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Scham da unten? – eine Kampagne für mehr

Scham da unten? – eine Kampagne für mehr „UNTENRUMLOVE“

Wie kann man Scham vermarkten? Oder für Unbeschämtheit werben, ohne dabei dennoch den Wunsch nach Diskretion zu erwecken? Wie kann man Scham durch visuelle Gestaltung eine Bühne geben? Mit diesen und weiteren Fragen haben wir uns im Kurs „(Hall of) Shame!“ beschäftigt und mit individuellen Projekten angenähert.

Ideenfindung

Nach vielem Hin und Her und Ideen in verschiedene Richtungen wollte ich mich zunächst gerne mit dem Thema Amenorrhoe, also dem Ausbleiben der Regelblutung, beschäftigen. Interessant fand ich dabei vor allem die Scham, die aus dem Gefühl heraus entsteht, man selber sei nicht „normal“. Doch wer definiert eigentlich, was „normal“ ist? Um dieser Frage noch vielschichtiger nachgehen zu können, wollte ich mein Thema auf weitere schambehaftete „Unnormalitäten“ im Genitalbereich der Frau ausweiten.

Erster Themenpitch im Videoformat zur Zwischenpräsentation.

Weiterentwicklung der Idee

Oft denken wir, „ideal“ und „normal“ seien gleichzusetzende Begriffe und gehen davon aus, dass alles, was außerhalb des Idealbereichs liegt, sei es medizinisch messbar oder durch gesellschaftliche Normen geprägt, eben „nicht normal“ sei. Niemand spricht gerne darüber, was wiederum den Eindruck verstärkt, man sei alleine mit jenem Problem.

Diese Scham und Unsicherheiten kennen wir alle. Ich wollte mich in meinem Projekt, ausgehend von meiner Grundidee zum Thema Amenorrhoe, mit Themen beschäftigen, mit denen vor allem Frauen und Menschen mit Vulva konfrontiert sind. Dazu habe ich erstmal eine Themensammlung erstellt:

  • Juckreiz

  • Ausfluss/Zervixschleim

  • Geruch

  • Haare/Intimfrisuren

  • Pickelchen bzw. Hautirritationen/-reizungen

  • Ausbleiben der Periode

  • sehr starke Periode

  • sehr schwache Periode 

  • starke Regelschmerzen

  • Brennen

  • Infektionen

  • Entzündungen

  • Schwellungen

  • Schmerzen

  • Sexualisierte Gewalt

  • Verletzungen

  • „zu viel“ Sex

  • „zu wenig“ Sex

  • Aussehen der Vulva

  • Orgasmen/Orgasmusprobleme

Aus diesen Themen habe ich mir sieben herausgegriffen, mit denen ich mich im Rahmen meines Projektes näher beschäftigen wollte. Dazu gehören die folgenden:

  1. Amenorrhoe (Ausbleiben der Regelblutung)

  2. Scheidenpilz

  3. Endometriose/starke Regelschmerzen allgemein

  4. Unsicherheiten mit dem Aussehen der eigenen Vulva

  5. Sexuelle Aktivität („zu viel“/„zu wenig“ Sex)

  6. Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt

  7. Orgasmus-Probleme

Umsetzungsform

Ursprünglicher Plan war, ausgehend von der Amenorrhoe-Projektidee, eine Plakat-Kampagne zu gestalten, die in Gynäkologie-Praxen ausgehängt wird und evtl. sogar rückseitig als Broschüre zu lesen ist. Diesen Plan habe ich nach neuer Ausrichtung der Grundidee zunächst hinterfragt und überlegt, ob die Kampagne nicht im öffentlichen Raum zu sehen sein sollte. Denn grade Themen wie sexualisierte Gewalt und Unsicherheiten mit dem eigenen Aussehen oder der sexuellen Aktivität sollten noch mehr diskutiert werden und in das allgemeine Bewusstsein gelangen. Da mir aber bei den vielen sensiblen Themen ein behütetes Umfeld und eine direkte Möglichkeit zur Beratung und Hilfe sehr wichtig war und ich die Zielgruppe so direkt wie möglich ansprechen wollte, habe ich mich wieder für die Gynäkologie-Praxis entschieden.

Als ich mir Gedanken über die Anspracheform der Plakate gemacht habe, habe ich verschiedene Anspracheszenarien durchgespielt und durchdacht. Dazu habe ich die Ansprache aus der Perspektive verschiedener stellvertretender Personen gedacht, wie z.B. eine vertraute Person wie die beste Freundin, die mich einfühlsam und verständnisvoll berät, oder autoritäre Personen wie Lehrer*innen oder Ärzt*innen, die mich fundiert und faktenorientiert aufklären. Als weitere Person, die gewissermaßen eine Symbiose aus den vorigen Personen darstellt, hab ich eine Influencerin gewählt. Da diese vieles aus ihrem persönlichen Leben in sozialen Netzwerken wie Instagram zeigt, fühlt man sich ihr vertraut und identifiziert sich bestenfalls mit ihr. Dennoch bewahrt sie die nötige Distanz, da man sie nicht persönlich kennt und ihre Beitrage sind, da Instagram ja oft auch ein Job ist, bestenfalls gut recherchiert und fundiert. Die Rolle der Influencerin hat sich somit für mich als ideal herausgestellt, um aus ihrer Perspektive die Ansprache auf den Plakaten zu denken. Dadurch ist auch die Idee entstanden, die Themen nicht nur auf den Plakaten, sondern darüber hinaus auch in den sozialen Netzwerken zu behandeln, was der Vielfalt und Tiefe der Themen auch viel gerechter wird. So habe ich nicht mehr den Druck, auf einem Plakat über ein riesiges Thema aufzuklären, sondern nutze die Plakate nur, um darauf aufmerksam zu machen und verweise für weitere Informationen auf einen einfachen Hashtag, unter dem man auf Instagram & Co weitere Posts findet.

Visuelle Ansätze

Nun habe ich angefangen, für alle sieben Plakate Ideen für Darstellungsformen zu sammeln und Skizzen zu machen. Die größte Herausforderung dabei war, jeden visuellen Ansatz auf alle sieben Plakate zu übertragen, da deren Themen ja recht heterogen sind. So habe ich viele Ideen nur angedeutet und nicht für alle Themen ausgearbeitet.

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Erste Skizzen und Entwürfe.

Für die Motive war es für mich erstmal naheliegend, irgendwas „untenrum“ darzustellen bzw. Übersetzungsformen zu finden, damit die Motive nicht zu explizit werden. Der Nachteil dieser Herangehensweise ist aber, dass dieses Übersetzen und etwas nicht zeigen ja auch wieder etwas Beschämendes hat und ich genau diese Art von Diskretion vermeiden wollte, um die Scham zu reduzieren. Deswegen ist die Entscheidung auf einen Entwurf gefallen, in dem nichts untenrum zu sehen ist, im Gegenteil: es ist das Gesicht einer Person zu sehen, die nach unten schaut und auf das jeweilige „Problem“ reagiert. Somit wird die Aufmerksamkeit weg von Äußerlichkeiten, hin zur emotionalen Gefühlslage gelenkt, worum es mir in meinem Projekt ja viel mehr geht. Durch die Abbildung von Gesichtern wird zum einen die Aufmerksamkeit der Betrachter*innen erhöht und es fällt ihnen leichter, sich mit den Problemen zu identifizieren und sie sich bestenfalls sogar einzugestehen und sie ernst zu nehmen.

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Erste Schnappschüsse für den finalen Entwurf.

Nachdem sowohl auf den Fotos für die Entwürfe als auch für die vorläufigen Plakate für die PreFinals zunächst nur ein Model auf allen Plakaten zu sehen war, habe ich mich später dazu entschieden, für die finalen Plakate mehrere Models darzustellen. Gerade bei diesen sensiblen Themen ist mir eine große Diversität der Models besonders wichtig, damit sich alle Betroffenen mit den aufgezeigten Problemen identifizieren können. Außerdem würde bei nur einem Model die Gefahr bestehen, dass die Gefühle zu sehr geschauspielert wirken, da eine Person wohl kaum alle sieben Probleme haben wird. So habe ich mich für meine finale Abgabe dazu entschieden, drei Plakate mit drei verschiedenen Models zu erstellen.

Finale Ausarbeitung

DIE PLAKATE

Für die PreFinals habe ich, da nicht mehr viel Zeit vorhanden war, zunächst nur ein Model fotografiert. Um schon mal eine Vorlage zu haben und zu testen, wie das Ganze am Ende aussehen könnte, haben wir bereits für alle sieben Themen bzw. Plakate geshootet. Mit einem weiteren Model habe ich später noch Motive für zwei weitere Plakate aufgenommen, sodass ich für meine finale Abgabe vier Plakate hatte. Die restlichen Plakate dienen als Entwürfe oder Veranschaulichung für eine mögliche weitere Ausarbeitung des Projekts.

Die Gestaltung des Plakates habe ich recht simpel gehalten, um die Aufmerksamkeit klar auf das Gesicht zu lenken. Auch den Text habe ich so kurz und prägnant wie möglich gehalten.

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Erprobung einer Visualisierung der hängenden Plakate in einem Gynäkologie-Wartezimmer.

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Weitere Plakate als Entwürfe bzw. Veranschaulichung für eine mögliche weitere Ausarbeitung des Projekts.

INSTAGRAM-ACCOUNT

Für die PreFinals ist zunächst nur ein Mockup mit ersten Feed-Gestaltungsideen entstanden, an dem ich mich später für den tatsächlichen Instagram-Account orientiert habe.

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Erster Entwurf für die Instagram-Feed-Gestaltung.

Nachdem ich die einzelnen Bilder und Videos für die ersten Posts überarbeitet habe, habe ich zu den jeweiligen Ideen Texte verfasst. Ziel dieser Texte ist es, auf eine lockere und persönliche Art und Weise aber dennoch fundiert über das jeweilige Thema zu informieren. Vorbild und Inspiration war dabei in einigen Punkten u.a. der Account „thefemalecompany“.

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Auszüge aus dem Instagram-Account „UNTENRUMLOVE“.

DIE MARKE „UNTENRUMLOVE“

Aus dem Hashtag #untenrumtalk hat sich die Marke „UNTENRUMLOVE“ entwickelt. Nachdem ich die Marke selbst erst „UNTENRUMTALK“ nennen wollte, habe ich mich dazu entschieden, mir mit einem anderen Markennamen mehr Freiheiten für weitere Hashtags in diesem Schema zu lassen. Außerdem sagt der Name „UNTENRUMLOVE“ das, was die Marke vermitteln soll: liebe dein „Untenrum“ und schäme dich nicht dafür. „UNTENRUMTALK“ hingegen bleibt sachlich und eröffnet das Gespräch über das „Untenrum“, was essenziell zum Überwinden der Scham ist und daher einen entscheidenen Baustein von „UNTENRUMLOVE“ darstellt. Langfristig könnten weitere Hashtags wie #untenrummythen, #untenrumtips oder #untenrumpleasure hinzukommen.

LOGO

Das Logo ist bereits für die PreFinals aus einer simplen Idee entstanden, die eigentlich erstmal nur vorläufig war. Mit der Grundidee war ich aber sehr zufrieden, sodass ich dabei geblieben bin und nur noch einige Details ausgearbeitet habe.

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Fazit

Meistens habe ich, bevor ich in einen Kurs starte, eine grobe Idee, in welche Richtung es gehen soll und wie ich mir mein Projekt ungefähr vorstelle. Diesmal bin ich jedoch vollkommen planlos aber dennoch neugierig in den Kurs gestartet, war aber gleichzeitig auch direkt beunruhigt, noch keine Idee zu haben. Meine Ansprüche an die Themenwahl waren sehr hoch und ich habe mir die Suche selber ziemlich schwer gemacht. An jeder Idee hatte ich selbst irgendetwas auszusetzen, fand sie „zu platt“, „zu langweilig“ oder dachte: „dazu hat man schon zu viel gesehen“. Normalerweise treffe ich sehr schnell und intuitiv Entscheidungen aber hier waren die Themen so persönlich und emotional geladen, dass mir die Entscheidung bzw. Festlegung auf ein Thema besonders schwerfiel. Als ich mich aber schließlich – wenn auch durch Zeitdruck etwas gezwungenermaßen – auf ein Thema festgelegt habe, fielen die folgenden Entscheidungen viel leichter. Plötzlich erschien mir sogar alles so klar und offensichtlich, dass ich gleich ein paar Schritte zu viel gemacht habe und dann doch nochmal einige zurückgehen musste. Diese Erfahrung, mal aus meinem gewohnten Muster auszubrechen, war sehr wertvoll. Sonst tendiere ich dazu, mich schnell festzulegen, den erstbesten Weg einzuschlagen und aus Bequemlichkeit Kompromisse einzugehen. Durch die offene Aufgabenstellung und keine konkreten Anforderungen in Bezug auf die visuelle Ausarbeitung, habe ich mir viel Zeit für das Konzept gelassen, bevor ich visuell gearbeitet habe. Das war unglaublich hilfreich und erkenntnisreich für mich und ich habe gemerkt, wie ich dadurch die Qualität des Projektes erheblich steigern kann und es sich lohnt, viel Zeit in ein gutes und zu Ende gedachten Konzept zu investieren. Das Feedback aus dem Kurs und die vielen Diskussionen haben dabei erheblich zur Entwicklung des Projektes beigetragen. Das Ergebnis hat zugegebenermaßen meine eigenen Erwartungen an mich und den Kurs übertroffen und ich bin unglaublich froh über diese Erfahrung und Horizonterweiterung.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Studienarbeit im zweiten Studienabschnitt

Betreuung

foto: Prof. Matthias Beyrow

Zugehöriger Workspace

(Hall of) Shame!

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2021 / 2022