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SEX DIALOG

Wieso reden wir nicht über Sex, Lust und Liebe? Warum werden wir so schlecht aufgeklärt? Wie kann ein Dialog auf Augenhöhe über Sex aussehen? Mit all diesen und noch einigen weiteren Fragen habe ich mich in dem Kurs „Making the in-between visible“ von Susanne Stahl im Sommersemester 2022 beschäftigt.

Ideenfindung

Zunächst fand ich den Ansatz des Kurses, die intimen und meist übersehenen Stellen zwischen den gesprochenen Worten eines Dialoges sichtbar zu machen, sehr reizvoll. Vor allem in einem typografischen Kontext konnte ich mir gut vorstellen experimentell zu arbeiten und eine Publikation zu machen.

Die größte Spannung entsteht für mich in einem Dialog häufig durch Themen, in denen beide Personen keine Sicherheit oder Routine haben. Dazu gehören alle Tabuthemen, die einem einfallen. Dort fängt man an verzweifelt nach Worten zu suchen, auf Klischees zurückzufallen oder sich unwohl zu fühlen. Es erfordert eine gewisse Portion Mut sich auf Gespräche dieser Art einzulassen, weil sie einen herausfordern und aus der Komfortzone locken. 

Mit diesem groben Ansatz habe ich mich dann auf Themensuche begeben und schnell bei zwei Themen gelandet: Sex (Liebe, Beziehungen und Lust) und Tod. Beides Themen, die in unserer Gesellschaft gerne verschwiegen, oder hinter vorgehaltener Hand besprochen werden. (Bei Sex ist es noch etwas komplizierter, weil sich aus den vorangegangenen Epochen der Prüderie in unserer heutigen westlichen Gesellschaft das Gegenteil herausgebildet hat: Übersexualisierung. Das macht den Dialog aber leider nicht besser, sondern weckt eher falsche Erwartungen, und setzt unter Druck). Niemand scheint gerne ehrlich darüber zu reden, man hat das Gefühl das Vokabular fehlt einem, die Gesprächsdynamik ist ungewohnt. Das sind jedenfalls Beobachtungen, die ich in meinem Umfeld gemacht habe.

Da das Thema Tod einen wenig ermutigenden Charakter hat und ich dazu persönlich weniger Berührungspunkte habe, habe ich mich (auch durch den starken Zuspruch aus dem Kurs) dazu entschieden, mich mit dem Dialog über Sex weiter auseinanderzusetzen.

Prozess

Nun also Sex. Schön und gut, aber was tun mit diesem riesigen Thema? In welchem Medium analysieren? Als Erstes fielen mir Konzepte ein, in denen ich die existierende Filmwelt analysieren wollte, inwiefern wird dort Sex gezeigt und wie wird darüber geredet? Denn auch wenn eine Übersexualisierung von Körpern, Nackheit und Sex in Filmen mittlerweile normal ist, hält sich die Repräsentation vom Dialog über Sex sehr bedeckt.

Aber eigentlich wollte ich näher dran sein. Ich wollte selber entscheiden können, was ich analysieren will, wollte den Inhalt selber schaffen. Also habe ich mich dazu entschieden eigene Dialoge mit Menschen aus meinem Umfeld zu führen. 

Als Endprodukt hatte ich dabei eine Publikation vor Augen, die weder Ratgeber noch Vorbild-Funktion hat, sondern analysierend auf unsere Dialog- und Gesprächskultur schaut, und sie mit all ihren Zwischentönen darstellt.

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Für die Dialoge habe ich mir im Vorfeld einige Fragen überlegt, denn auch wenn ich selber viele sehr intuitive und spontane Gespräche führe, war mir bewusst, dass es nicht verkehrt wäre eine Art von Struktur zu haben, an der ich mich entlang hangeln könnte. 

Außerdem hat mich an jeder Person, mit der ich gesprochen habe, etwas anderes interessiert. Durch meinen Fragenpool hatte ich eine gewisse Sicherheit, dass Gespräch so lenken zu können, wie ich es wollte.

Bevor ich den ersten Dialog geführt habe, hatte ich einige Bedenken. Zum Einen war mir bewusst, welche Rolle ich gerne einnehmen würde: die eines auf Augenhöhe stehenden Gesprächspartners. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl ein Interview führen zu müssen, weil ich wusste, welche Spannungen ich hervorrufen wollte und die andere Person hatte nicht das gleiche Ausgangswissen. Zum Anderen musste ich die Gespräche irgendwie aufnehmen, um später dem Gesprochenen noch Mimik und Gestik zuordnen zu können. Das könnte für mein Gegenüber eine Hemmschwelle sein, frei von sich zu erzählen und sich nicht über jedes Wort Gedanken machen zu müssen, wenn sie das Gefühl haben unter ständiger Beobachtung zu stehen.

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Aber nach meinem ersten Gespräch waren viele dieser Bedenken weg. Das Gespräch hat in meinem Wg-Zimmer an einem Mittwoch Vormittag bei offenem Fenster stattgefunden, die Sonne hat geschienen und wir haben währenddessen gefrühstückt. Ich habe mit einer befreundeten Person geredet, was für den Anfang eine sehr gute Wahl war - es gab wenige sehr unangenehme Momente und trotz unserer Offenheit dem Thema gegenüber und unserer emotionalen Nähe einige Stellen, an denen der Dialog zu Spannungen geführt hat.

Beim Transkribieren des 30-Minütigen Gesprächs ist mir aufgefallen, dass ich diesen Berg an Arbeit nicht für jedes Gespräch würde leisten können, weil es zu zeitintensiv war. Aber auch das zweite Gespräch hat einen so natürlichen Verlauf genommen, dass es am Ende fast 45 Minuten gedauert hat.

Gestaltung

Inspiration

Den nun vorliegenden Text wollte ich typografisch aufarbeiten, bis ich eine expressive und trotzdem noch analytische Version des Dialogs hatte. Es ging mir dabei am Anfang vor allem um einen experimentellen Umgang, erstmal wollte ich Vieles ausprobieren, bevor ich mich auf ein Medium oder eine Gestlatungssprache festlege.

Orientiert habe ich mich bei meinen ersten Entwürfen und Experimenten an Plakatkünstler:innen wie z.B. Uwe Loesch, Paula Scher, Erich Brechbühl und vielen weiteren. Außerdem habe ich einen Ausflug in einige Berliner Design-Buchläden gemacht (hier eine große Empfehlung sich den Laden „pro qm“ auf der Almstadtstraße nicht entgehen zu lassen!). Dort habe ich einfach alles was mich angesprochen und interessiert hat fotografiert, was mir in meinem späteren Arbeitsprozess sehr geholfen hat.

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Die ersten Versuche sind mit dem Scanner entstanden. Durch die Verzerrung von Schrift bekommt das Geschriebene sehr unterschiedliche Konnotationen und sogar Bedeutungen. Allerdings ist das Arbeiten mit so einem Mittel eher für Zitate und Textausschnitte denkbar, als für einen ganzen Dialog. Und es ist ein Stilmittel, welches gerade viel verwendet wird, weswegen ich mich noch weiter umsehen wollte.

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Auch mit handschriftlichen Annotationen habe ich mich beschäftigt. Durch die Mischung von Handschriftlichem und Serifen-Typo entsteht ein sehr lockerer Analyse-Stil, der allerdings auch schnell an Schul-Korrekturen erinnern kann. Auch war ich mir unsicher wie ich mit einer größeren Menge an Text umgehen müsste, damit man noch genug Analyse vornehmen kann aber die lesende Person nicht überwältigt wird.

Bei dieser Methodik ist mir zum Ersten mal aufgefallen, wie wichtig es ist, ein stringentes und ausgefeiltes System zu haben, mit dem die Analyse sichtbar gemacht wird. Welche Farben lösen welche Emotionen aus? Wie könnte die Formsprache für die Lautstärke des Gesprochenen aussehen? Wie stelle ich Tonalitäten dar? Der Prozess, das beste System zu entwickeln, hat mich bis zum Ende der Publikation begleitet.

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Und für Zitate habe ich noch Versuche mit Kohle und Tinte gewagt, was ich aber schnell wieder verworfen habe, weil einen zu starken Kontrast zu der Analysearbeit der anderen Methoden gepasst hätte.

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Und dann hat sich langsam aber sicher die Form herausgebildet, die meine Publikation dann schlussendlich auch beibehalten sollte. Zwar ist das Layout von einer Seite auf eine Doppelseite angewachsen und die Auswahl der Schrift habe ich bis zur letzen Minute hinausgezögert, aber man sieht schon an den ersten Entwürfen, wohin ich möchte.

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Finale Publikation und Reflektion

Die „finale“ Publikation ist immer noch ein sich im Prozess befindendes Werk. Ich habe während der Arbeit immer wieder gemerkt, wie sehr mir dieses Projekt am Herzen liegt, und wie hoch meine eigenen Ansprüche sind. So habe ich mir selber mehr Druck gemacht als nötig, was mich eher gehemmt hat, als mich zu motivieren. 

Trotzdem hat mir der Prozess super viel Spaß gemacht, ich bin in dem Thema richtig aufgegangen. Das Arbeiten an einem so strukturiertem System der Annotation hat mich herausgefordert, weil ich normalerweise ganz anders arbeite. Doch dieses Umdenken hat mir viel von mir selbst gezeigt. Zum Beispiel arbeite ich gerne emotionaler, gehe freier mit Typo und ich fühle mich nicht immer wohl in einem analytischen Rahmen zu gestalten. Jedoch bin ich gerade mit diesem Wissen stolz auf das entstandene Endprojekt.

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Rundgang

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Die Publikation lag auch beim Rundgang am 15.07 aus und es hat mich sehr gefreut zu sehen wie viele Leute sich mit Interesse dem Heft gewidmet haben und beim Lesen schmunzeln oder die Augen weit öffnen mussten. 

Da die Publikation im Trubel des Abbaus verschwunden ist, konnte ich leider keine Fotos mehr machen, aber es befindet sich ein Nachdruck in Arbeit, den ich fotografieren und hier nachtragen werde.

Fazit zum Kurs

Das Thema „Dialog über Tabuthemen“ wird mich so schnell wohl nicht mehr loslassen. Mich haben schon immer menschliche Interaktionen und Dynamiken interessiert und das wurde durch diesen Kurs nochmal verstärkt. Mir hat es große Freude bereitet mit den anderen Kursteilnehmer:innen zu diskutieren und über die verschiedensten Arten von Dialogen und deren Darstellungen zu reden. 

Die Dynamik in dem Kurs war super angenehm und produktiv, unterstützend und motivierend. Das Feedback durch die Anderen und von Susanne Stahl hat mir sehr geholfen meinem Projekt eine Richtung zu geben und es an bestimmten Stellen weiter zu probieren, anstatt mich mit der erstbesten Lösung zufrieden zu stellen.

An dieser Stelle ein fettes Dankeschön an eine so tolle Arbeitsatmosphäre und Stimmung im Kurs!

Ein Projekt von

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Studienarbeit im zweiten Studienabschnitt

Betreuung

foto: Prof. Susanne Stahl

Zugehöriger Workspace

Making the in-between visible

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2022

Keywords