In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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Ein Redesign für den Stimmzettel als demokratisches Instrument der politischen Mitbestimmung
Der Begriff Superwahljahr ist recht strapaziert, für das Jahr 2021 erscheint er in Deutschland jedoch angemessen: Neben den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern finden ebenfalls die Kommunalwahlen in Hessen sowie die Wahlen für das Abgeordnetenhaus in Berlin statt. Nur um sich gegen Jahresende noch weiter zu steigern mit der Bundestagswahl im September. Insgesamt 60,4 Millionen Bürger·innen haben dann die Möglichkeit, Kreuze auf ihre Stimmzettel zu setzen und so ihrem politischen Willen in einer freien und geheimen Wahl Ausdruck zu verleihen.
Jede Demokratie-Definition, sei sie noch so minimalistisch gefasst, kommt am Wahlvorgang nicht vorbei. Auf der ganzen Welt folgen Wahlen in Demokratien einem ähnlichen Muster: Sie werden mit Wahlkabinen, Urnen und Stimmzetteln durchgeführt, der Ort ist ein neutrales, in der Regel öffentliches Gebäude, und eine Kommission achtet auf die Einhaltung der Wahlgesetze. Der Wahlzettel stellt dabei ein zentrales Instrument des demokratischen Mitbestimmungsprozess dar. Wie ein Software-Backend über das Frontend mit seinen User·innen verbunden wird, stellt der Stimmzettel eine Beziehung zwischen einem abstrakten demokratischen System und jeder einzelnen stimmberechtigten Person her – quasi ein Interface zum Wählen.
Dennoch sind Stimmzettel erstaunlich ungestaltet. Ihre äußere Form und ihre Informationsarchitektur scheinen eher gewachsenen Strukturen zu entstammen als einer bewussten Entscheidungs- und Formfindung. In Gestalt einer Word-Vorlage, herausgegeben vom Innenministerium, erreicht der Stimmzettel den deutschen Verwaltungsapparat. Dort wer- den die Leerstellen mit den Partei- und Personeninformationen der einzelnen Kandidat·innen gefüllt und millionenfach gedruckt. Die mangelnde Professionalisierung der Gestaltung von Wahlunterlagen kann mitunter gravierende Folgen haben. So entstanden der Stadt Köln 2015 Kosten in Höhe von einer Million Euro, als die geplante Oberbürgermeisterwahl aufgrund irreführend gestalteter Stimmzettel verschoben werden musste.
Ein Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung legt zudem nahe, dass die Gestaltung und Beschriftung des Wahlzettels signifikanten Einfluss darauf hat, ob Bürger·innen das Wahlverfahren verstehen und ihre politische Entscheidung ausdrücken können. Das trifft besonders auf die Vergabe von Erst- und Zweitstimme zu, deren Bedeutung nur fünfzig Prozent der Wahlberechtigten in einer repräsentativen Befragung korrekt zuordnen konnten. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Prinzip des Kumulierens und Panaschierens, das bei Kommunalwahlen angewandt wird.
Diese Erkenntnisse zur Political Literacy sind umso brisanter angesichts politischer Akteur·innen, die zunehmend versuchen Zweifel an amtlichen Wahlergebnissen zu säen. So übernimmt beispielsweise die AfD Donald Trumps Narrativ von der ›gestohlenen Wahl‹ und greift das Briefwahl-Verfahren scharf an. Auch als freiwillige Wahlbeobachter·innen gaben AfD-Mitglieder wiederholt an, Unregelmäßigkeiten festgestellt zu haben. Bisher konnte trotz mehrmaliger Neuauszählung keiner dieser Vorwürfe bestätigt werden. Der Stimmzettel wird hier zum Beweis einer legitimen Wahl und muss in seiner Eindeutigkeit und Klarheit unangreifbar sein.
In dieser Arbeit beschäftige ich mich deshalb mit der Frage, wie sich die Usability von Stimmzetteln verbessern lässt und welches (ungenutzte) Potenzial bei der Gestaltung von Wahlunterlagen existiert. Im Mittelpunkt stehen dabei Partizipation und Political Literacy: Welche gestalterischen Hilfestellungen braucht es, damit Wähler·innen die Stimmabgabe besser verstehen? Hierbei stütze ich mich auf die Analyse bestehender und fehlerhafter Wahlunterlagen sowie qualitative Expert·inneninterviews mit Wahlhelfer·innen, Aktivist·innen für Barrierefreiheit und Verwaltungsmitarbeiter·innen.
Ziel meiner Arbeit ist ein Redesign des Status Quo: Die Erarbeitung eines Wahlzettel-Designs, das Nutzerfreundlichkeit und Barrierefreiheit ebenso gewährleistet wie Zuverlässigkeit und Klarheit. So entsteht ein digitaler Stimmzettel-Editor, der administrative Mitarbeiter·innen dabei unterstützt Stimmzettel für verschiedene Wahl-Typen zu erstellen und sie bei der Wahlorganisation begleitet
Ein essentieller Bestandteil jeder amtlich durchgeführten Wahl ist der Stimmzettel, synonym wird auch der Begriff Wahlzettel verwendet – nicht zu verwechseln mit dem Wahlschein. Ursprünglich handelte es sich beim Stimmzettel um ein Stück Papier auf dem Stimmberechtigte handschriftlich ihre Wahlentscheidung festhielten. In seiner heutigen Form ist der Stimmzettel als amtlich hergestelltes, vorgedrucktes Dokument Teil der Wahlunterlagen und zeigt eine Liste zugelassener Kandidat·innen und Parteien. Abgestimmt wird durch Ankreuzen, dabei kennzeichnen Wähler·innen den vorgedruckten Kreis neben dem ausgewählten Kandidat·innen-Namen mit einem Stift. Die Kombination aus Kreis und Kreuz in Form des Andreaskreuz hat sich als langjähriger Standard etabliert und Eingang in die deutsche Sprache gefunden, so steht ›sein Kreuzchen machen‹ synonym für wählen.
↑ Wie ensteht ein Stimmzettel?
Für die eigentliche Stimmabgabe wird der Wahlzettel, zur Wahrung des Wahlgeheimnisses, stets gefaltet und in einigen Fällen mit einem Umschlag versehen. Am Ende des Wahlgangs dienen die abgegebenen Stimmzettel als Grundlage für die Ermittlung der Mehrheitsverhältnisse und damit der Wahlsieger·in. Der Wahlzettel besitzt also eine Doppelfunktion und durchläuft während des Wahlprozesses eine Transformation: Vom Instrument zur Stimmabgabe wird er mit der Auszählung zum rechtssicheren Beleg des Wahlergebnisses. Die Auszählungsmodalitäten, das Erscheinungsbild und den korrekten Gebrauch des Stimmzettels regeln in Deutschland Wahlgesetze und Wahlordnungen. Während die Wahlgesetze den juristischen Rahmen definieren, legen Wahlordnungen formale Details, konkrete Handlungsanweisungen und Wahlzettel-Muster fest. Bedingt durch das föderalistische Organisationsprinzip Deutschlands existieren Wahlgesetze und -verordnungen auf Kommunal-, Landes- und Bundesebene. Angesichts von sechzehn Bundesländern entstehen so 34 Wahlgesetze und ebenso viele Wahlordnungen, welche die äußere Form und Funktion der verwendeten Stimmzettel definieren. So entsteht eine Vielzahl an Wahlzettel-Designs, die nicht nur verschiedenen Vorgaben folgen, sondern auch unterschiedliche Wahlverfahren widerspiegeln.
↑ Wählen im antiken Griechenland, dem Venedig des 16. Jahrhunderts, Tasmanien um 1800, der Weimarer Republik, während des NS-Regimes, in der DDR und in der jungen BRD
Der Stimmzettel stellt für Wähler·innen in Deutschland einen selbstverständlichen Bestandteil jeder Wahl dar. Egal, ob es gilt den Gemeinderat oder den Bundestag zu wählen, routiniert setzen die Bürger·innen Kreuzchen auf das tabellarisch angeordnete Formular und falten ihren Wahlzettel, bevor er in der Urne verschwindet. Seine äußere Form und das Funktionsprinzip erscheinen uns ebenso vertraut wie banal und schon fast alternativlos. Dabei ist der Stimmzettel wie wir in heute in Deutschland verwenden erst etwa neunzig Jahre alt. Ein Blick auf die historische Entwicklung des Wahlzettels spiegelt nicht nur die Transformation des Demokratieverständnisses wider, sondern ist auch eng verknüpft mit dem Entstehungsprozess von Parteisystemen und Zivilgesellschaft. Angesichts der Brüche in der deutschen Geschichte zeigt der Stimmzettel immer auch ein Abbild des politischen Systems und der Qualität seiner Wahlen.
Die fünf Wahlrechtsgrundsätze sind seit 1949 fest im Grundgesetz verankert. Artikel 38, Absatz 1 schreibt vor, dass das Volk seine Vertreter·innen in allgemeinen unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen bestimmt. Als höchste gesetzliche Instanz legt das Grundgesetz die Wahlprinzipien fest und garantiert den Bürger·innen das Wahlrecht. Die hier offen bleibenden Einzelheiten des Verfahrens bilden das Wahlsystem. Dieses Regelwerk legt, in Form von Wahlgesetzen, die Art der Stimmabgabe und die Übertragung gültiger Wähler·innenstimmen in Mandate fest. Die Wahlordnungen ergänzen die Gesetzestexte um technische Verfahrenshinweise und Definitionen, Anweisungen zur praktischen Umsetzung der Gesetzesparagraphen sowie Anlagen mit Mustern für Wahlunterlagen. Alle in Deutschland im Gebrauch befindlichen amtlichen Stimmzettel gehen auf Muster zurück, die in den zugehörigen Wahlordnungen zu finden sind. Jedes Stimmzettel-Design muss in höchster Instanz den im Grundgesetz aufgelisteten Grundsätzen entsprechen. Die Wahlrechtsgrundsätze werden in der Reduktion auf die bekannten fünf Adjektive (allgemein, direkt, frei, gleich, geheim) in Deutschland nicht mehr in Frage gestellt. Die Umsetzung und Durchsetzung von Wahlprinzipien war in westlichen Demokratien jedoch ein langer, nur selten friedlicher, historischer Prozess. Einen Streitpunkt bildet heute eher die Frage, was konkret darunter zu verstehen ist und wie die Wahlrechtsgrundsätze umzusetzen sind.
Wahlen setzen sich aus einem komplexen Räderwerk unzähliger gesetzlicher Regelungen, technischer Verfahrensweisen und politischer Mechanismen zusammen. Das nachfolgende Kapitel bildet daher nur die Wahlverfahren und -prozesse ab, die sich auf den amtlichen Stimmzettel auswirken und seine Gestaltung beeinflussen. Dem deutschen Wahlsystem wird häufig eine hohe Komplexität nachgesagt.
↑ Verhältniswahl, Mehrheitswahl, personalisierte Verhältniswahl und Listenwahlen (kumulieren, panaschieren, Listen wählen, streichen)
Einerseits aufgrund der mit Erst- und Zweitstimme versehenen Wahlen auf Bundes- und Landesebene, andererseits tragen auch historisch gewachsene Individualregelungen auf Landes- und Kommunalebene dazu bei. Besonders hervorzuheben sind dabei die südlichen Bundesländer, beispielsweise das detailliert geregelte Kommunalwahlrecht Baden-Württembergs. Aus diesem Grund verzichtet der nachfolgende Text auf die Betrachtung der regionalen Gesetzgebung und gibt stattdessen einen Überblick über die zugrunde liegenden Wahlverfahren.
↑ Wer wie wo wählt: Kategorienschema der vorhandenen Stimmzettel-Muster
Obwohl im ersten Moment nicht offensichtlich, sind Wähler·innen nicht die einzige Nutzer·innengruppe des Stimmzettels Bürger·innen geben ihre Stimme mit ihm ab, Wahlhelfer·innen zählen ihn aus und seinen Anfang nimmt er bei den Sachbearbeiter·innen, die ihn erstellen. Dieses Kapitel nimmt die Blickwinkel der verschiedenen Akteur·innen ein und beleuchtet ihre Perspektiven auf den Stimmzettel. Dabei wird die Betrachtung auf Basis empirischer Daten und Fehleranalysen mit Expert·innen-Interviews kombiniert, um ein möglichst vielschichtiges Gesamtbild zu erhalten. In einigen Fällen verschwimmen die Grenzen zwischen User-Befragung und Expert·innen-Interview, da die befragten Personen sowohl über Sachkunde als auch über praktische (Arbeits-)Erfahrung in ihrem Bereich verfügen.
Zu Wort kommen Prof. Dr. Andreas Baumert, Sprachwissenschaftler und Professor für Text und Recherche an der HS Hannover. Die Forschung zu Einfacher Sprache bildet seit über zwanzig Jahren seinen Arbeitsschwerpunkt. Torsten Resa, als Vertreter des Blinden- und Sehbehindertenverbands zuständig für das Thema Wahlschablonen, ergänzt einen weiteren Aspekt der Barrierefreiheit. Einblick in ihre Arbeit gewähren zwei Verwaltungsfachwirt·innen, in ihren Rollen als Sachbearbeiter·innen und langjährige Wahlhelfer·innen machen sie die Innenansicht am Anfang und Ende des Lebenszyklus eines Stimmzettels zugänglich. Bereits 2019 befasste sich Frédéric Ranft in einem Essay mit der Gestaltung der Stimmzettel in seiner Heimat Nordrhein-Westfalen. Gemeinsam mit ihm diskutiere ich Designentscheidungen und Zukunftsperspektiven für die Stimmzettelgestaltung.
Radikale Neuentwürfe sind bei der Stimmzettel-Gestaltung praktisch ausgeschlossen. Als Designer·in arbeite ich hierbei nicht im luftleeren Raum einer Utopie, sondern an einem seit fast hundert Jahren bestehenden, etablierten Werkzeug der Demokratie. Ein Mitbestimmungsinstrument muss so universell gestaltet sein, dass jede·r Wahlberechtigte es sich zu eigen machen kann – egal, ob Erstwähler·in, Muttersprachler·in, Alt, Jung, mit oder ohne Handicap, vor Ort oder per Briefwahl. Der Stimmzettel steht zudem in Abhängigkeit zu Gesetzen und bildet den Ausgangs- und Endpunkt vieler politischer, organisatorischer und administrativer Prozesse. Von seiner Entstehung mit der Freigabe der Kandidat·inen-Liste bis zu seiner Archivierung nach der amtlichen Feststellung des Wahlergebnisses geht er durch die Hände von unzähligen Menschen, die an und mit ihm arbeiten und wählen. Der Stimmzettel wird entworfen, befüllt, gedruckt, verteilt, ausgefüllt, gefaltet, sortiert, gezählt, geprüft und in Kisten verpackt. Seine äußere Form muss all diesen Anforderungen, Bedürfnissen und Perspektiven gerecht werden.
Über diese offensichtlichen Punkte hinaus soll eine Art Designsystem entstehen, dass die große Varianz ähnlicher Stimmzettel-Vorlagen zu konsistent gestalteten und überregional einsetzbaren Mustern zusammenfasst. Die dem Redesign zugrunde liegenden Designparameter ergeben sich aus der Frage: Welche Aufgaben müssen Stimmzettel lösen?
Aus den bisher 86 Stimmzetteln entstehen acht neugestaltete Stimmzettel-Muster, die auf den drei Grundtypen Mono, Duo und Multi beruhen. Die einspaltigen Mono-Muster decken geschlossene Listen- und Mehrheitswahlen ab. Darauf aufbauend bilden die mehrspaltigen Multi-Stimmzettel Vorlagen für offene Listenwahlen und Stichwahlen. Das charakteristische zweispaltige Layout der Duo-Muster kommt auch weiterhin bei der personalisierten Verhältniswahl mit zwei Stimmen zum Einsatz.
Alle neu entworfenen Stimmzettel-Vorlagen tragen der Barrierefreiheit in vielerlei Form Rechnung, insbesondere greifen sie jedoch das Berliner Muster des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbands auf. Die so bezeichnete Norm erleichtert die Anfertigung von Wahlschablonen für blinde und sehbehinderte Personen.
Die neugestalteten Stimmzettel-Muster sollen nicht als zwingende Norm verstanden werden. Sie bilden vielmehr eine Best Practice ab, mit dem Ziel über verschiedene Wahlebenen hinweg allen Nutzer·innengruppen die Interaktion und Arbeit mit den Stimmzetteln zu erleichtern.
Die Recherche zu den eng getakteten Abläufen einer Wahl und meine Einblicke in die Arbeitsweise und die Ressourcen der deutsche Verwaltungslandschaft hat mir vor Augen geführt, dass es nicht ausreicht nur die Gestaltung der Stimmzettel zu verbessern. Die neu gestalteten Muster könnten ohne Weiteres als Word-Vorlagen umgesetzt werden, nur würde dadurch das Grundproblem nicht gelöst: Von Sachbearbeiter·innen wird verlangt eine Aufgabe zu bewältige für die sie nur eine unzureichende Software zur Verfügung gestellt bekommen und für deren praktische Umsetzung sie nicht ausgebildet sind.
↑ Arbeiten mit dem Faustkeil: in Sachen Digitalisierung ist die deutsche Verwaltung eher archaisch unterwegs
In Sachen Digitalisierung liegt in deutschen Verwaltungsbehörden einiges im Argen. Der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums spricht in seinem Bericht von eklatantem Organisationsversagen und attestiert »archaische Zustände«. Beim Ausbau des eGovernment belegt Deutschland im EU-Ranking einen bescheidenen Platz 21 – wohlgemerkt bei 27 Mitgliedsstaaten. Es ist davon auszugehen, dass die neuen Stimmzettel-Muster nach einigen Jahren Benutzung in einem Textverarbeitungsprogramm wieder genauso mangelhaft aussehen würden wie ihre Vorgänger. Das Expert·inneninterview mit Frau A. legt verschiedene Ursachen nahe.
Wie könnte eine Software aussehen, die es den Sachbearbeiter·innen ermöglicht Stimmzettel zu erstellen ohne selbst gestalten zu müssen?
Auf dieser Idee basiert das Konzept des Stimmzettel-Editors. Eine Web-App mit standardisierten Stimmzettel-Mustern, die individualisiert und per Daten-Import befüllt werden können. Nach der Freigabe des Stimmzettels kann über den Editor eine geschützte Druck-PDF generiert und exportiert werden – auch ohne Wissen über Beschnittzugaben und PDF/X-Standards.
Bei der Betrachtung der Kulturhistorie des Stimmzettels wird sichtbar: Seine aktive Gestaltung lag in der deutschen Geschichte lange Jahre fast exklusiv in den Händen der beiden demokratiefeindlichen Regime, die die deutsche Geschichte prägen. Beide Regime hatten anscheinend frühzeitig die Bedeutung des Stimmzettels und den Einfluss seiner Gestaltung auf Wähler·innen und Bürger·innen erkannt. Gemessen an ihrem Gewicht für eine Demokratie führen die Stimmzettel in der Bundesrepublik eher ein Schattendasein. Als ein Formular unter vielen scheint der äußeren Form der Wahlzettel von staatlicher Seite in den vergangenen Jahren nicht viel Wert beigemessen worden zu sein.
Dieses Versäumnis erscheint umso brisanter, weil der Stimmzettel vermehrt fehlende politische Bildung ausgleichen muss. In einer Phase der deutschen Demokratie, in der die Wahlbeteiligung stagniert und Parteien an Boden gewinnen, die sich dem Grundgesetz nur bedingt verpflichtet fühlen, sollte der äußeren Form der Stimmzettel mehr politische Bedeutung beigemessen werden.
Die Idee den Wahlakt zu digitalisieren, wirkt verführerisch und fast folgerichtig in einem Lebensumfeld, das immer mehr Alltagshandlungen mit Technologie ersetzt und durchsetzt. Nicht wenige Internet-Enthusiast·innen werfen sehnsuchtsvolle Blicke nach Estland, wo Bürger·innen bereits seit 2005 ihre Stimmen online abgeben können. Warum steht die Digitalwahl also nicht im Fokus meiner Masterarbeit? Als Interface Designerin wirkt dieser Aspekt auf den ersten Blick tatsächlich reizvoll. Bei genauerer Untersuchung offenbart sich eine ganze Armada an ungelösten technischen Problemen, unausgereiften Technologien und enormen Sicherheitsbedenken.
↑ Digitales Wählen gilt Expert·innen als zu riskant – da hilft auch keine Blockchain.
Eine vor über zwanzig Jahren zum Thema eVoting in Deutschland gegründete Arbeitsgruppe konnte bisher kein erfolgsversprechendes Konzept vorlegen. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem so hohe gesetzliche Hürden für elektronisches Wählen gesetzt, dass der Stimmzettel aus Papier in absehbarer Zeit keine Konkurrenz fürchten muss. Designer·innen zeichnet die Fähigkeit aus über derartige Einschränkungen hinweg Ideen zu entwickeln. Das Problem unserer Stimmzettel ist jedoch nicht ihr Medium ist. Es handelt sich um einen Reflex des Digital Natives Probleme, die in der analogen Welt auftreten, zu digitalisieren in dem Glauben sie damit zu lösen. Häufig erhält man auf diesem Weg keine Lösung durch Technologie, sondern lediglich ein digitalisiertes Problem. Unabhängig vom Medium stellen meiner Meinung nach ein Mangel an nutzerzentrierter Gestaltung, fehlende politische Bildung und ungeeignete Werkzeuge die größten Herausforderungen für unsere Stimmzettel dar.
Die unverblümte Bilanz des Wissenschaftlichen Beirats des Wirtschaftsministeriums über den Stand des eGovernment in Deutschland ist nicht folgenlos geblieben. Im 2017 verabschiedeten Onlinezugangsgesetz verpflichten sich Bund, Länder und Kommunen etwa fünfhundert Verwaltungsleistungen bis spätestens 2022 auch digital anzubieten. Was in der öffentlichen Diskussion dabei häufig vergessen wird: Online-Services für Bürger·innen sind zweifellos wichtig, aber die administrativen Mitarbeiter·innen sind ebenso Teil des Projekts eGovernment. Sie müssen mit geeigneten digitalen Werkzeugen ausgestattet werden. Es reicht nicht aus, eine Fassade aus Online-Portalen zu errichten, während im Hintergrund nach wie vor mit Umlaufmappen und Stimmzettel-Mustern aus den 1980er-Jahren hantiert wird.