Incom ist die Kommunikations-Plattform der Fachhochschule Potsdam

In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre

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Remote Strolling

Ein virtueller, mit Körpergesten gesteuerter Spaziergang durch einen entfernten Ort.

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Remote Strolling verbindet einen Ort mit einem anderen, entfernten Ort.

Ein Public Display wird mit einem Motion-Tracking-System wie dem Microsoft Kinect verbunden. So kann man von einem einem Ort aus durch die virtuelle Repräsentation eines anderen Ortes laufen und dies durch den eigenen Körper steuern. Durch Drehen und Neigen kann man sich umschauen, durch Laufen auf der Stelle oder Hüpfen bewegt man sich fort. Diese physische Steuerung macht das Spaziererlebnis um einiges glaubwürdiger und realer.

Anwendungsmöglichkeiten

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Heutzutage kennt ja jeder die ganze Welt. In Nachrichten, Filmen und Zeitungen hat man jeden Ort schon mal gesehen. Allerdings kommen in den Medien immer wieder die gleichen Plätze vor, so dass Paris auf Montmartre und den Eiffelturm reduziert wird, New York nur aus Wolkenkratzern besteht und Tokyo eine Anreihung von leuchtenden Neonreklamen ist.

Kaum jemand kennt aber die Straßen und Plätze zwischen diesen Attraktionen. Wir wollen, dass der Passant diesen Raum – ausgehend von der ihm bekannten Sehenswürdigkeit – erfahren und so seine mentale Karte des Ortes erweitern kann.

Durch das Erfahren der profanen Normaloräume zwischen den und um die in den Medien überpublizierten Sehenswürdigkeiten erfährt man einerseits, dass auch die Metropolen dieser Welt nicht viel anders sind als die eigene Nachbarschaft. Man sieht nicht nur den fernen, sondern auch den eigenen Ort mit anderen Augen.

Andererseits gibt es natürlich auch komplett verschiedene Orte, mit denen eine Gemeinsamkeit besteht, an die man für gewöhnlich nicht denkt, die aber zu einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Standort führen kann – ob kritisch, humorvoll oder horizonterweiternd. So ist ein Schwimmbad z. B. eine Art Mini-Meer, die Lämmer am Dönerspieß haben früher mal auf einer grünen Wiese gewohnt und die große Spree entspringt in einer kleinen Quelle bei einem Dorf.

Durch eine Gemeinsamkeit mit dem fremden Ort soll ein Bezug geschaffen werden, so dass es dem Passanten einfacher fällt, eine mentale Verbindung herzustellen.

Auch geeignet hierfür sind natürlich Museen – so könnte man beispielsweise in einem jüdischen Museum durch Jerusalem laufen, in einem archäologischen Museum die Fundorte von Artefakten erkunden oder in einem Stadtmuseum durch die Stadt laufen, wie sie vor Jahrhunderten war.

Interaktionen

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Remote Strolling wird durch den Körper gesteuert. Durch Drehen schaut man sich um, wobei sich der Blickwinkel nicht 1:1 mit der Körperdrehung ändert, da man dann ja nicht nach hinten schauen würde. Stattdessen fungiert der Körper als menschliches Jog-Wheel; dreht man sich ein klein wenig und bleibt gedreht stehen, dreht sich der Blickwinkel so lange, bis man sich wieder gerade hinstellt.

Ursprünglich hatten wir angedacht, den Blickwinkel durch Neigen des Körpers nach links und rechts zu steuern, dies stellte sich in Tests jedoch als eher unintuitiv und nicht so natürlich wie Drehen heraus.

Nach oben und unten schauen funktioniert ähnlich; neigt man sich ein wenig nach hinten, schaut man ganz nach oben, so dass man nie Gefahr läuft, sich den Rücken zu brechen.

Bewegen tut man sich, indem man auf der Stelle läuft oder hüpft. In einem kleinen Usertest fanden die meisten Leute nach einiger Zeit zwar anstrengend, aber doch lustig, so dass wir es drin ließen.

Durch die Steuerung mit dem ganzen Körper, die physische Interaktion, die sich eng an einen richtigen Spaziergang anlehnt, fühlt sich das Spazierengehen mit Remote Strolling viel realer an, als die Maussteuerung von Google StreetView an einem Computer.

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Es ist nicht sofort klar, wie Remote Strolling gesteuert wird. Außerdem könnte man das ganze auch für eine Slideshow oder ähnliches halten. Um die Steuerung zu erklären und gleichzeitig das Interesse von Leuten zu wecken, haben wir uns nach einem Vorschlag von Monika Hoinkis überlegt, auf dem Boden vor dem Display einen Aufkleber anzubringen, der die Steuerungsmöglichkeiten illustriert.

Wetter

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Um das Spazierengehen noch realistischer zu machen, kann über dem Panorama zusätzlich noch das Wetter eingeblendet werden. Falls es sich um einen historischen Ort von vor 500 Jahren handelt, könnte man natürlich einerseits, so überliefert, das Wetter am heutigen Tag vor 500 Jahren nutzen. Um eine größere emotionale Nähe zu schaffen, könnte man aber einfach auch das Wetter von heute nehmen.

Navigation

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In unseren Tests hatten wir teilweise das Problem, dass Leute einfach herumliefen und nicht genau wussten, wo es Sehenswürdigkeiten gibt. Damit die Leute sich nicht langweilen, haben wir noch ein kleines Navigationsoverlay am unteren Bildrand vorgesehen: ein kleiner Kompass, auf dem Sehenswürdigkeiten in der Nähe angezeigt werden.

Zusatzinformationen

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Außerdem können wir uns noch gut im 3D-Raum platzierte Marker vorstellen, die dann auf die Sehenswürdigkeiten hinweisen. Darin würde der Name und ein kleiner Text stehen; entweder selbst geschrieben oder ein Auszug von Wikipedia.

Schließlich können wir uns noch hyperlokale Nachrichteneinblendungen vorstellen, sehr spezifisch auf ein Gebäude oder eine Straßenecke bezogen. So bekäme man als fremder Spaziergänger auch in einer eher statischen Repräsentation ein wenig ein Gefühl davon, was an einem Ort los ist.

Prototyp

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Prototypisch haben wir unser Konzept mit Hilfe von Microsoft Kinect, Processing und Google StreetView umgesetzt.

Der funktionierende Prototyp besteht aus zwei Teilen: einem Processing-Sketch, der sich um das Auslesen und Verarbeiten der Kinect-Daten kümmert, und einer Webseite, die das StreetView-Bild darstellt.

Der Kinect ist an ein Laptop angeschlossen, auf dem ein Processing-Sketch läuft. Dieser trackt das Skelett eines Menschen und schaut, wie viel sich dieser nach vorne oder hinten neigt, dreht oder ob er läuft oder hüpft. Zum Tracken des Skeletts benutzen wir wundervolle Libraries, die Gestenerkennung haben wir selbst geschrieben. Der Processing-Sketch überträgt dann die aus der Gestenerkennung gewonnenen Steuerbefehle per WebSockets an ein Browserfenster.

Im Browserfenster läuft eine kleine Webseite, auf der das Google-StreetView-Flash-Widget läuft, das wir ein klein wenig customisiert haben, damit man die normalen Steuerungselemente nicht sieht. Darüber können noch verschiedene Ebenen mit ganz normalen HTML-Elementen wie beispielsweise Bildern gelegt werden, um verschiedene Wetterlagen zu simulieren.

Vorgehensweise und Überlegungen

Im Kurs sollten wir zuerst schauen, welche Anwendungsmöglichkeiten für Public Displays bisher existieren, um dann danach eine neue zu entwickeln. Diese sollte nicht bloß Kunst oder Werbung darstellen, sondern einen Mehrwert bieten und zudem interaktiv sein.

Wir entschieden uns dafür, Menschen mit anderen Orten zu verbinden, um so ihren Horizont zu erweitern und die Welt kleiner werden zu lassen. Dazu schauten wir die Projekte an, die es dazu bereits gibt: Webcams, Diashows, oder das Telectroscope, ein fiktiver Tunnel zwischen London und New York.

Die ersten beiden Möglichkeiten waren uns nicht interaktiv genug und zu langweilig. Wir überlegten dann, eine Art gegenseitiges Fenster zu einem anderen Ort zu kreieren, so dass Leute schauen könnten, was dort vor sich geht – und sogar miteinander interagieren könnten. Kurz dachten wir sogar an eine Art Chatroulette für die Displays in U-Bahn-Stationen. Diese Gedanken verwarfen wir allerdings recht schnell, da Public Displays sich ja nun an öffentlichen Orten befinden und Leute sich dadurch nicht aussuchen können, ob sie beobachtet werden oder nicht.

Ein großer Vorteil des Telectroscope-Tunnels ist dessen Physikalität; man muss selbst entscheiden, ob man ihn sich anschaut oder nicht – dies ist bei Public Displays oftmals nicht gegeben. Eine informelle Umfrage ergab, dass es einige Leute gibt, die es nicht schön finden, wenn ihnen fremde Menschen auf einem Bildschirm dabei zuschauen, wie sie ungeschminkt mit einem Koffer in der einen und einem Kaffee in der anderen Hand versuchen, doch noch ihre U-Bahn zu erreichen. Innerhalb des Ökosystems einer U-Bahn-Station ist dies okay, da die meisten Leute selbst gerade auf dem Weg wohin sind; wird der Reisende aber zum stillen Beobachter, ist dies nicht mehr okay und man fühlt sich beobachtet.

Diese Dinge im Hinterkopf behaltend, entschlossen wir uns, eine nicht-aktuelle Verbindung in eine Richtung zu gestalten, so dass schlendernde, wartende, sich vielleicht ein wenig langweilende Menschen durch simple Interaktionen mit einem Display andere Orte erfahren könnten. So gestalteten wir eine Art virtuelles Spazierengehen: ein Mensch spaziert durch die Gegend, kommt zu einem Public Display, wo sein Interesse geweckt wird, und läuft dort dann weiter – bloß halt virtuell, an einem entfernten Ort. Daher auch der Name Remote Strolling.

Fazit

Endlich sind wir mal rausgekommen (als wir das Plakatguckverhalten von Leuten in U-Bahn-Stationen beobachtet haben). Außerdem konnten wir uns auch mal von den üblichen Input-Techniken (Maus, Tastatur, Multitouch) lösen und uns überlegen, wie ein Mensch mit einem öffentlichen Display interagieren könnte. Hauptsächlich haben wir uns also Gedanken über die Interaktionen und den Sinn und Zweck unseres Projektes gemacht.

In der grafischen Gestaltung hingegen sind wir ein wenig zurückgeblieben, da hätten wir vielleicht noch ein bisschen mehr machen können. Besonders zu nennen wäre da die Gestaltung des Aufklebers mit den Instruktionen, den wir vor das Display platzieren wollen. Aber auch die im 3D-Raum platzierten Infomarker für Sehenswürdigkeiten sind noch nicht sehr gut lesbar, zudem ist die Interaktion mit ihnen noch nicht ganz geklärt. Angedacht wäre, dass Leute mit dem Finger auf sie zeigen könnte, und dann ein größeres Infofenster aufklappt. Wie gut das funktionieren würde, konnten wir allerdings noch nicht testen.

Trotz dieser kleineren Mängel sind wir mit unserem Ergebnis halbwegs zufrieden, zumal es im Unterschied zu vielen anderen Kursen auch tatsächlich mal ziemlich funktioniert. Und Spaß gemacht hat der Kurs auch.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Interfacedesign

Art des Projekts

Studienarbeit im zweiten Studienabschnitt

Betreuung

foto: MH

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2011 / 2012