Incom ist die Kommunikations-Plattform der Fachhochschule Potsdam

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Objektbindung im Produktdesign

Abstract

In unserer schnelllebigen Gesellschaft werden elektronische Produkte meist so konzipiert, dass sie den größten wirtschaftlichen Ertrag erzielen. Dieser wird in erster Linie durch den Neukauf eines Gerätes erreicht, was die Entsorgung des alten, manchmal auch defekten nach sich zieht.

Das Wort ‚Nachhaltigkeit’ wird hingegen oft nur oberflächlich behandelt und auf recycelte oder nachwachsende Materialien reduziert, wobei der Aufbau einer Bindung zwischen Mensch und Objekt einen nachhaltigeren Gedanken darstellen könnte. Dabei gehe ich davon aus, dass der Nutzer oder die Nutzerin durch die Bindung zu dem Objekt dies pfleglich behandelt, es auch gerne, abgesehen von den finanziellen Vorzügen, reparieren oder auch upgraden würde.

Diese Bindung möchte ich in meiner Master-arbeit mithilfe von UX-Methoden, welche wir aus dem Bereich des Interfaces und Designthinking kennen, erforschen und versuchen, sie auf die Produktebene anzuwenden.

Die Herstellenden sollten das Produkt absichtlich so gestalten, dass eine emotionale Bindung zwischen Benutzer/in und Produkt entsteht.

So stellt sich die Frage, wie nutzerorientiertes Industriedesign ökonomisch und ökologisch nachhaltiger werden kann. Braucht es hierfür eine klassische Personalisierung, wie wir sie aus der Schmuckbranche kennen, oder können wir ein nutzerzentriertes Design entwerfen, welches großflächig angelegt ist?

Als beispielhaftes Produkt wähle ich den klassischen Kopfhörer, da dieser nicht nur ein technisches Produkt aus dem Bereich des Consumer Electronics ist, sondern auch ein modisches Statement geworden ist. Dieses Produkt lässt uns nicht nur Musik hören, sondern zeigt unseren persönlichen Wunsch in gesellschaftlicher Zugehörigkeit - es ist ein modisches Accessoire und Statement geworden.

Haptische Ebene

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Der haptische Sinn ist einer unser stärksten und zuverlässigsten Sinne. Auf keinen anderen Sinn können wir Menschen uns so verlassen, wie auf den Tastsinn. Gerüche und Optik können täuschen. Kein anderer Sinn ist so stark mit unserer Entwicklung verbunden, wie der Tastsinn. Er gibt uns Sicherheit und gewährt uns eine Nähe zu dem Erfühlten, wir fällen wichtige Entscheidungen anhand des Tastsinnes und vertrauen ihm vollends. Es ist möglich sich zu verhören oder versehen, jedoch nicht zu vertasten.

Aus diesem Grund haben wir Menschen oft eine engere Beziehung zu Objekten und weniger zu digitalen Produkten. Wir besitzen Muscheln aus unserem letzten Urlaub, Omas Flaschenöffner oder als Kinder unser besonders geliebtes Kuscheltier. Das Objekt ist die Bündelung und Sammlung unserer Emotionen, wobei diese aus Erinnerungen, Investitionen oder Benutzungen entstehen, welche wiederum auch digital getriggert werden können.

Der „D5“-Kopfhörer ist ein Objekt der Bindung. Er ist entworfen worden, damit der Nutzer mit ihm neue Erinnerungen erleben darf, Zeit mit ihm verbringt und ihn auf sich personalisieren kann. Durch auserwählte Materialien, wie Echtleder, Federstahl und hochwertigem Kunststoff, fühlt er sich hochwertig und vertrauenswürdig an.

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Digitale Ebene

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Um einen Bindungsaufbau zwischen dem User und dem Enprodukt leichter zu gestalten, kann es hilfreich sein, eine Personalisierung der Funktionen und Schnittstellen anzubieten.

Somit kann der Benutzer das Endgerät perfekt auf sich abstimmen. Durch die hier mit dem potentiellen User entwickelte App, ist es möglich seine „D5“-Kopfhörer auf die persönlichen Präferenzen zu konfigurieren. Die im Design-Sprint erarbeiteten benötigten Features, konnten beinahe komplett implementiert werden. Zusätzlich kamen bei Gesprächen immer wieder neue Wünsche und Fragen auf, welche berücksichtigt worden sind.

Das größte Anliegen dieser App besteht darin, dem User die bestmögliche Erfahrung in der Benutzung seiner Kopfhörer zu ermöglichen. Dieser kann von der Bedienung der Kopfhörer, über den Klang bis hin zur Ausgabesprache selber alles personalisieren. Um ebenfalls die Digitale Varianz zu minimieren, ist es möglich, weitere Apps, wie Streamingdienste oder SmartHomes zu integrieren und so alles in einer App zusammen zu fassen. Diese Kombination von verschiedenen Diensten an einer Stelle erhöht die Wiederholrate der Benutzung, die so die Chance hat zu einer Routine zu werden.

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Zusammenfassung

In meiner Masterarbeit geht es darum herauszufinden, ob eine durch bestimmte Merkmale und Ansätze des Herstellers hervorgerufene Bindung zwischen dem Nutzer und seinem Produkt, eine längere Lebensdauer für dieses generiert werden kann. Dieser Gedanke ist angetrieben durch die Beobachtung unserer schnelllebigen, konsumorientierten Gesellschaft. Oft werden Produkte, vor allem im Bereich der Consumer Electronics, als defekt oder veraltet angesehen, obwohl dies nicht der Fall ist. Uns wird suggeriert, dass unser Gerät nicht mehr auf dem neuesten Stand ist, damit wir wieder ein neues erwerben. Der dadurch entstehende Berg von Unbenutztem wird jährlich größer und belastet unsere Umwelt. Der Begriff „Nachhaltigkeit“ ist in diesem Zusammenhang bereits im inflationären Gebrauch. Er wird meist im Kontext von erneuerbaren Materialien verwendet, wobei diese Produkte ebenfalls im selben Zeitraum wie andere obsolet werden und somit zu Müll, den wir bewältigen müssen. Zwar wird in der Regel auf eine bessere, ökologisch nachhaltigere Materialwahl geachtet, diese müssen jedoch ebenfalls wieder in den Produktionskreislauf eingespeist werden.

Mein Ansatz ist, den Begriff der Nachhaltigkeit neu zu denken und durch Bindungsaufbau das Produkt so lange wie möglich in Benutzung zu halten. Als Beispielprodukt dient mir der Kopfhörer.

Ist es einem Hersteller möglich, eine Bindung zwischen dem Nutzer und seinem Produkt vorauszuplanen und so dem Produkt eine längere Lebenszeit zu schenken? Ja, meiner Überzeugung nach ist dies, unter gewissen Umständen und trotz unseres schnelllebigen Konsumverhaltens, möglich.

Ein solcher Bindungsaufbau ist denkbar, wenn beide Parteien, User und Hersteller, ein Ziel vor Augen haben: Beide Seiten sollten im Hinblick auf schwindende Ressourcen und der Vermüllung unseres Planeten, quantitativ weniger und qualitativ besser produzieren und konsumieren. Von Seiten der Hersteller sollte der Jahresturnus abgeschafft werden, in dem neue Geräte auf den Markt gebracht werden, um einer schnellen Ent-Bindung entgegenzuwirken. Stattdessen könnten sie den Kosmos, in dem sich das Gerät aufhält, verbessern, erweitern oder modifizieren, um so dem Consumer und User den Bindungsaufbau zu vereinfachen.

Anstatt jedes Jahr ein neues Gerät zu präsentieren, sollte der Hersteller eine partielle Erneuerung des Produktes vorausschauend einplanen um eine Upgradefähigkeit zu unterstützen. Dieses Upgrade sollte dabei in Einzelteilen und leicht zu montieren sein, damit der Kunde es selbst bewältigt oder es von einer Fachperson leicht ausgetauscht werden kann. Diese modulare Bauweise unterstützt die Kreislaufwirtschaft.

Ein Gerät, welches von einem Kosmos umgeben ist, ist für den User attraktiver und veranlasst gegebenenfalls einen schnelleren und besseren emotionalen Bindungsaufbau. Die durch diesen Kosmos erhöhte Attraktivität lässt den „Jäger“ eher das Produkt kaufen, als ein allein stehendes.

Bietet der Hersteller ein nachhaltig durchdachtes Produkt an, welches variabel an die Bedürfnisse des Kunden angepasst und personalisiert werden kann, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass dieser langfristig zufriedener mit dem Produkt ist.

Durch das Vorleben und die Vorgaben oder Vorschläge von Seiten des Herstellers, wird der User wiederum in seinem eigenen Konsumverhalten hinterfragt und kann dieses gegebenenfalls anpassen.

Da wir in einem sozialen Marktsystem leben, welches durch Angebot und Nachfrage geregelt wird, können wir ein Umdenken bei Herstellern als Käufer und Konsumenten ebenfalls beeinflussen und unterstützen.

Dabei kann Tim Browns Ansatz der Feedbackkultur besonders den Unternehmen und Herstellern helfen. Heutzutage haben wir die Möglichkeit, schnell und präzise Feedback, Anregungen oder Kritiken über ein Produkt abzugeben. Durch Rezensionen auf verschiedenen Plattformen kann man ein solches Handeln schon in den Grundzügen bemerken. Der große Unterschied ist jedoch, dass die Rezensionen für zukünftige Käufer gedacht sind, dementsprechend in den einzelnen Shops oder anderen Plattformen zu finden sind und nicht unbedingt an den Hersteller gerichtet werden. Forscht dieser nicht explizit nach Feedback, erfährt er nicht, was dem Kunden gefällt oder missfällt. Hier muss es eine einfache Methode geben, um auch dem Hersteller Anregungen zu geben.

Durch eine solche Feedbackkultur fühlen sich Kunden schneller mit dem Produkt verbunden, da sie damit zur Entwicklung beitragen können.

Besonders in meinen Umfragen zu meinen Hypothesen wurde deutlich, wie unterschiedlich Bindungen zu Objekten ausfallen können. Eines hatten jedoch über 85% der Objekte gemein: Sie wurden mindestens einmal die Woche oder öfter benutzt. Diese Routine kann ein Grundstein sein um ein Produkt nachhaltig zu gestalten. Um eine Routine zuzulassen muss das Produkt entweder unverzichtbar sein oder mehrere Anreize schaffen, öfter benutzt zu werden. Durch den Versuch, ein Produkt unumgänglich oder notwendig zu machen, bindet man den User jedoch nur an die Produktkategorie oder explizite Eigenschaften, es sei denn, man ist der alleinige Hersteller der gesamten Produktkategorie. Die Schaffung von Anreizen scheint mir persönlich dabei die bessere Herangehensweise zu sein, da dies nicht nur das Produkt von der Konkurrenz abhebt, sondern auch zugunsten des Users ausgebaut werden kann. Oft sind es Kleinigkeiten, durch die sich ein Produkt wie den Kopfhörer von den Konkurrenten abheben lassen. In der Brainstormingrunde kam heraus, dass eine einfache Verbindung mit dem Endgerät sowie eine intuitive Bedienung ausschlaggebend sind, damit ein Produkt extrem positiv wahrgenommen wird und sich so von der Masse abhebt.

In meinem praktischen Teil der Masterarbeit habe ich mich auf die vorgegangen Recherchen, Umfragen und Erhebungen gestützt, um einen neu gedachten Kopfhörer in seinem Kosmos zu entwickeln. Das Ziel war, den bis dahin nur theoretisch durchdachten Bindungsaufbau an einer beispielhaften Produktfamilie zu prüfen und zu ergründen, wie ein Hersteller ein solches Produkt entwerfen kann. Die Hürden waren dabei, diese Bindung zu planen, die Triggerpoints zu entwickeln und mit potentiellen Usergruppen auszuarbeiten.

Als finales Produkt entstand ein kabelloser Bügelkopfhörer, welcher sich durch zwei zusätzliche Nebenprodukte und einer digitalen Schnittstelle in Form einer App einem Kosmos anschloss. Die Besonderheit bei diesem Kopfhörer ist die modulare Bauweise, welche ein einfaches Austauschen der einzelnen Baugruppen gewährleistet, sowie die visuell und haptisch hervorgehobenen Bedienelemente. Die App besticht durch die komplette Personalisierung der Bedienung und des Klanges des Kopfhörers. Das Integrieren von Programmen wie Musikstreamingdiensten oder SmartHome-Diensten, dient als Anreiz zur täglichen Nutzung.

Ob nun eine solche Bindung wirklich bei dem hier entworfenen Kopfhörer entstehen würde, kann in dieser Masterarbeit nicht endgültig beantwortet werden und müsste in einer Langzeitstudie und am Markt erforscht werden.

Wir können als Konsumenten zwar nicht direkt auf die Produktionsmethoden von Herstellern Einfluss nehmen, jedoch können wir selber entscheiden, welche Produkte wir von welchen Herstellern konsumieren. Ein Umdenken und entsprechendes Handeln der Gesellschaft führt dazu, dass Hersteller wiederum dazu bewegt werden, nachhaltiger zu produzieren und zu handeln.

Als Designer und Unternehmer müssen wir die Nutzer mehr in die Entwicklung einbeziehen, also die Wünsche und Bedürfnisse erfahren und auf diese eingehen. So kann es eine parallele und gemeinsame Produktentwicklung geben, die auch unserem Beruf neue Impulse gibt.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Design Master

Art des Projekts

Masterarbeit

Betreuung

foto: Prof. Jörg Hundertpfund foto: Marian Gunkel

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2022

Keywords

zusätzliches Material