In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
im kontext des kurses annotation systems* entstand als freies projekt eine serie von variationen des manicule themas als grafik-bibliothek und symbolfont mit exemplarischer anwendung innerhalb eines fiktiven visuellen leitsystems für ein haus der darstellenden kunst.
☛ körperlich improvisierte musikalische notation wird zu räumlich wirksamer grafischer annotation
einmal leistete er sich den scherz, minuten lang regungslos an einem tisch zu sitzen und dem erschütterten publikum nur seine hände zu zeigen. das gesicht blieb im dunkel: die hände lagen, kalkig weiss geschminkt und vom scheinwerfer grell angeleuchtet, auf der schwarzen tischplatte. der indendant stellte seinen unschönen hände aus wie kostbarkeiten: dies tat er halb aus übermut – um zu sehen, wie weit er es treiben konnte –; teils um sich selbst zu quälen, denn er litt heftig unter dieser exhibition seiner breiten, ordinären finger.
klaus mann: mephisto
warm up des kurses war eine auseinandersetzung mit zettel's traum von arno schmidt. monumental und sperrig, schwer zugänglich und nebulös. ausschnitthaft wurde eine doppelseite auf einem plakatformat neu interpretiert. durch trennung der verschiedenen ebenen von haupttext, schmidts annotationen und meiner grafischen annotation bzw. aufschlüsselungsversuches entstand eine mehrdimensionales gebilde, dass die unschärfe des textes thematisiert. dem plakat liegt die idee und annahme einer 'inneren alchemie' von schmidt original typoscript zugrunde, das in einem prozess des auflösens und vermischens in einen neuen aggregatzustand überführt wird, nachdem sich bereits friedrich forssmann 23 jahren am original abgearbeitet hat. meine interpretation bleibt deutlicher kurzweiliger und kurzatmiger.
in der reflexion zu notations- und annotationspraktiken fiel die unterschiedliche verwendung und transformation der typografischen marke der manicule (index/druckerfaust – die entkörperlichte hand, die auf etwas hinweist) ins auge. ursprünglich eine handschriftliche annotation des lesers in handschriftlichen manuskripten wurde sie mit dem buchdruck durch den drucker in den text übernommen, um auf wesentliches hinzuweisen. auch alterniert ihre verwendung mit der alinea-marke als absatz auftakt. später wurde sie ubiquitär verwendet und sukzessive durch pfeilsymbole ersetzt. heute hat die verwendung von manicule eher nostalgischen charakter.
das grafische thema der handweisung ist über einen zeitraum von 1000 jahren in allen erdenklichen weisen bearbeitet und überarbeitet worden. sie fand mit der festlegung in unicode sets und der verwendung in chats über messenger apps wie whatsapp oder telegram auch eingang in unsere heutige alltagskultur.
mich interessierte eine methodik, um von der geste zu einem grafischen zeichen zu gelangen. um die verwendung von bestehenden systemen (gebärden-, zeichenalphabete, mudras, etc.) zu vermeiden, wurde ein intuitiver ansatz gewählt: tänzerische improvisation auf einen teil des körpers beschränkt, sogenanntes micromovement. über videostills, kategorisierung nach stellungen und spannung der finger, grafische abstraktion und reduktion wurde eine grafik-bibliothek im umfang von 30 varianten des manicules entwickelt mit zwei grafischen variationen, also insgesamt 90 zeichen als ausgangsmaterial für weitere anwendungen.
im nächsten schritt ging es um die überführung in eine exemplarische anwendung. da das grundmotiv der manicule im räumlichen kontext die wegweisung ist, lag die adaption auf ein visuelles leitsystem nahe, hier spezieller einer spielstätte der darstellenden kunst wie zum beispiel einem theater oder einem ort der tänzerischen performance. das HAU (hebbel am ufer) liegt da nahe, jedoch sprengte es mit seinen 3 spielstätten den rahmen dieses freien projektes. also fiel die wahl auf das berliner ensemble, dass mit seinen inszenierungen durch berthold brecht und helene weigel in der nachkriegszeit wegweisend für das deutsche theater war.
auch bespielt es ein länger bestehendes neobarockes gebäude (erbaut durch heinrich seeling, 1892 eröffnung) mit einer bedeutenden und wechselvollen theatertradition: dem neuen theater (1903-06 indendanz max reinhardt) bzw. theater am schiffbauerdamm. es war immer ein ort des experiments und der neuverhandlung von gesellschaftsrelevanten stoffen. 1928 wurde brechts/weills dreigroschenoper uraufgeführt, gustav gründgens führte hier seine erste regie unter der indendanz von aufricht.
seine in den 50er jahren installierte leuchtreklame strahlt weit in die stadt hinein und liefert den anknüpfungspunkt für das leitsystem manicula.
2019 kam als erweiterung das neue haus mit zwei weiteren bühnen hinzu. die ausschilderung wirkt etwas provisorisch, im hinteren bereich des hofes handelt es sich nur um transparente, die an geländer befestigt sind. insgesamt ergibt sich im neuen haus ein etwas zusammengeschusterter eindruck: grundkonzept vorhanden und angewendet, aber mit ausgedruckten zetteln und pfeilen ergänzt. eindeutig optimierungsfähig.
das BE besitzt mittlerweile also ebenfalls 3 spielstätten, konzentriert sich jedoch auf den standort am berthold-brecht-platz in mitte.
das konzept des visuellen leitsystems für diesen ort ist eine variation des fingerweises: zum parkett und zu den rängen des theatersaales und seiner funktionellen nebenräume wie kasse, gardarobe und toiletten. auch soll es der allgemeinen orientierung dienen und zu den unterschiedlichen bühnen, verteilt in zwei gebäuden weisen.
basic: die erste variante wäre ein modulares system, das auf einen träger eine grafische komponente (manicule) mit der typografischen benennung kombiniert. die inversion bezeichnet die jeweilige bühne.
deluxe: die zweite wäre eine neoninstallation ohne träger als überschreibung der wände des neobarocken gebäudes und unter aufnahme des motivs des drehenden logos des BE auf seinem dach. dies bleibt in diesem kontext jedoch nur eine ideenskizze aufgrund er kürze der zeit.
vorstellbar wäre auch ein mischung beider varianten: die ausführung der hierarchisch obersten ebene in neonröhren kombiniert mit leuchtkästen vor allem wegen der fernwirkung im aussen- und hofbereich, die trägergebundene im innenbereich für die untergeordneten raumbezeichnungen.
ausgehend von der bestehenden gestaltung der website, programmflyer und tickets ergibt sich die farbigkeit. gelb/schwarz bildet einen intensiven kontrast (bunt/unbunt) und hat eine hohe signalwirkung (wie auch auf internationalen gefahrensymbolen). der gewählte font DIN NEXT CRY lehnt sich an die verwendete typograhie des BE an, ist jedoch im hinblick auf eine verwendung als leitsystem durch akira kobayashi 1980 entwickelt worden und ist durch die klassischen deutschen Industriefonts DIN 1451 engschrift und DIN 1451 mittelschrift inspiriert. es liegen 7 strichstärken vor, was eine gewisse variablität für eventuell weitere anwendung ermöglicht.
für 15 räumliche situationen werden 15 variationen der grafik-bibliothek ausgewählt und im leichten anschnitt auf einen hintergrund montiert, der um ein tag mit der bezeichnung ergänzt wird. damit ist es unmissverständlich und verbleibt nicht der spekulativen offenheit der interpretation des manicule. trägermaterial könnten leichte alu-dibond-platten sein, die bedruckt werden und mit verschiedenen folien kaschiert werden können. eine überdeckung mit mattiertem glas ist vom gewicht her schwerer, erfordert präzisere bohrungen, ist aber eindeutig wertiger und bindet das grafiksystem anders in den raum ein
auf einer grafischen übersicht wird die systematik des leitsystems ersichtlich und bietet orientierung über die verschiedenen spielstätten des berliner ensembles.
mit bezugnahme auf die drehende neon-installation auf dem dach des berliner ensemble könnte einen weitere ausformulierung des leitsystems in neonröhren erfolgen. dabei werden unterschiedliche hierarchieebenen des systems deutlich, die je nach einsatzort im aussen- und innenbereich zum tragen kommen und insbesonders aussen zur adressbildung der unterschiedlichen bühnen des BE beitragen.
zur diskussion steht die lesbarkeit der manicule varianten im hinblick auf den einsatz innerhalb eines visuellen leitsystems. die verwendung erlernter icons für die unterschiedlichen raumnutzungen und funktionen eines gebäudes ist erlernt und etabliert; das thema experimentell und neu zu interpretieren birgt die gefahr der verwirrung des benutzenden oder der nicht-lesbarkeit und somit des scheiterns der intentierten gestaltungsabsicht für diese explizite problemstellung.
die rückführung eines materials, das durch einen intuitiv-performativen ansatz gewonnen wurde auf spielstätten der darstellenden kunst ist konzeptionell stringent, jedoch wäre ein anderer anwendungsbereich im sinne einer annotation von komplexen inhalten eventuell sinnvoller. trotzdem hat die geste der handweisung im räumlichen kontext eine lange historische tradition, ist dadurch auch erlernt und verständlich, da sie auf der sehr intuitiven menschlichen geste des deutens beruht. der weg vom bezeichneten gegenstand zum ikon ist daher nur relativ kurz.
im aussenbereich würde die ausformulierung in neonröhren zu einer adressbildung der beiden häuser beitragen, da sich die grafische lösung des leitsystems an der schnittstelle zur logobildung bewegt.
☛ scheitern als aufgabe ☚
jedoch steckt im kern dieser ganzen überlegungen der ansatz einer methodologie meiner bachelor-thesis; von daher ist der mut zum experiment inklusive innewohnender potentialität des scheiterns (optional) trotzdem fruchtbar und von persönlichem mehrwert.
als add-on wurde diese incom-dokumentation in einem handwerklichen beiheft zur kommenden werkschau gesetzt: ein A2 format, separat ausgeplottet, mit fotomount zusammengefügt, zweimal gefaltet, mit einer fadenheftung gebunden und oben aufgeschnitten. voilà, ein 8-seiter, der auch als plakat in einer ausstellungssituation funktioniert. der satz dieses beiheftes experimentiert mit verschiedenen typografischen ebenen und nimmt den anfänglichen gedanken des überlagerns der vorübung zu zettel's traum auf und bringt diesen typografischen kurs zu einem runden abschluss.