In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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„Blind Spots“ ist ein Fotoprojekt in digitaler Form, welches sich mit den Paradoxien der zeitgenössischen Überwachungskultur und insbesondere dem Akt des Überwachens an sich auseinandersetzt. Die Arbeit aus 25 Bildgruppen, welche sich aus insgesamt 58 einzelnen Bildern verschiedener CCTV Kameras zusammensetzen, zeigt blinde Flecken ebendieses Modus des Überwachens auf.
Sowohl die Nutzung von Überwachungskameras im öffentlichen, als auch die im privaten Raum verfolgt das Ziel der Macht durch Transparenz („subjection through illumination“). Doch was passiert, wenn die Beobachtenden plötzlich zu Beobachteten werden?
Dieses Phänomen ist im Zusammenhang der Überwachung ein in sich ruhendes Paradoxon. Denn die vollständige Kontrolle setzt voraus, dass selbst die Überwachung überwacht wird. Diese Verkettung lässt sich, oder muss sich, zum Ziel einer vollständigen Transparenz unendlich fortführen, denn jede Beobachtung zweiter Ordnung hat mit der vor ihr beobachteten Beobachtung gemeinsam, dass sie, solange sie beobachtet, für sich selbst nicht transparent ist. Dazu benötigt es eine Beobachtung höherer Ordnung etc. Auf diese Weise erhält sich das Paradoxon selbst und führt nie zu seinem eigentlichen Ziel.
Das Produkt dieses Kontinuums ist das Auftreten einer Art blinder Flecken, denn durch jede Überwachung entstehen Stellen, die nicht überwacht werden können. Ebendiese bereits existierenden Stellen, welche mittels des Zugriffs auf versehentlich ungesicherte Überwachungskameras bezogen wurden, sind zentraler Gegenstand und Thema dieser Arbeit.
Das Projekt „Blind Spots“ ist eine digitale Fotoserie bestehend aus 58 einzelnen Bildern in 24 Kompositionen.
Wir betreten den ersten Raum einer Ausstellung. Die Wände sind schwarz, der Raum ist dunkel. Das einzige was zu sehen ist, sind Bildschirme an den Wänden, die uns nach kurzem Betrachten realisieren lässt: Wir sind nicht nur Betrachter, wir sind Beobachter. Die Bildflächen zeigen jeweils das von einer CCTV-Kamera gefilmte Bild. Wir sehen einen Hauseingang, der zur Nacht sein Verborgenes Inneres preisgibt. Wir sehen den Schatten einer sich im toten Winkel befindenden Person auf der gefilmten Hauswand. Wir sehen eine Teleprompteranzeige, die nur als solche ohne Kommentar und Kontext existiert.
Im nächsten Raum erkennen wir beim Betrachten der Bilder, dass wir nicht alles erkennen. Ein grüner Nebel verdeckt das, was eigentlich gezeigt, eigentlich überwacht werden soll. Es bleibt nicht mehr als eine Vermutung, ob sich dahinter eine Straßenszene oder der Innenraum einer Moschee befinden dürfte. Eine weitere Collage, bestehend aus vier Bildschirmen, evoziert zunächst den Initialgedanken, die vier Bildflächen auf Gebirgsszenen zurückzuführen, jedoch verschwimmen diese Assoziationen ebenso schnell in ihrer Uneindeutigkeit. Was übrig bleibt sind intensiv-blaue Flächen und Formen, die, wenn die Zeitstempel am Rand nicht existierten, ebenso mit einem abstrakt-pointilistischen Gemälde verwechselt werden könnten.
Im dritten Raum sehen wir zunehmend weniger. Es sind Bilder deren Motive bereits keinen Halt mehr in der gegenständlichen Welt haben. Vielleicht sind es Graphen, technische Störungen, Glitches oder Übertragungsfehler? Was sehen wir — und beobachten wir noch?
Im letzten Raum stehen wir nun vor der kompletten Erblindung, vor uns erstreckt sich eine Wand, die übersäht ist mit Bildschirmen, die alle eine schwarze Bildfläche zeigen. Wir sehen zwar wieder Zeitstempel bei dem ein oder anderen Bild, aber auch diese heucheln nur ein Gefühl von Erkenntnis ein, denn was wir sehen (sollen, wollen,) sehen wir nicht.
Das Projekt nahm seinen Anfang durch eine im zweiten deutschen Covid-19 Lockdown wiederauflebende Faszination mit der Online-CCTV-Datenbank Insecam. Während ich anfangs als eine Art Reise by proxy CCTVs an fernen Orten der Welt aufsuchte, entwickelte ich schnell ein besonderes Interesse an Stellen, an denen Privatpersonen beispielsweise ihren Hauseingang überwachten, sich aber durch fehlende Sicherheitsmaßnahmen — die Herstellereinstellungen für den Zugriff, also Username und Passwort, wurden nicht geändert — selbst unwissend durch meinen Zugriff zu Überwachten machen. Das Verhältnis zwischen Beobachtenden und Beobachteten im Bezug auf CCTV wird im wissenschaftlichen Diskurs oft auf Basis von Michel Foucaults Panoptizismus verhandelt. Foucault nutzte das Panoptikum — ursprünglich eine Idee des Philosophen Jeremy Bentham — um die Neigung von Disziplinargesellschaften zu veranschaulichen, ihre Bürger sich zu unterwerfen. Er beschreibt den Gefangenen in einem Panoptikum als Empfänger einer asymmetrischen Überwachung, denn: „He is seen, but he does not see; he is the object of information, never a subject in communication“ (Foucault, 2008, S. 5). Auch die Nutzung von Überwachungskameras im privaten Bereich basiert auf dem Prinzip, welches Foucault in einem Gespräch mit Jean-Pierre Baron und Michelle Perrot als „power through transparency“, oder „subjection by illumination“ bezeichnete (Foucault, 2002, S. 97). Angewandt auf die postmoderne Zeit ergänzt Winfried Pauleit in „Video Surveillance and Postmodern Subjects“, dass das latente sowie manifeste Bild der Fotografie einen bestimmten Ausschnitt in Raum und Zeit abbildet, während Videoüberwachung mit ihren vielen Kameras einen Gesamtüberblick erfassen und demnach räumliche und zeitliche Lücken minimieren soll. (Pauleit, 2002, S. 469). Inwiefern das Medium Video einem panoptischen Prinzip inhärent näher ist als das der Fotografie bleibt an dieser Stelle allerdings unbeantwortet. Das Phänomen, dass Beobachtende zu Beobachteten werden ist in sich schon ein Paradoxon, welchem auch Niklas Luhmann innerhalb seiner Systemtheorie Beachtung schenkte. Laut Luhmann entstehen Paradoxien, wenn die Bedingungen der Möglichkeit einer Operation auch die Bedingungen ihrer Unmöglichkeit sind (Katti, 2002, S. 52). Das Paradoxon der vollständigen Überwachung beschreibt Luhmann als Ordnungen: „When a second observer sees what the first one does not see — thus, when he observes an observer observing — this is called second-order observation. This observation of observation sees „what the observer sees and how he sees what he sees. It even sees what the observed observer does not see, and sees that he does not see what he does not see““ (ebd. S. 55; Luhmann, 1990, S. 16). Diese Verkettung lässt sich, oder muss sich, zum Ziel der vollen Transparenz unendlich fortführen, denn jede Beobachtung zweiter Ordnung hat mit der vor ihr beobachteten Beobachtung gemeinsam, dass sie, solange sie beobachtet, für sich selbst nicht transparent ist. Dazu benötigte es eine Beobachtung höherer Ordnung, und so weiter. Auf diese Weise erhält sich das Paradoxon selbst:
„Transparency is paid for with opacity, and this is what ensures the (autopoetic) continuation of the operations, the displacement, the differance (Derrida) of the difference between what is observed and what remains unobserved“ (Katti, 2002, S. 58)
Was passiert nun also wenn der Prozess der Illumination fehlschlägt? Was erscheint, wenn die Struktur und Ordnungen der 1., 2. (, 3., usw.) Beobachtung unterbrochen werden? Dieses Projekt ist eine ästhetische Interpretation dieser Fragen.
Jeder Akt der Überwachung produziert laut Katti also notwendigerweise sein Gegenteil und führt folglich zu etwas, das man analog zum Auge einen blinden Fleck nennen kann, denn auch dieser ist etwas, das durch Überwachung und Beobachtung aus systematischen Gründen weder gesehen noch beobachtet werden kann (Katti, 2002, S. 53). Daraufhin habe ich über einige Wochen hinweg regelmäßig das Insecam-Verzeichnis nach ebensolchen blinden Flecken durchsucht und per gezieltem Screenshotten ein eigenes Archiv von blinden Flecken angelegt. Diese Menge an Bildmaterial, insgesamt über 300 Bilder, habe ich im nächsten Schritt kategorisiert. Während des Prozesses des Fotografierens fiel bereits zunehmend auf, dass die gefundenen blinden Flecken alle in jeweils eine von fünf Kategorien fallen. Diese lauten wie folgt:
Illumination: In dieser Kategorie befinden sich Bilder in denen sich Stellen/Orte/Personen, welche normalerweise im Zwecke/Umstand der angebrachten Kamera nicht im Bildfeld sichtbar sind, plötzlich erkenntlich zeigen.
Soft Focus: Das Bild ist so unscharf und/oder verschwommen, dass nicht mehr erkennbar ist, was eigentlich zu sehen ist.
Curtain Call: Es befinden sich Gegenstände vor der Linse, die den eigentlich zu überwachende Bildinhalt verdecken.
Technical Difficulties: Durch technische Störungen wird der zu beobachtende Bildausschnitt mehr oder weniger unkenntlich gemacht.
Blackout: Der zu überwachende Ausschnitt ist bis zur vollkommenen Unkenntlichkeit unter- oder überbelichtet.
Da einige der Bilder besondere ästhetische Qualitäten aufwiesen, habe ich anschließend die Bilder auf eine kleine Auswahl reduziert.
Mein Fotoprojekt umfasst zur Vollständigkeit die Konzeption innerhalb eines Ausstellungskonzepts, wodurch ich dramaturgisch eine zunehmende Verbindung simulieren und die zunehmende Störung / Unterbrechung / Einschreibung in das oben bereits beschriebene Paradoxon verdeutlichen möchte. Hierzu habe ich einige Fotos in Collage-artige Kompositionen daraufhin in schwarze Rahmen gefasst, welche TV-Bildschirme andeuten sollen. Im Ausstellungskontext würden diese Rahmen durch ihre physischen Gegenstücke ausgetauscht werden. Das heißt, die einzelnen Bilder würden auf großen Bildschirmen in ihren jeweiligen Collage-artigen Hängungen gezeigt werden. Die Ausstellung wäre in fünf Räume eingeteilt, in denen die angezeigten Bilder zunehmend abstrakter werden und schließlich vor einer großen Wand enden, der die Komposition „Blackout #5“ gezeigt wird.
„Within the broad field of surveillance art and performance, [there are] three ways in which surveillance art can interrupt and counter our contemporary surveillance society. First, through physical intervention in habitual patterns of movement and usership as conditioned by state, military and corporate design of surveillance interfaces. Secondly, through the appropriation of surveillance technologies for subversive ends. Thirdly, through critically highlighting blind spots in surveillance society.“ (Merx, 2017, S. 161)
Demnach wäre dieses Projekt weitestgehend in der Reihe von künstlerischen Arbeiten zu verorten, die unter Countersurveillance Art verstanden wird. Künstler wie Jamie Wagg, David Huerta oder Trevor Paglen beschäftigen sich mit dem Unterfangen, sich der Überwachung zu widersetzen und verfolgen hierzu verschiedenen Taktiken und Haltungen. Im Bezug auf Mittel und Ästhetik unterscheidet Jens Kubisch drei Ansätze: „first there are purely aesthetic or artistic attitudes, then there is the notion to use the means of appearance as counter-measurements to the pressures of surveillance, finally, there is an ethical and ontological approach that tries to renegotiate the visible by emphasising the need of negation and the substance of the invisible.“ (Kabisch 46) Mit ebensolchen Positionen habe ich mich im Vorfeld zu meiner Arbeit auseinandergesetzt.
Hasan Elahi’s „Thousand little brothers“ ist eine fotografische Arbeit, welche aus mehr als 32.000 Bildern besteht, die gemeinsam sieben farbige Säulen ergeben. Diese Säulen sind wiederum eine Referenz zu SMPTE (Society of Motion Picture and Television Engineers) Farbbalken. Dieses Fernsehtestmuster wurde in den Vereinigten Staaten für Tests des Emergency Broadcast Systems verwendet, bei denen das reguläre Programm unterbrochen wurde und dieses Muster erschien (Elahi 2014). Auch Elahi spielt bzw. Begegnet der Überwachung hier indem er eine Art Erblindung oder Bedeutungsentleerung durch schiere Masse erzeugt und stellte daher eine wichtige Referenz für meine Arbeit dar. An dieser Stelle muss allerdings angemerkt werden, dass mein Projekt zwar auf ästhetische Weise einer Art Countersurveillance zugeschrieben werden kann, allerdings geschieht dieses aber nicht als aktive Taktik oder Strategie. In meiner Arbeit spüre ich lediglich die bereits vorhandenen Anomalien / Störmomente im Verhältnis zwischen Überwachenden und Überwachten auf und bilde sie ab.
Letztlich war auch Juliet Fergusons Arbeit „Stolen Images“ von Bedeutung für meinen ästhetischen Arbeitsprozess. „Stolen Images“ besteht aus einer Serie von Bildern ausgewählter CCTV-Kameras, die Ferguson stündlich für einen Zeitraum von 24 Stunden aufnahm. Während sich ihre Arbeit hauptsächlich mit der Frage beschäftigt, ob Fotografie durch eine Präsenz des Fotografen bedingt wird, thematisiert sie dennoch auch die zeitgenössische Überwachungskultur durch CCTV (Ferguson).
Elahi, Hasan. „Thousand Little Brothers,“ Open Society Foundations. Accessed October 1, 2021. https://www.movingwalls.org/moving-walls/22/thousand-little-brothers.html.
Ferguson, Juliet. „About Stolen Images,“ Juliet Ferguson. Accessed October 1, 2021. https://www.julietferguson.com/cctv.
Foucault, Michel. „„Panopticism“ from Discipline & Punish: The Birth of the Prison. Race/Ethnicity: Multidisciplinary Global Contexts, Volume 2, no. 1 (October 2008): https://muse.jhu.edu/article/252435/pdf. S. 1-12.
Foucault, Michel. „The Eye of Power: A Conversation with Jean-Pierre Barou and Michelle Perrot.“ In: CTRL (Space): Rhetorics of Surveillance from Bentham to Big Brother, edited by Thomas Y. Levin, Ursula Frohne, and Peter Weibel, Karlsruhe: ZKM , 2002. S. 94 - 102.
Kabisch, Jens. „Surveillance/Counter-Surveillance“. Kritische Berichte - Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, Volume 44, no. 1 (2016): https://journals.ub.uni-heidelberg.de/index.php/kb/article/view/81233/75255. S. 45 - 47.
Katti, Christian. „“Systematically“ Observing Surveillance: Paradoxes of Observation according to Niklas Luhmann’s Systems Theory“ In: CTRL (Space): Rhetorics of Surveillance from Bentham to Big Brother, edited by Thomas Y. Levin, Ursula Frohne, and Peter Weibel, Karlsruhe: ZKM , 2002. S. 51 - 63.
Luhmann, Niklas. „Soziologische Aufklärung 5: Konstruktivistische Perspektiven,“ Wiesbaden: VS, 1990.
Luhmann, Niklas. „The Paradoxy of Observing Systems“ In: Cultural Critique, No. 31, The Politics of Systems and Environments, Part II. (Autumn, 1995), pp. 37-55.
Merx, Sigrid: „Mapping invisibility. Surveillance art and the potential of performative cartography“. In: Performing the Digital. Performativity and Performance Studies in Digital Cultures, edited by Martina Leeker, Imanuel Schipper, Timon Beyes, Bielefeld: transcript, 2017: https://doi.org/10.25969/mediarep/2130. S. 157–167.
Pauleit, Winfried. „Video Surveillance and Postmodern Subjects: The Effects of the Photographesomenon — An Image-form in the „Futur antérieur“ In: CTRL (Space): Rhetorics of Surveillance from Bentham to Big Brother, edited by Thomas Y. Levin, Ursula Frohne, and Peter Weibel, Karlsruhe: ZKM , 2002. S. 465-479