In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
Material ist Produkt im Produkt. Mit welchen Strategien kann eine Sensibilisierung für den Umgang mit Materialien im Designprozess stattfinden? Wie kann zukünftigen DesignerInnen vermittelt werden, dass eine Betrachtung aus verschiedensten Blickwinkeln auf Materialien erfolgen sollte, um gute Gestaltung zu gewährleisten?
Jedes Produkt besteht aus einem oder mehreren Materialien.
An den Eigenschaften eines gut funktionierenden oder formalästhetisch gelungen Produktes ist das Material maßgeblich beteiligt. Demnach besteht die Notwendigkeit, sich als Gestalter/Gestalterin intensiv mit der Materialität auseinander zu setzen. Die Materialität kann nicht losgelöst von der Formensprache gesehen werden, jedoch kann der Gestaltungsansatz, der zu einer bestimmten Formensprache führt, vom Material ausgehend betrachtet werden.
„70 % aller neuen Produkte basieren auf neuen Materialien! So lautet das Ergebnis einer Studie (Höcker 2007), in der Werkstoffe zum Motor für Innovationen erhoben werden.“ (Peters 2012)
In den Chemie- und Werkstofflaboren von Unternehmen, Universitäten und Hochschulen entstehen zahlreiche Materialien mit hervorragenden Eigenschaften. Oft fehlt das Nutzungskonzept, da die Schnittstelle zum Design nicht vorhanden ist. Ein Gestaltungsansatz, der sich vom Material ausgehend einer Problemstellung annimmt, verlangt eine sorgfältige und ganzheitliche Material-Analyse. Nicht nur die technischen, chemischen und funktionalen Eigenschaften des Materials müssen hinreichend untersucht werden, sondern auch die wahrnehmungspsychologische und semiotische Betrachtung spielen eine Rolle, um von einer materialgerechten Produktlösung sprechen zu können.
In meiner Arbeit beschreibe ich die vielschichtigen Aspekte der Materialbetrachtung und versuche ein umfassendes Bild einer ganzheitlichen Materialbefragung zusammenzusetzen. Parallel entwickle ich eine Möglichkeit zur Vermittlung des Stoffes, sowie eine Evaluationsmatrix. Alles zusammengenommen ist als Anregung zur Ergänzung der Designlehre gedacht oder kann als Impuls für einen materialorientierten Gestaltungsansatz verstanden werden.
Innere und äußere Strukturen eines Materials, also die chemischen und physikalischen Eigenschaften, die für bestimmte Reaktionen und Verhaltensweisen sorgen, spielen für die Produktgestaltung eine wesentliche Rolle. GestalterInnen sind auf fundierte chemische und physikalische Materialinformationen angewiesen, die sie von Experten auf den jeweiligen Fachgebieten erhalten. Hilfreich ist auch die Bereitstellung einer möglichst umfangreichen Sammlung verschiedenster Materialien. Aber nicht nur das, auch die Art und Weise, nach welchen Kriterien die Materialien gesammelt und auf einer Plattform kommuniziert werden, dient der sinnvollen Nutzung. Neben dem Aneignen von fundiertem Fachwissen kann der experimentelle Umgang mit Materialien zu weiteren hilfreichen Erkenntnissen führen. Die Frage nach den Eigenschaften eines Materials stellt sich je nach Gestaltungsansatz aus zwei Richtungen. Erstens: Es existiert ein Produktbriefing, d. h. die Anforderungen an das Material sind formuliert. Hier besteht die Möglichkeit, in einem Rebriefing innovative Alternativen vorzuschlagen. Der Gestalter/ die Gestalterin sollte auf Materialdatenbanken zurückgreifen können, die eine präzise Verschlagwortung aufweisen, um effizient zum gewünschten Ergebnis zu kommen. Zweitens: Die besonderen Materialeigenschaften sollen Anregung zu einer Produktgestaltung geben. Eine im »Magazincharakter« mit den aktuellsten Forschungsergebnissen aus Wissenschaft und Technik aufbereitete Datenbank wäre hier als Inspirationsquelle angebracht. Eng verknüpft mit den Eigenschaften ist die Frage nach der Verarbeitung eines Materials.
Der Faktor Verarbeitung ist wesentlich an der ökologischen und ökonomischen Bilanz eines Produktes beteiligt. Durch intelligent eingesetzte Verarbeitungsverfahren, bzw. den Transfer von Verarbeitungsverfahren aus anderen Kontexten, kann positiv auf die Bilanz eines Produktes Einfluss genommen werden. Bei der Überlegung zu den sinnvollsten Fertigungsverfahren für ein Produkt sollte auch geprüft werden, ob die Komplexität und Materialvielfalt im Produkt gesenkt werden kann. Je weniger Materialien in einem Produkt Anwendung finden, desto größer die Chance der Kreislauffähigkeit. Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Verarbeitung mehrerer Materialien ist die Anwendung lösbarer Verbindungen, um sortenreine Materialtrennung vornehmen zu können.
Die Oberfläche ist der entscheidende Informationsträger eines Produktes. Relativ schnell erfassen wir mit den Augen die Materialität und nehmen Farbigkeit, Rauigkeit oder Reflexion wahr, die wir aufgrund unserer Erfahrungen einzuordnen wissen. Jedoch liefert das optische Erscheinungsbild nicht alle Informationen. Gewicht, genaue Kontur, Temperatur, Festigkeit und Oberflächenbeschaffenheit können wir nur haptisch erfahren. Neben haptischer Wahrnehmung ist auch der Klang oder Geruch eines Materials maßgeblich am Erfolg eines Produktes beteiligt. Neben der problemlösungsorientierten Informationssammlung trägt die atmosphärische, emotionale Seite der Wahrnehmung zum gelungenen Einsatz eines Materials in einem Produkt bei. Die Wahrnehmung ist also in seiner Gesamtheit, sowohl im instrumentell als auch autotelisch motivierten Berührbedürfnis, zum hinreichenden Informationsgewinn zu berücksichtigen. Haptische, optische, olfaktorische, akustische, zuweilen auch gustatorische Analysen führen zu einem abgerundeten Gesamtbild.
Die soziokulturelle Einordnung eines Materials verlangt es, ein Gespür für die Bewertung politischer, kultureller und gesellschaftlicher Geschehnisse zu entwickeln. Die Entscheidung für bestimmte Materialien in einem Produkt hat Konsequenzen auf den Herstellungsprozess und damit auf soziale Arbeitsbedingungen. Im späteren Gebrauch entscheidet das Material über unsere Wertschätzung des Produkts und damit über seine Lebensdauer. Entscheidend wird auch sein, wie gut sich das Produkt aufgrund seiner Materialzusammensetzung in Kreisläufe eingliedern lässt, denn noch viel zu oft tragen Menschen, die das Produkt nicht einmal genutzt haben, die Lasten für dessen Entsorgung.
Den historischen Kontext eines Materials zu kennen kann helfen, die Fehlinterpretation eines späteren Produktes zu vermeiden. Im positiven Fall schwingen die Herkunft und traditionelle Verarbeitung eines Materials als Narrativ im Produkt mit. Genauso wichtig, wie die Design-, Medien- und Kunstgeschichte im Curriculum der Gestaltungslehre zu verankern, ist es, Materialhistorie in der Theorie zu behandeln, um grundsätzlich für dieses Thema zu sensibilisieren.
Die weltpolitischen Themen wandeln sich. War es bis vor nicht allzu langer Zeit die Globalisierung, so werden aktuell Materialien vor dem Hintergrund des Klimawandels bewertet. Spätestens nach dem Beschluss der Vereinten Nationen die 17 Ziele dahingehend zu modifizieren, dass die ökologischen Ziele nicht verhandelbar sind, stehen solche Kriterien in der Konsumgüter- wie auch in der Investitionsgüterindustrie und damit die Materialfrage im Vordergrund. Unser gestalterisches Handeln muss mit diesen Zielen abgeglichen werden.
Ökologie und Ökonomie werden häufig in einem Atemzug genannt, zuweilen jedoch als unvereinbare Gegensätze wahrgenommen. Mittlerweile entwickelt sich nachhaltiges Engagement im Unternehmen und seine Kommunikation nach außen zum Kern der Ökonomie. Wird ein ernstgemeintes, produktrelevantes, nachhaltiges Handeln in den Kernbereichen eines Unternehmens verankert, trägt es zur Akzeptanz und Stärkung der Marke bei. Sogenanntes »Greenwashing«, d. h. die irreführende Kommunikation ökologischer Aktivitäten ohne ernsthafte Handlungen dahinter, werden dauerhaft dem Unternehmen schaden. Durch die hohe Dynamik der Entwicklungen einerseits und den Druck zum nachhaltigen Handeln andererseits, verbunden mit zunehmender Digitalisierung, ist die Wirtschaft ständigen Veränderungen unterworfen. Diese Veränderungen zu begreifen und visionär in Produktgestaltungen und Dienstleistungskonzepte umzusetzen, wird unter anderen AkteurInnen auch Aufgabe von DesignerInnen sein. Die Frage nach dem ökologisch und ökonomisch gleichermaßen vertretbarem Material wird hierbei ein entscheidender Faktor sein.
Unter der semiotischen Analyse wird die syntaktische (beschreibende), semantische (deutende) und pragmatische (handelnde) Entschlüsselung der Zeichensprache eines Artefakts verstanden. Beim betrachteten Objekt kann es sich um ein Material handeln. Es kann losgelöst aus dem Produktzusammenhang, aber auch im Zusammenspiel betrachtet werden. Unter Umständen führt die Zeichenhaftigkeit zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die eigene Haltung zu einem Material resultiert aus dem Wissen über dessen Herkunft und Verarbeitung, sowie aus gesellschaftlichen Konventionen und deren Zeichenkanon.
Zur Bewertung der Aufgabenstellungen wurden mit Studierenden der FH Potsdam und Hochschule Magdeburg-Stendal verschiedene Übungen im Projekt-und Workshop-Format und als Teilaufgabe eines Pflichtkurses durchgeführt. Aus einem der Bearbeitungszeit vorgelagerten Übung wurden Beispiele aus dem Projekt „Goldrauschen“ an der Kunsthochschule Halle Burg Giebichenstein ( https://www.burg-halle.de/design/industriedesign/produktdesign-keramik-und-glasdesign/studienarbeiten/project/ws-1819-komplexes-gestalten-goldrauschen/ ) beigefügt.
Material ist Produkt im Produkt. Mit dieser Aussage lässt sich die Bedeutung von Material in der Produktgestaltung beschreiben. Mit der gleichen Aufmerksamkeit, mit der auf eine Problemlösung, Konzeption und Formgestaltung bei einer Produktentwicklung eingegangen wird, sollte auch eine Materialbetrachtung durchgeführt werden. Beides ist natürlich im engen Zusammenhang zu sehen und manchmal ist das Material auch eine logische Schlussfolgerung. Material ist dennoch das bestimmende Element in einem Produkt und sollte deshalb mit großer Sorgfalt ausgewählt werden. Für zukünftige Gestalter und Gestalterinnen ist es wichtig, über ein breites Materialwissen zu verfügen. Die Vertiefung erfolgt durch die Arbeit im Projekt und durch die mitwirkenden Experten. Sinnvoll ist es, sich schon früh ein umfangreiches Netzwerk zu erarbeiten. Das kann bereits im Studium beginnen und durch die Lehrenden unterstützt werden. Aufgabe der Lehre darf nicht nur die reine Wissensvermittlung sein, welche ohnehin nicht umfassend sein kann, sondern das Sensibilisieren für das richtige Fragenstellen. Die Methode des ganzheitlichen, kritischen Hinterfragens des Materials kann zu innovativen Produkten führen oder Prozesse revolutionieren. Produktgestaltung ist längst keine oberflächliche Bedürfnisbefriedigung reicher Industrieländer mehr, sondern die verantwortliche Wahrnehmung einer Schnittstellendisziplin zwischen Wissenschaft und Weltgeschehen.