt aber auch Widersprüche in der Akzeptanz von Animation und Fotografie auf und veranschaulicht so die sich wandelnde Natur des Realismus.”

3.3 Probleme und Vorteile des Formats

Animierte Dokumentationsfilme haben einige eindeutige Vorteile gegenüber gefilmten Dokumentationen, einer der größten ist das Darstellen von unfilmbaren Szenen. Einige Beispiele dafür sind so ziemlich alle Ereignisse vor der Erfindung der Kamera, Orte, die zu weit weg, zu klein oder unerreichbar sind für Kameras und alles, was wir erleben, das nicht sichtbar ist, wie Emotionen und andere psychologische Aspekte. Außerdem gibt es Situationen, die aus ethischen Gründen nicht gefilmt werden können, z. B. wenn der oder die Interviewte anonym bleiben muss. Nur weil diese Sachen nicht gefilmt werden können, sind sie nicht weniger Teil unserer Realität als filmbare Situationen. Die Filmemacherin Marie-Josée Saint-Pierre sagt dazu: “Ich denke, das Gute an Animation ist, dass man Sachen darstellen kann, die man im normalen Leben nicht darstellen kann. Man kann tiefer gehen als im Realbild in Bezug darauf, was gesagt und gezeigt wird.”

Auch die Darstellung subjektiver Perspektiven ist eine der wahrscheinlich meist genutzten Stärken des animierten Dokumentarfilms. Walden argumentiert, dass Animation dabei helfen kann, “Aufmerksamkeit auf die subjektiven Erlebnisse eines Individuums zu ziehen, anstatt den Anspruch zu erheben, offizielle oder vermeintlich objektive Berichte über ein Ereignis darzustellen”.

Teil der Darstellung subjektiver Perspektiven sind natürlich auch Erinnerungen und dort kann man auch einen Kritikpunkt nennen: Erinnerungen sind per se wandelbar und ihr Wahrheitsgehalt schwankt stark, aber sie sind keine zuverlässigen Quellen, um Fakten oder historische Ereignisse wiederzugeben. Honess Roe argumentiert, dass aber vielleicht genau dadurch das Medium Animation passender ist, um Erinnerungen darzustellen. Denn wie Erinnerungen ist Animation lebendig und verändert sich, was Fotografien nicht widerspiegeln können. Außerdem ist das Präsentieren von Fakten auch nicht der Anspruch, den viele animierte Dokumentationsfilme haben, gerade dadurch, dass sie offen damit sind, nur eine subjektive Perspektive zu spiegeln, ist ja Raum, um Fakten zu hinterfragen, ohne den gesamten Inhalt zu diskreditieren.

Zu den subjektiven Erfahrungen können auch Träume, Halluzinationen oder Erinnerungen im Kontext von Trauma zählen, die in animierten Dokumentationen ebenbürtig zu anderen Geschehnissen dargestellt werden können, ein gutes Beispiel dafür ist Waltz with Bashir (2008). Filmemacher John Canemaker sagt dazu: “Animation ist etwas, das Gedanken personifizieren kann, es kann Emotionen werden.”

Ein weiterer Vorteil ist, dass Animation vielen bekannt ist aus der Kindheit und dadurch fast jedem vertraut ist. Dadurch können sich Zuschauende potenziell besser einlassen auf die Darstellungen, auch wenn sie von Gewalt oder Tod handeln. Yoni Goodman, der leitende Animator von Waltz with Bashir sagt in einem Interview:

“Animationen haben eine Art „lösende“ Qualität, sodass man das Publikum weiter mitnehmen kann. Zum Beispiel die Szene in Bashir, in der sie die Verwundeten und Toten in den gepanzerten Fahrzeugen transportieren - das sind extrem gewalttätige, grafische Aufnahmen. Hätte das Publikum diese Szenen in der Realität gesehen, hätte es sich vielleicht abgewandt. Aber die Leute haben es sich angesehen. Wir haben absichtlich damit gespielt, dass die Leute all diese schrecklichen Dinge sehen, die während des Krieges passiert sind. Als Zuschauer akzeptiert man das - man sagt sich, das ist animiert, also ist man offen dafür. Ich glaube, die Leute haben mehr gesehen, weil wir es aus dieser Sichtweise gemacht haben.”

Das vertraute Medium Animation kann vielleicht auch bewirken, dass Zuschauende die Darstellungen von Gewalt nicht kalt lassen, wie es heute leider oft passiert. Im Gegensatz kann man aber auch behaupten, dass die Stilisierungen die realen Probleme verstecken, die Ereignisse dadurch fantastisch wirken und die Problematik untergeht in einer ansprechenden Ästhetik. Und während diese Filme vielleicht wirklich nicht die Probleme lösen können oder ausreichend unterstützen, haben sie dennoch einen wichtigen Vorteil, dadurch, dass sie Empathie für die Situation oder Person vermitteln können. Dafür braucht es als allererstes Engagement, aufmerksame Zuschauende und es wird davon ausgegangen, dass Animation das auch dadurch erreicht, dass es weniger zeigt als Realbildaufnahmen. Das kann zu Desorientierung führen, aber damit auch Neugier erzeugen und Platz für eigene Interpretationen durch den Zuschauende lassen. Auch z. B. das Bild der oder des Protagonist*in muss mit der Fantasie des Zuschauenden ergänzt werden, was zu einer gewissen Verbindung führt, die den Film immersiver und damit glaubwürdiger wirken lassen kann.

Nicht nur kann so für Protagonist*innen mehr Empathie entstehen, auch können Menschen ihre Geschichte erzählen, ohne ihre Identität preisgeben zu müssen. Deswegen sind auch häufig geflüchtete Personen Protagonist*innen in animierten Dokumentationen. Aber egal in welcher Situation sie sich befinden, Animation gibt ihnen Anonymität und damit einen gewissen Schutz:

“Sie sind anonym, niemand kann sie kompromittieren, also haben sie mir wirklich „Geheimnisse“ erzählt, und jetzt kann ich ihre Geheimnisse in dem Film verwenden und niemand wird sie erkennen. [...] Die Leute sind eher bereit, persönliche Dinge mit dir zu teilen, weil sie anonym sind”, sagt Filmemacherin Marie-Josée Saint-Pierre dazu.

Aber verlieren wir durch die Anonymität und das Verstecken eine Verbindung zu diesen Personen? Ein Kritikpunkt ist, dass diese Menschen, die oft eh nicht präsent genug sind, dadurch noch mehr versteckt werden und ihre Anliegen, Probleme oder Erfahrungen unwichtiger erscheinen, da man sich als zuschauende Person nicht so gut mit ihnen identifizieren kann. Dagegen kann gehalten werden, dass wir Animation oft genug im Alltag begegnen, wo User sich selbst darstellen durch Animationen wie Emojis oder GIFs, wir können also Menschen und Animation verbinden. Und im Gegensatz zu einem komplett versteckten Charakter fügt Animation ja wichtige Elemente hinzu durch das Charakterdesign und spiegelt Mimik und Gestik wider. Am wichtigsten ist aber fast, dass die reale Stimme uns hilft, sich mit der oder dem Protagonist*in verbunden zu fühlen und sie als echten Mensch zu empfinden und das freier von eigenen Vorurteilen, wie Filmemacher Bob Sabiston beschreibt:

“Es gibt eine interessante Sache, die passiert. Wenn man jemanden zeichnet

und man hört seine Stimme, aber man sieht nicht sein wirkliches Gesicht, sondern die Interpretation des Gesichts von jemandem bewirkt das zwei Dinge. Viele Leute haben mir gegenüber erwähnt, dass sie tatsächlich in der Lage sind, mehr auf die gesprochenen Worte achten zu können, weil sie nicht vorschnell über das Äußere der Person urteilen. Oft, wenn man einen sprechenden Kopf sieht, passiert es, dass man unbewusst interpretiert, was sie sagen und unterbewusst einbaut, was man visuell von ihnen denkt. Man filtert seine Meinung über das, was [der oder die Protagonisten*in] sagt, basierend auf ihrem Aussehen.”

Ein anderer Vor- und Nachteil von animierten Dokumentationen ist, dass Animation sehr gut darin ist, Informationen zusammenzufassen. In den Filmen fassen Filmemacher*innen alle Informationen, die sie über die Protagonist*innen oder die Situation haben, visuell zusammen und reduzieren sie auf wichtige Teile. Da wir heute von wahnsinnig vielen Informationen umgeben sind, ist das eine wertvolle Eigenschaft, kann damit aber auch für Desinformationen genutzt werden. Zum Beispiel kann uns so natürlich auch nur gezeigt werden, was in die Narrative passt.

Während die Kritikpunkte so durchaus gerechtfertigt sind, gibt es viele Vorteile von animierten Dokumentarfilmen, dennoch sollte Animation bewusst eingesetzt werden, um die Vorteile auch aktiv zu nutzen. Und gerade ihre Anwendung zum Darstellen von persönlichen und unfilmbaren Geschichten ist mehr als legitim.

3.4 Fazit

Abschließend kann man feststellen, dass Animation durchaus geeignet ist für Dokumentationsfilme. Animierte Dokumentarfilme kombinieren auf spannende Weise die physische und virtuelle Welt und repräsentieren, was nicht anders gezeigt werden kann. Ihre Anwendung ist besonders sinnvoll für persönliche Geschichten und erlaubt es, unsere Realität durch die Augen eines anderen Menschen wahrzunehmen. Animierte Dokumentationsfilme schaffen es durch Brechungen mit Sehgewohnheiten die Aufmerksamkeit von Zuschauenden zu halten und sie sind so nicht nur empathisch gegenüber der oder dem Protagonist*in, sondern auch sensibler gegenüber Themen wie Gewalt, Krieg, Trauma und Tod.

In einer Ära von Fake News, Fotomanipulation und Deep Fakes verliert das fotorealistische an Autorität die Realität zu repräsentieren und wichtiger denn je ist es bei jeder Form von Informationsvermittlung transparent darüber zu sein, das diese in irgendeiner Form ausgewählte Informationen sind. Animierte Dokumentationsfilme präsentieren das häufig durch ihre Gestaltung sehr offen. Hier wird aber auch das Potenzial gesehen, dass sie, sollten sie ein zu allgegenwärtiges Format werden, nicht mehr hinterfragt werden und dann, wie vorher fotorealistisches Material auch zur Verbreitung von Desinformationen genutzt werden kann. Ich denke, dass es deswegen durchaus wichtig ist, Animation bewusst einzusetzen. Aber auch, dass man unterscheiden muss zwischen Animationen in der Datenvisualisierung oder in Tagesnachrichten. Diese sehen meist „von Maschinen gemacht“ aus und schon das war mit dem Aufkommen von Fotoapparaten eine trügerische Sicherheit, dass Maschinen “unparteiische Dritte” sein, denen geglaubt werden kann. Die meisten animierten Dokumentarfilme sind dagegen stark stilisiert, mit oft betont unperfekten, “von Hand gemacht” wirkenden Visualisierungen. Ich denke, bei diesen wird immer klar sein, dass ein oder mehrere Menschen involviert waren in die Produktion und man es so als ihre Interpretation versteht. Aber natürlich ist es ein Spektrum und wo die Grenzen sind, ist nicht klar. Als Zuschauende können wir so uns nur immer bewusst halten, dass alles nur eine Repräsentation ist und auch die “von Maschinen gemacht” aussehenden Grafiken und Animationen durch Menschen entstanden sind und als Filmemacher*in sollten wir das bewusst betonen visuell. Filmemacherin und Autorin Judith Kriger sagt dazu:

“Der Kontrast zwischen der Verwendung unvollkommener, verwackelter Linien oder nicht „traditioneller“ 3D-Computergrafiken in animierten Dokumentarfilmen und ihren sehr persönlichen Geschichten ist es, der den animierten Dokumentarfilm so faszinierend und fesselnd macht zu sehen. Die freudige visuelle Unvollkommenheit dieser Mischform des Filmemachens ist genau das, was uns daran erinnert, dass es sich um sehr reale, sehr menschliche Geschichten handelt.”

4. Analyse von Beispielen

4.1 Tough

Tough ist ein 4:49 Minuten langer Kurzfilm von Jennifer Zheng, der in Form eines Interviews die Geschichte ihrer Mutter und damit auch ihrer eigenen Herkunft einfühlsam erzählt. Die Visualisierungen sind sehr illustrativ, aber in den Bildkompositionen surreal. Die Darstellung ist nicht-mimetisch, gibt aber dennoch Details preis, durch die man ein Bild bekommt von der damaligen Kleidung, der Architektur und der Situation. Jennifer Zheng sagt selbst, dass sie durch den Film einen Grund hatte, Fragen über ihre Identität nachzugehen. Die Umsetzung ist besonders dadurch, dass sie den Film praktisch zwei Mal erstellte und nach der ersten Fertigstellung alles ausgedruckt hat und mit Bleistift noch einmal schattierte. Für sie drückt es Intimität aus, für mich fügt es auch eine unglaubliche Lebendigkeit hinzu und hilft vermutlich auch, um das “von Hand gemachte” zu betonen, was wie vorher erwähnt viele Vorteile des animierten Dokumentarfilmgenres mit sich bringt. Ich finde ihre Visualisierungen und Animationen wahnsinnig ansprechend und finde das Interview sehr gelungen. Durch das Gesprächsformat und keine hörbaren Schnitte glaubt man nicht nur was man hört, man kann sich die Situation wie die beiden sich gegenüber sitzen und reden gut vorstellen. Für meinen eigenen Film möchte ich mich gerade visuell beeinflussen lassen von diesem Film, besonders der Einsatz der Farbe Rot, eine Farbe, die für mich sinnbildhaft für den Kommunismus oder kommunistische Regime steht, finde ich wahnsinnig gelungen. Inhaltlich spielt für mich die Frage um meine eigene Identität keine Rolle in meinem Film, aber in Tough passt es gut zusammen. Man versteht das passenderweise die Fragen um ihre Identität und die Animationen von einer Person kommen.

4.2 Kaputt

Der ca. 7-minütige Kurzfilm Kaputt von den Filmemachern Alexander Lahl und Volker Schlecht zeigt die Erfahrungen zweier Frauen im DDR-Gefängnis Hoheneck. Ihre Situation wird in Form von Interviewausschnitte erzählt und visualisiert mit Frame by Frame-Animationen. Die Erzählungen der Frauen machen die schrecklichen Erfahrungen deutlich und die Visualisierungen betonen die deprimierende Situation, in der die Frauen gefangen waren. Die Animationen wirken analog angefertigt, gerade auch durch die Schatten, die von jeder sich bewegenden Linie zurückbleiben. Alle Bilder sind Metaphern für die beschriebene Situation und zeigen wenig der realen Umgebung. Ich finde den Film sehr gelungen, die Visualisierungen unterstützen das beklemmende Gefühl, das man durch die Interviewausschnitte bekommt und dadurch, dass so wenig gezeigt wird, ergeben sich vor dem inneren Auge noch mal ganz andere Bilder, immer gezeichnet von den Gefühlen des Filmes. Besonders spannend bei diesem Film finde ich die Ebene der Soundeffekte. Musik wurde nicht hinzugefügt, aber Soundeffekte, die helfen die Situation vorstellbar zu machen. Gerade z. B. die beschriebene Szene im Waschraum ist visuell sehr abstrakt und reduziert, aber durch die vielen beschreibenden Soundeffekte kann man sie sich gut vorstellen. Ich finde es spannend, wie wenig Animation und Bilder nötig sind und trotzdem kommt so viel bei Zuschauenden an.

4.3 Der übers Meer kam

Der übers Meer kam ist ein 11 Minuten langer Kurzfilm von Jonas Kriemer, der die Geschichte eines DDR-Flüchtlings erzählt, der in einem Faltboot erfolgreich nach Dänemark geflohen ist. Obwohl er dort die schwierigen Umstände des Flüchtlingsstatus mitbekommt, äußert er am Ende seine sehr rechten Ansichten, dass Deutschland keine Flüchtlinge aufnehmen sollte. Das Audio wirkt wie ein reiner Zusammenschnitt eines Interviews, visuell wird der ganze Film aus der Vogelperspektive und in Schwarz-Weiß erzählt. An dem Film finde ich besonders interessant, dass er ganz anders als viele andere Filme des Genres mich emotional nicht berührt. Ich verstehe, dass der Protagonist durch seine politische Ausrichtung mir schon unsympathisch ist und das ich hier deswegen nicht mitfühlen kann, aber schon vor diesen Äußerungen erreicht der Film für mich kein “empathisches” Zuschauen, vielleicht auch durch die Perspektive, die uns wortwörtlich kein Zuschauen “auf Augenhöhe” erlaubt. Und während das eine bewusste Entscheidung sein kann, sind auch Wut, Frust oder Unverständnis wichtige Emotionen, die bei mir bis ganz am Ende nur bedingt aufkommen und für mich verliert der Film leider dadurch etwas an emotionaler Kraft. Ein wichtiger Aspekt ist vielleicht auch, dass wir nie das animierte Gesicht des Protagonisten sehen, wie oben erwähnt ist auch das ein wichtiger Teil, um Emotionen an den Zuschauer zu transportieren. Auch könnte die “Maschinen gemacht” aussehenden Visualisierungen Schuld an der emotionalen Distanz sein, es wirkt auch nicht wie eine emotionale Darstellung des Filmemachers. Außerdem finde ich die Wahl der Vogelperspektive spannend und ungewohnt und verstehe das auch Distanz vom animierten Hauptcharakter etwas bedeuten kann, aber ich denke, dass ich dieses Element lieber vorsichtig einsetzen möchte, damit eine emotionale Verbindung und empathisches Zuschauen noch möglich sind.

4.4 Fazit

Die Beispiele machen klar, dass es viele Wege gibt, mit Interviewmaterial umzugehen und zeigen für mich auch, wie effektiv es ist, die im Theorieteil erwähnten Vorteile auszunutzen. Gerade der Kontrast in der Umsetzung zwischen Kaputt und Der übers Meer kam bestätigt zumindest in diesem Beispiel die These das “Hand gemacht” aussehenden Animationen Emotionen betonen können, aber auch die Qualität der Interviews entscheidend sind. Ich finde auch die abstrakteren Bilder und Kompositionen von Tough und Kaputt sehr effektiv. Ich denke, dass sie gut zu der These passen, dass bei weniger mimetischen Bildern der Zuschauende bzw. seine oder ihre Fantasie Lücken füllen muss und das einen aktiv hält beim Anschauen. Ich habe bei keinem die Legitimität der Animation als Visualisierung infrage gestellt und fand besonders spannend, wie Soundeffekte weiterhelfen können, sich in die Situation zu versetzen, wahrscheinlich besser als wären es Filmaufnahmen gewesen. Für meinen Film möchte ich die “handgemachte” Ästhetik und die surrealen Kompositionen und Hintergründe übernehmen.

5. Hintergrund des Interviews

Meine Mutter wurde 1967 in der DDR geboren. Während sie immer staatskritisch war, war ihr Vater ein SED-Mitglied, was ihre Beziehung weiter schädigte. Schon in der Schulzeit musste sie schauen, dass sie nicht nur im Unterricht, sondern auch gegenüber ihren Mitschüler*innen sich nicht kritisch dem System gegenüber äußerte. Ihre Kindheit war dadurch stark eingeschränkt, genauso wie ihre Berufswahl. Während sie ursprünglich Modedesignerin werden wollte, war das keine Option in der DDR und ihre Mutter riet ihr davon ab, um sie davor zu bewahren, in Fabriken als Schneiderin zu arbeiten. Um einen höheren Abschluss machen zu können, war sie eh eingeschränkt in ihrer Berufswahl. Sie wollte in die Justiz gehen und als Richterin oder Verteidigerin arbeiten, aber ihr wurde direkt gesagt, dass das Richteramt als Frau keine Option sei und man nicht wählen könne zwischen Staatsanwältin und Verteidigerin am Ende ihrer Ausbildung, sondern zugewiesen wurde nach Bedarf. Das Letzte, was sie wollte, war, DDR-Flüchtlinge als Staatsanwältin ins Gefängnis zu bringen, also entschied sie sich für eine der anderen Optionen: Lehrerin zu werden. Während des Studiums lernte sie Freunde kennen, die ebenfalls der DDR sehr kritisch gegenüberstanden und entweder Ausreiseanträge ausstehen hatten oder sogar schon die Flucht versucht hatten und gescheitert waren. Auch ihr Freund schaffte ca. ein Jahr vor ihrer Flucht die Ausreise und ermutigte sie, es auch zu wagen, doch sie hätte ihr Studium nicht fortführen dürfen mit ausstehendem Ausreiseantrag. Wie sehr sie isoliert und kontrolliert wurden vom Staat wird auch klar an einer Anekdote, die sie mir im Interview erzählt: Bei einem Besuch von ihrem Freund brachte er ihr verschiedene verbotene Kleinigkeiten wie Magazine und ein Autoradio mit und obwohl sie vorsichtig waren, wurde ihr alles von Stasi-Offizieren am nächsten Rastplatz abgenommen. Als im Oktober 1989 die Grenzen nach Ungarn offen waren, hatte sie das Gefühl, dass das ihre einzige Chance sei zu entkommen, und so floh sie ein oder zwei Tage vor dem Mauerfall.

6. gehen (heißt gehen für immer)

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6.1 Synopsis

In diesem interviewbasierten, animierten Dokumentarfilm erzählt Ricarda Zagora von ihrer Flucht aus der DDR. Wir beginnen mit ihren Gründen, die DDR zu verlassen und ihre Familie, Freunde, Studium und ihren Hund zurückzulassen. Weiter geht es mit der Planung der Flucht und der sich bietenden Gelegenheit durch die Grenzöffnung von Ungarn sowie ihre lange Fahrt und Ankunft in der BRD. Wir hören dabei alles aus ihrem Blickwinkel und durch ihre Stimme und die Animation unterstützt die Emotionen und Erfahrungen visuell. Der Film ist ca. 5 Minuten lang, bedient sich illustrativer Elemente und bleibt dabei aber in abstrakten Kompositionen, die die Isolierung und Machtlosigkeit der Protagonisten betonen.

6.2 Interview

Vor der ersten Visualisierung habe ich mich erst mal mit meiner Mutter zusammengesetzt für das Interview. Wir haben ca. 1,5 Stunden geredet und das, obwohl ich mir eigentlich nur fünf grobe Fragen aufgeschrieben hatte. Aber das System, in dem sie groß geworden ist, war so anders und es fiel mir schwer, sich die Situation vorzustellen. Besonders, da es nicht lange her war. Aus dem Interview habe ich dann verschiedene Teile zusammengeschnitten. Es gab mehrere Themen, die ich echt spannend fand, und ich könnte wenigstens vier Filme über das Interview machen, aber ich beschränkte mich auf die Flucht und die Gründe dafür. Nicht nur weil es realistischer war, nur diesen Teil umsetzen zu können, auch weil ich fand, dass es die Situation besonders gut zusammenfasste.

6.3 Moodboard

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Beim Moodboard war für vieles der Film Tough ein Ausgangspunkt für mich. Ich mag den Umgang mit der Farbe Rot und die Frame by Frame-Animationen. Ich habe ausgehend davon weiter nach Referenzen gesucht, die spannend mit der Farbe Rot umgingen oder Frame by Frame animiert waren und umsetzbar schienen. Auch Kompositionen, die nicht-mimetisch waren, sondern mehr Gefühle visuell darstellen, interessierten mich. Was ich nicht zu sehr wollte, war visuell DDR-Grafiken nachahmen. Ich halte es mir offen, am Ende noch mit Texturen und Vintage-Effekten zu experimentieren, aber letztendlich ist es die Geschichte meiner Mutter, interpretiert durch mich. Sich ästhetisch an den Stil von Grafiken aus der DDR zu orientieren wirkt falsch, es ist der Stil des unterdrückenden kommunistischen Systems des Ostblocks, sehr unpersönlich und heute auch eine Ästhetik, die fast schon alltäglich verwendet wird und “harmlos” wirkt. Ich möchte all diese Assoziationen nicht aufkommen lassen bei Zuschauenden, denn darum geht es nicht. Es geht um die Geschichte meiner Mutter.

6.4 Skizzen und Animatic

Wichtig war mir schon bei den Skizzen konkrete Charaktere zu haben, es sollte möglich sein, eine Verbindung zum Hauptcharakter aufzubauen, aber dennoch vage genug bleiben, dass sich jeder in dieser Position sehen kann. Die Umgebung halte ich aber abstrakt, surreal und etwas expressionistisch, hier geht es mir nicht um eine mimetische Darstellung, sondern die Gefühle wie Verlorenheit, Isolation und sich klein zu fühlen, zu visualisieren. Außerdem möchte ich die Umstände, die wichtig sind, betonen, das übermächtige diktatorische Regime als riesige, lenkende Hände, eine riesige, unüberwindbare Mauer usw.

6.5 Styleframes

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Hier habe ich begonnen, auf dem iPad zu arbeiten in Procreate. Außerdem habe ich farbtechnisch den Fokus auf Rot gelegt und blaue Akzente eingebaut. Rot steht hier für das kommunistische System und sobald wir das verlassen, wird die Umgebung blau und die Akzente rot. Ich möchte auch nicht mit Vektorillustrationen arbeiten, um wegzukommen von der etablierten Ästhetik, die oft in Werbung oder Erklärfilmen genutzt wird. Während sie dort ihre Rechtfertigung hat und schöne Ergebnisse erzielen kann, erreicht sie oft auch eine gewisse emotionale Distanz und wie in meiner theoretischen Arbeit erwähnt kann die Ästhetik des “Maschinen Gemachten” ausstrahlen “die Wahrheit” darzustellen, was für mich das Gegenteil ist, von dem, was ich erreichen will.

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6.6 Animation

Die handgezeichneten Linien und Texturen zwingen mich nicht nur mit After Effects zu animieren. Aber da es fast 6 Minuten Film sind, werde ich auch nicht alles Frame by Frame animieren können, zu mal ich kaum Erfahrung mit Frame by Frame habe. Die Kombination hat für mich gut funktioniert, schon wenige Frames im Loop oder kurzzeitige Bewegung helfen, eine Illusion von Leben in den Charakteren und Situationen zu erzeugen. Das kombinierte ich mit konstant leichter Animation der Komposition, leichten Zooms oder Pans und bewegte Elemente, um die Bilder weniger statisch und so länger interessant erscheinen zu lassen. Während das Frame by Frame natürlich nicht perfekt ist, kann es wie bei den Illustrationen einen Zweck erfüllen, die handgemachte Ästhetik betont das Persönliche.

Ich bin sehr froh, dass ich vorher schon einmal einen ganzen Film allein umgesetzt habe. Ich konnte so gut Umfang und Umsetzung einschätzen und hatte nicht das Gefühl, mich völlig überfordert zu haben. Mir war es von Anfang wichtig, Zeit zu haben, um Elemente oder ganze Szenen zu ändern, da ich dann oft viel zufriedener mit dem Ergebnis bin. Wäre mein Film sehr viel kürzer, hätte ich gerne versucht, alle Shots dynamisch zu gestalten, die Länge und der Fakt, dass alles Frame by Frame animiert hätte werden müssen, haben das aber nicht erlaubt.

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7. Fazit

Ich hatte vorher große Angst vor dem Umfang und die verschiedenen Aufgaben der Bachelorarbeit. Auch waren meine Ansprüche sehr hoch an die Arbeit, ich habe nicht vor einen Master zu machen und wann hat man dann jemals wieder die Zeit, einen eigenen Film drei Monate lang umzusetzen? Auch wird der Film das Aushängeschild, mit dem ich mich bei potenziellen Arbeitgebern bewerben möchte. Gerade bei so einer aufwendigen Umsetzung wollte ich nicht die Themenwahl nach der Hälfte in Frage stellen und bin froh, dass es mir dank des spannenden Interviews als Grundlage gar nicht so ging. Die Umsetzung zweifelte ich mehrfach an und ich denke, man hat immer Sachen, die man im Nachhinein anzweifelt, aber ich bin insgesamt zufrieden mit dem Film. Und auch wieder aller Erwartungen hat mir das wissenschaftliche Arbeiten und Ausformulieren der Theoriearbeit Spaß gemacht. Sehr hilfreich war, dass meine Literatur sehr verständlich formuliert waren und es leicht war, sich umfangreich über die Thematik zu belesen. Insgesamt war das Semester zwar so auch anstrengend, leider auch im Privatleben, aber ich bin zufrieden mit den Ergebnissen und dankbar für all die Hilfe und Unterstützung, die ich erhalten habe.

Bachelorarbeit Lena Zagora.pdf PDF Bachelorarbeit Lena Zagora.pdf

Werkschau Lena Zagora.pdf PDF Werkschau Lena Zagora.pdf

Ein Projekt von

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Bachelorarbeit

Betreuung

foto: Prof. Klaus Dufke foto: Prof. Sven Völker

Zugehöriger Workspace

BA&MA Betreuung Dufke w22

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2022 / 2023

Keywords

zusätzliches Material