In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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Theorie
Durch meine Abwesenheit, danke Grippe, verpasste ich die erste Vorlesung und versuchte mich im Nachhinein an der Bearbeitung der in den Input-Folien gestellten vier Fragen. Das war besonders amüsant, da ich den Kontext nicht vollständig rekonstruieren konnte, somit hier meine laienhafte Zusammensetzung des Puzzles:
1. Was sind die Elemente ihrer Gestaltungsarbeit?
geometrische Formen und Linien, Farben, Format, Zeit, Theorie, Inhalt
2. Wie füllen Sie den Wahrnehmungsraum?
anhand von subjektiven ästhetischen Ansprüchen, zum Teil gemessen an vermeintlichen universellen Gestaltungsregeln
3. Wie schaffen Sie Wohlgefallen?
Annäherung an mathematische Konzepte von Schönheit und reproduzierbaren Reaktionen
4. Wie üben Sie gestalterisch Gewalt aus?
inhaltliche Transformation und Interpretation, Unmöglichmachung des Zugangs für Leute mit visuellen Beeinträchtigungen
Anhand der Erstellung dieses Covers und begleitendem Material für die Bewerbung der ersten Single der Sängerin Nema möchte ich meine Analyse beginnen. Der Auftrag kam im Frühjahr 2020 kurz nach dem ersten Ausbruch des Coronavirus in Deutschland zustande und der Song wurde ungefähr während der ersten Maßnahmen aufgenommen, war aber bereits lang in Planung.
Im ersten Schritt befasste ich mit der Ästhetik des Songs, versuchte sehr lang Assoziationswelten zu finden, tauschte Inspirationen erst mit meinen Freunden und dann mit der Künstlerin aus.
Der fotografische, sie selbst als Künstlerin der Welt präsentierende Aspekt wurde immer mehr zum Thema. Die Inszenierung sollte aber das Werkzeug sein, um ihre Persönlichkeit mehr zum Ausdruck zu bringen. Daraus entwickelte sich ein Fotoshooting mit einem befreundeten Fotografen (Manu Abecasis), der mit einer analogen Kamera ein sehr ehrliches Portrait einfangen sollte, dass sie wie in einer Alltagssituation wirken lässt, die im Nachhinein verstärkt wurde.
Als geeigneten Ort suchten wir das Hochhaus „Die Pyramide“ in Berlin-Marzahn aus, welches zahlreiche Möglichkeiten für interessante Kamerawinkel hatte, die wir erst im Prozess festlegen wollten.
Das zweite Element der Gestaltung war die Outfitwahl, welche wir frei Nema überließen, um ihre persönliche Ästhetik mehr einzubringen als in einem streng vorgegebenen Shooting.
In dieser Anfangszeit beschäftigte ich mich weiterhin grundlegend mit weiteren Gestaltungsnotwendigkeiten wie der Erstellung einer Headline für den Songtitel oder einem möglichen Logo für die Promotion des Songs. Um den Songtitel aufzufassen, plante ich den Titel grob in einer Schreibweise einzubauen, die die Leserichtung verändert oder generell die Ausrichtung des Bilds zu manipulieren.
Das Logo basierte aus einer Verschmelzung der kyrillischen Schreibweise ihres Namens und der lateinischen. Wie eine Persiflage auf klare Herkunfts- und Heimatsbekennungen sollte dies eher ambivalent auf den Betrachter wirken. Im Prozess stieß ich dabei auf einige interessante Formen, die rein als Icons die Schrift komplementieren könnten.
Damit hatte ich nach und nach alle Grundlagen gesammelt, um die Umsetzung zu beginnen. Format und weitere nötige Medien standen auch bereits fest: ein Cover, 9 Instagram Posts, 2 vertikale Videos für Ankündigung der Veröffentlichung und Verbreitung nach Publikation.
Dieser Aspekt der Gestaltung war weniger geplant, was der kollaborativen Arbeit und dem analogen Film geschuldet war. So musste ich mir schon bevor ich das finale Motiv überhaupt vorliegen hatte, aus dem erinnerten Aufbau des Gebäudes und der Bilder einen Schriftzug finden, der in gleicher Weise die Magazincover einfing, die der Künstlerin gefielen als auch die formellen Ideen der vielen Winkel im Gebäude wiedergab.
Zur Integration plante ich den Schriftzug letztendlich mit der Nutzung eines simplen geometrischen Trägers, da mir die fotografische Bildkomposition noch nicht bekannt war.
Zur Zusammenführung aller Elemente richtete ich den Fokus auf Songtitel, Leserichtung und die Position von Nema. Alle weiteren Bestandteile ordneten sich diesen unter, die Leserichtungen änderten sich nach jedem Textelement.
Wir erweiterten die Gestaltungsräume außerdem mit den weiteren nötigen Medien für die Bewerbung des Songs: die Social Media Posts und die beiden Videos waren eine weitere Möglichkeit mehr Räume zu schaffen in denen der Song und seine Ästhetik stattfinden können.
Alle Gestaltungselemente entsprachen hauptsächlich meiner Empfindung für Ästhetik des Songs in stetiger Absprache mit der Künstlerin. Die dominierende Farbkombination ist der Kontrast der durch die Sonne gelbstichigen, nachbearbeiteten Fotografie mit den sehr hellblauen etwas entsättigten Tönen von Songtitel und Interpret (inhaltlich unterstützt durch die kalten Aspekten des Shootings wie vom Wind verwehte Haare). Die Farbe des angeleuchteten Gebäudes findet sich im Icon und dem hinzugefügten Auszug des Songtexts wieder.
Die Entscheidung den Schriftzug selbst neu zu entwerfen um die Anlehnung an das Originalbild zu steigern soll einen gewissen Individualismus vermuten lassen.
Hierbei profitieren alle Schönheitsaspekte davon, dass sie aus einer ursprünglichen Ableitung ins Elementare. Die Anordnung der Schrift entspringt der Meta-Ebene und genauso entsteht das kyrillische „e“ in „Nema“ aus ihrer Vergangenheit. Somit können simple Teile des Designs bereits mit Bedeutung aufgeladen und letztendlich ins Opulente und Schöne umgewandelt werden (siehe Titelbild).
Innerhalb der gesamten Entstehung beharrte ich immer wieder auf einer klaren visuellen Richtung, die einen gewissen Anteil an Experiment zwar ermöglichte, aber die letztendliche Qualitätswahrung in den Vordergrund katapultierte. Dadurch bekam das Endergebnis einen sehr starken gestalterischen Charakter und ließ durch die Planung nur wenig künstlerische Freiheit bei Manus Fotografie zu.
Alle Buchstaben des Schriftzugs lassen sich auf dieses Raster zurückführen und haben damit auch die gleichen Größenverhältnisse. Es bleiben damit weniger Spielräume für eine distinkte Ausgestaltung der Buchstaben, motiviert zu verrückteren Formen oder ungewöhnlichen Schreibweisen. Die anschließende Prüfung der Lesbarkeit im engeren Kreis der Band wäre insofern nicht von Nöten gewesen, da der technisch konstruierte, aber dennoch freie Look bereits Grund genug darstellen sollte, sich mit dem Schriftzug auseinanderzusetzen.
Die ständige Wiederholung der zusätzlich entworfenen Elemente - einem Icon-Set für Socials und andere Medien sowie einigen Illustrationen für T-Shirts - lieferte die Opulenz. So wurden Elemente miteinander in Verbindung gebracht, die vorher nur mit einem Spagat denkbar gewesen wären: die Hieroglyphisch angelegten Konturzeichnungen der Tiere, die unsinnigen Weltraum-Icons und der Schriftzug aus einem völlig anderen Grid. Worin sich alle diese Elemente wieder einig wurden war im Farbsystem. Es gab nur zwei Farben für alle Medien, die maximal für die Sommer-Edition des T-Shirts ausgetauscht wurden.
Um ein visuell ansprechendes Konzept zu gestalten, bediente ich mich der Regel möglichst immer gleiche Strichstärken zu benutzen, sowie eine ungefähres Verhältnis von 70% runden zu 30% eckigen Kanten einzuhalten. Das sieht man besonders leicht bei den Illustrationen, aber umso schwerer war es bei der Schrift.
Wie eben bereits erwähnt fiel die Farbauswahl auf ein relativ helles Schwarz und ein strahlendes Orange, beide Farben entsprangen aus einer Begeisterung für Science Fiction Serien. Das Schwarz mit dem Weißanteil begünstigte den Druck von dunkelgrauen T-Shirts bis hin zum Bedrucken von bereits getragenen, ausgewaschenen Kleidungsstücken.
Alle elementaren Bestandteile wurden also letztendlich wieder zusammengeführt, um die Opulenz im Zaum zu halten, Schönheit zu gewährleisten und die Balance beizubehalten.
Während des gesamten Prozesses, wurde so ziemlich jeder Schritt mit der Band gemeinsam besprochen, umgesetzt und auch wieder verworfen, falls die Umsetzung nicht den Vorstellungen entsprach. So komme ich bei dieser Arbeit nicht in Berührung mit gestalterischer Gewalt unabhängig von der visuellen Natur der Arbeit, welche offensichtlich Leute mit Sehbehinderungen von dem Genuss des Projekts ausschließt.
Das Album „Jane Doe“ der Band Converge ist so populär, dass ein Teil des Motivs die Bekanntheit der Band übertrifft. Das Gesicht von Jane ziert so einige Merchandise Artikel der Gruppe und verkauft sich weiterhin gut.
Umso spannender, dass das Design an sich deutlich komplexer und vielschichtiger ist als dieser sehr grafische Ausschnitt der Arbeit. Der Ersteller und Sänger der Band benutzte hierfür Fotografien als Grundlage, die durch erneutes Bearbeiten, Einscannen und überlagern mit anderen Medien wie Sprühfarbe, Tinte und Acryl immer mehr Strukturen und Auffälligkeiten bekamen. Elementar war hierbei wie roh und abstrakt die einzelnen Techniken waren, bis sie zusammengesetzt worden sind. Jede Ebene - die Fotografie ausgenommen - für sich zeigt keine Förmlichkeit bis zur Zusammenführung der gesamten Collage.
Durch die schiere Anzahl der Elemente wurde am Ende Opulenz erzeugt. Der Verzicht auf völlig von Texturen befreiten Weißraum ist hierbei weniger von Belang, der Fokus auf die komplexeren Bildbestandteile wird trotzdem auf die abstrahierte Formen und den harten Schattenwurf gelenkt. Die Wichtigkeit der Opulenz als zweite, fast schon akribisch ausgearbeitete Ebene lässt sich vor allem auf den Beweis der Arbeit zurückführen. Selbst falls die künstlerische Abstraktion missfällt, gleicht es die detaillierte Auseinandersetzung mit Struktur und Anordnung so vieler kleiner Elemente wieder aus.
Hier treffen mehrere oben genannte Aspekte aufeinander. Zum einen gibt es den ikonografischen Teil der Arbeit, welcher auch den damals üblichen Galopp auf dem eigenen Bandlogo verließ, und den unerklärlich abstrakten, besonders im angedeuteten Torso vertretenen, fast schon rein expressionistischen Stil. Hier werden zwei Welten, deren Kombination vorher als geschmacklos oder Effekthascherei abgetan wurde, durch eine - vor dem Kontakt mit den Texten - komplett willkürlich erscheinende Form zusammengehalten. Denn „Jane Doe“ (fortan Jane genannt) auf dem Cover, ist hierbei eine Protagonistin oder Antagonistin, je nach Lesart, des musikalischen Begleitstücks. Und das soll nicht herabwertend den Status der Musik feststellen, sondern lediglich auf die Entwicklung von Jane zu einem repräsentativen Bild der Hardcore-Szene hinweisen.
Seit der Veröffentlichung dieses Albums im Jahr 2001, erklomm eben diese Jane alle erdenklichen Bühnen der Merchandise-Industrie. Bis heute verkaufen sich Tassen, Patches, Pins und alle erdenklichen Artikel der Fankultur wie warme Semmel.
Wenn einem die Arbeitsweise hinter dem Album bekannt ist, wird es einen nicht verwundern, dass bis heute die Identität der Jane ungeklärt ist. Erst im letzten Jahr gab es eine Meldung eines Models, die zum Vergleich eines ihrer damaligen Fotos teilte.
Dies wurde umgehend vom Künstler selbst bestätigt und auch die Vermutung der Kenner, dass von den ursprünglichen Materialien nichts mehr übrig ist. Daher sollte auch klar sein. dass das Collagieren und Verfremden von Fotografien in diesem Sinn eine Schöpfungshöhe erreicht hat, die den Anspruch der ursprünglichen Rechteinhaber*Innen überwiegt. Es wäre jedoch eine nette Geste gewesen, wenigstens die betroffenen Kunstschaffenden damals in Kenntnis zu setzen. Dabei übt man als Gestalter*in öfter als vielleicht gedacht Gewalt aus. Wir machen in den Inszenierungen Leute zu Teilen historischer Ereignisse und Bewegungen ohne überhaupt ihre Beweggründe zu kennen. Diese Art und Weise der Gewalt ist häufig vertreten in allen Formen der Fotografie und Abbildschaffung, selbst die Mona Lisa dürfte hier ein Wort mitzureden haben. Wer von uns ist schon gern Aushängeschild einer Szene, die man gar nicht selbst kennt?