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RITUALE DES VERSCHWINDENS -

ORTE DES AUFLÖSENS DEKONSTRUKTION SOZIALER HYGIENENORMEN AN HETEROTOPEN ORTEN DER BERLINER CLUBKULTUR

01: EINLEITUNG

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clubs sind anarchische orte einer heterotopie, an denen sozial oktroyierte normen und konstrukte hinterfragt, aufgebrochen, überschritten, entgrenzt werden. in ihrer verschränkung klassischer designdeziplinen mit queeren populärkulturellen phänomenen bewegen sie sich im grenzgebiet zwischen musik, sexualität und selbsterfahrung.

im sinne von michel foucault lassen sie sich als orte lesen, 'die die zu einer zeit vorgegebenen normen nur zum teil oder nicht vollständig umgesetzt haben oder die nach eigenen regeln funktionieren. foucault nimmt an, dass es räume gibt, die in besonderer weise gesellschaftliche verhältnisse reflektieren, indem sie sie repräsentieren, negieren oder umkehren'

diese umkehrung im hinblick auf sozial vermittelter hygienekonzepte soll vor der folie der eigenen erfahrung und beobachtungen im zeitraum von 1993-2019 betrachtet werden.

Der lichte Tag sollte einer rasche Dämmerung folgen, endend in den monotonen Nächten des viktorianischen Bürgertums. Die Sexualität wird sorgfältig eingeschlossen. Sie richtet sich neu ein, wird von der Kleinfamilie konfisziert und geht ganz im Ernst der Fortpflanzung auf. Um den Sex breitet sich Schweigen. Das legitime, sich fortpflanzedne Paar macht das Gesetz. Es setzt sich als Modell durch, es stellt die Norm auf und verfügt über die Wahrheit, es bewahrt das Recht zu sprechen, indem es sich das Prinzip des Geheimnisses vorbehält. Im gesellschaftlichen Raum sowie im Innersten jeden Hauses gibt es nur einen Ort, an dem die Sexualität zugelassen ist - sofern sie nützlich und fruchtbar ist: das elterliche Schlafzimmer. Der Rest schwindet ins Halbdunkel; die Anständigkeit der Haltungen weicht den Körpern aus, die Schicklichkeit der Worte übertüncht die Reden. Wo aber das Unfruchtbare weiterbestehen und sich zu offen zeigen sollte, erhält es den Status des Anormalen und unterliegt dessen Sanktionen. (Foucault, 1976)

Gemäß Foucault entwickelt sich das heterosexuell dominIerte Narrativ nach einer freizügigen Periode des 17. Jhd. im viktorianischen 19. Jhd. Erst mit der sexuellen Revolutionen in 1960er Jahren wird dieses Normativ endgültig in Frage gestellt und die alte Moralordnung errodiert (Wer zweimal mit derselben pennt, gehört zum Establishment lautet ein bekannter Sponti-Spruch, der in diesem Kontext häufig zitiert wird); auch die Freizügigen 20er konnte nichts grundlegend an dieser Erzählung ändern und wurden durch den Nationalsozialismus überschattet und das Deviante in Konzentrationslagern ausgemerzt. Das Anormale, Perverse, Deviante - alle Formen sexuellen Begehrens und alternative Lebensmodelle, die nicht auf diesem heteronormativen Narrativ von Monogamie, Treue, reproduktivem Sex und frommer Züchtigkeit gründen wurden gesellschaftlich delegitimiert und geächtet.

orte der jugendkultur, des alternativen, des subversiven lassen sich als wichtiger aspekt und motor der auflösung und abgrenzung von diesen normativen vorstellungswelten lesen. unter der fragestellung der hygienekonventionen und ihrer auflösung lassen sich insbesondere die diversorientierten technoklubs der 90er jahre betrachten, die als zufluchtsorte (safe spaces) von marginalisierten gruppen mit vom heteronormativen narrativ abweichenden sexuellen orientierungen fungieren. läßt sich hinsichtlich des themas der ausscheidung eine lustaufgeladung feststellen oder ist das ausbrechen aus der konvention des alltags bereits selbst lustvoll aufgeladen?

vorrangig jedoch erscheint das moment der entgrenzung von raum, körper, zeit als identitätsstiftendes merkmal der technobewegung. der tanz zum nach aussen monoton wirkenden maschinenrhythmus birgt im inneren eine vielfalt an strukturen, flächen, klangteppichen, die eine welt jenseits dieser eröffnen und bereits über körpereigen-botenstoffvermittelte zustände von ekstase und erschöpfung zugang zum eigenen wesenskern ermöglichen.

Während Technik für den Punk vor allem ein Bedrohungspotential barg, versprach sie im Techno eine Wiedergewinnung der Zukunft. Exzess wurde deshalb nicht als Ausdruck technifizierter Gewalt, sondern als Tanzen erweiterter körperlicher Möglichkeiten verstanden.

Musik und Lichteffekte sollten den Körper dazu bringen, aus seinen Grenzen auszubrechen. Wolle Neugebauer beschrieb diese Entgrenzungserfahrung: Der Rhythmus diktiert die Bewegungen, die Leute tanzen sich über ihre körperliche Leistungsfähigkeit hinaus und sind nicht mehr auf dieser Welt. Der Slogan Dance or Die brachte die radikale Affirmation von Bewegung, ja, den Zwang dazu auf den Punkt. Nur beobachtend am Rande einer Party zu stehen ohne selbst zu tanzen war, anders als etwa in Rockdiscotheken der 1970er Jahre, inakzeptabel. (Karwath/Häberlen, 2018)

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kernfragen | thesen

_TANZ: ritualisierte form des zugangs zum kollektiv-unbewussten?

(vgl. der begriff des ES, sigmund freud: strukturmodell, 1923

+ begriff des liminalen/liminoiden, victor turner)

_SYPH: teil des konzeptes oder konsequenz der entgrenzung???

_SEX: lustaufladung der ausscheidung?!

sind unter konventionell gültigen hygienegesichtspunkten als skandalös zu bewertende toiletten ein gewolltes subkulturelles phänomen und integraler bestandteil des erfahrungsraumes technoclub sowie hedonistischer entgrenzung und lustvoller umdeutung der ausscheidung (in manchen subszenen) oder lediglich resultat der logistischen herausforderung des clubbetriebes angesicht der zeiträume heutiger veranstaltungen und dem damit verbunden personenaufkommen?

begriffsdefinition

HETEROTOPIE

konzept der heterotopie (1976): Foucault, franz. philosoph des poststrukturalismus, frage nach verhalten, alltagskultur, ihrer deutung, machtstrukturen und randphänomenen der gesellschaft: gefängnisse normbrüche, normverweigerung. Frage nach gesell. struktur, verhältnis der menschen untereinander und gesellschaft, die solche strukturen hervorbringen.

kernthese: von menschen schon seit jeher in den alltag eingebaute orte eingebaut , die über die allttagserfahrungen hinausgehen. er definiert unterschiedliche kategorien, abschließung/abgrenzung, rituale (mauern/ticket/türkontrolle).

friedhöfe sind solche heteroptope orte, die einen unterschied im erleben des menschen ablesen lassen: änderung der stimme, einkehr, etc.

heterotope sind spiegel: orte sehen, die dort nicht sind: utopien (ohne/nichtorte) - wir sehen uns selbst, unser leben in diese nichtorte gespiegelt. wir erleben ein bedürfnis, über uns selbst etwas zu erfahren. wir werden auf unalltägliche weise gespiegelt.

clubs lassen sich gemäß foucaults konztept der heterotopie als orte des gebrochenen verhaltens lesen: das erleben dieser dargebotenen sozialen performance ermöglicht andere dinge zu machen und zu erleben als im schnöden alltag: was bewirkt es mit mir selbst?

welche funktionen erfüllen heterotopien für die gesellschaft?

_stabilisierung (durch die gebrochene perspektive aus dem alltag herausheben)

_angebot einer größeren erlebnisvielfalt sowie erweiterung eigener erlebnisräume

_machtstrukturen werden überschrieben, aber auch neu übersetzt

heterotopien als andere orte, an denen konventionen abgestreift werden können.

schlechtes gewissen schwindet unter zunahme an rauschmitteln, läßt es sich als aktives zeichen der grenzüberschreitung lesen

LIMINALITÄT

Liminalität ist ein vom Ethnologen Victor Turner geprägter Begriff. Er beschreibt einen Schwellenzustand, in dem sich Individuen oder Gruppen befinden, nachdem sie sich rituell von der herrschenden Sozialordnung gelöst haben. Turner unterscheidet bei den Übergangsriten drei Phasen: die Trennungs-, die Schwellen- und die Angliederungsphase. Liminalität befindet sich in der zweiten Phase, dem Schwellenzustand. Beispiele sind die Initiationsriten archaischer Gesellschaften oder Revolutionen industrialisierter bzw. moderner Gesellschaften. Während der liminalen Phase befinden sich die Individuen in einem mehrdeutigen Zustand. Das Klassifikationssystem der (alltäglichen) Sozialstruktur wird aufgehoben. Die Individuen besitzen weder Eigenschaften ihres vorherigen Zustandes noch welche des zukünftigen – sie sind betwixt and between.

Turner verwendete auch den Begriff liminoid, um zwischen einem zwangsläufigen liminalen Phänomen (z. B. Pubertät) und den freiwilligen (z. B. Besuch eines Rockkonzerts) zu unterscheiden. Während das Liminale Teil der Gesellschaft ist, ist das Liminoide ein Ausbruch aus den Fesseln der Gesellschaft.

Liminale Räume sind Räume der Veränderung und Innovation, Räume in denen alles möglich scheint und die sich ständig im Wandel befinden. Der liminale Zustand ist kein fester, sondern ein fluktuierender Schwebezustand.

quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Liminalit%C3%A4t (zugriff am 20.06.2021).

ES

simund freud, wiener pychoanalytiker, strukturmodell 1923: gemäß freud bezeichnet das ES jene unbewusste struktur, deren Inhalt psychischer ausdruck der triebe (nahrungstrieb, sexualtrieb, todestrieb), bedürfnisse (geltungsbedürfnis, angenommenseinsbedürfnis) sowie affekte (neid, hass, vertrauen, liebe) ist. zentral sind dabei die Grundtriebe, der Vereinigungstrieb (libido) und der zerstörungstrieb (destrudo). sie nehmen zentrale rollen im sogenannten ödipuskomplex ein.

das ES handelt nach dem lustprinzip, das heißt, es strebt nach unmittelbarer befriedigung seines strebens (vgl. hierzu auch hedonismus: erhöhung der sinneslust/-genuss als maxime des handelns). die triebregungen des ES prägen und strukturieren das menschliche handeln unbewusst, das heißt, sie wirken, ohne dass dem handelnden diese wirkung immer explizit bewusst ist.

entstehung des ES

das ES (englisch id) ist die psychisch zuerst entstandene, teilweise auch angeborene instanz der seele. wenn ein mensch geboren wird, scheint er psychisch nichts anderes zu sein als ein triebbündel.

die art und weise, wie die bedürfnisbefriedigung immer wieder erlebt wird, das maß und die art der lust- und unlusterfahrungen, bildet nach der freud'schen triebtheorie die weiteren bedürfnisse und emotionen eines menschen aus, seine triebstruktur bzw. seinen unbewussten charakter. je nachdem, wie die mitwelt – etwa die eltern – auf die triebäußerungen des kindes eingehen, entstehen aus triebimpulsen gefühle und bedürfnisse.

quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Strukturmodell_der_Psyche (zugriff am 28.04.21).

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02: HAUPTTEIL

I_KULTURELLE WIRKUNGSWEISEN | GESELLSCHAFTLICHE FUNKTIONEN

besonders in der pandemiebedingten abwesenheit der heterotopen orte des nachtlebens zeigt sich ihre besondere funktion als orte der zusammenkunft, der konstitution subversiver szenen, der ritualisierten fluchtmöglichkeit vom effizientdominierten und leistungorientieren narrativ der normgesellschaft. in der bewussten ausgrenzen der normalität, der eröffnung anderer räume mit abweichenden möglichkeiten der erzählung entsteht die vielfalt und kreativität einer clubkultur, die für die imagebildung des mythos berlins wesentlich ist. während die elitenkulturellen institutionen gewisse intellektuelle zugänge erfordern und auch in den sozialen normen der produktion und aufführung eher als konservativ zu sehen sind, handelt es sich bei der orten der nacht und eigentlich demokratische orte, die ein versprechen eines alternativentwurfes einlösen, das pluralistisch, offen, tolerant und hedonistisch-spassorientiert ist. der mensch lebt nicht vom brot alleine und die pandemie 2020/21 zeigte, dass die bloße reduktion auf arbeit und lebensmittelerwerb unter völliger abwesenheit von freitzeit-, sport- und unterhaltungsmöglichkeiten nicht nur der psychischen stabilität einer bevölkerung komplett abträglich ist, sondern im grunde auch die grundlegende sinnfrage nach der menschlichen existenz aufwirft: wozu existiere ich, wenn es nur um erfüllung von leistungsansprüchen geht? es handelt sich im grunde um nichts anderes als die totale vereinnahmung durch das leistungsorientierte narrativ des konsumkapitalismus. bezeichenderweise war der einzelhandel ohne reglementierung des zugangs durch tests (die im november 2020 noch nicht existierten) einer der letzten bereiche, die geschlossen wurden, lange nach den bereichen bildung, sport, kultur, clubs, die während es sommers überhaupt nicht in gewohnter form öffenen konnten. nun lässt sich den anderorten im hinblick auf freuds konzept vom es eine wesentliche rolle zuschreiben: an diesen orte, an denen bewusste grenzüberschreitungen in geschützten räumen möglich sind, werden alternative möglichkeiten erprobt und gesellschaftliche konventionen und narrativen hinterfragt und im laufe der zeit auch mitunter aufgelöst. nicht zuletzt erfüllen diese zustände auch im wesentlichen eine gesellschaftliche ventilfunktion. wie auch eine reise einen neuen blick auf den alltag ermöglicht, tut es ebenso eine nacht, in der die monotonie der produktiven tagesordung durchbrochen wird. mit allen ihren zufälligen begegnungen und vielfalt an handlungsmöglichkeiten.

The specificities of the heterotopia, then, serve as a reflection of its society’s deepest fears, desires, and longings. Nostalgia is a sort of heterotopic sentiment among such pastoralists as believe Eden both existed and was lost.

Heterotopias can also be spaces to which people voluntarily escape, often temporarily and often in order to perform illicit acts which, if performed inside the larger social structure, would somehow threaten it. Heterotopias thus are both outside and inside the system depending on how one defines “system”; they may function as a sort of Saturnalian pressure valve, which through purging are in fact acts of preservation. (supended reason_CTH)

anderorte sind vergewisserungsorte: der realen möglichkeiten des gesellschaftlichen wandels, des selbst, der wirkung auf und interaktion mit anderen. einer vergewisserung des präsent im moment seins, frei von leistungserwartungen und effizienzoptimierung eines neoliberalen ökonomienarrativs, das die gesamtgesellschaft bereits seit mehreren jahrzehnten deutlich dominiert.

II_TOPOLOGIE DES HETEROTOPEN

virtueller rundgang zu räumen der heterotopen phänomene

die tür

das konstituiertene moment des heterotop: zugangskontrolle, selektion. heutzutage: warten,warten,warten, falls man nicht vororganisiert hat und/oder kontakte in die strukturen jenseits dieser mechanismus der abschließung besitzt.

an der tür wird der mythos kreiert, den ein club besitzt: wie hart ist die tür, wie scharf ist der dresscode, der befolgt werden muss, um eintritt gewährt zu bekommen?

The potential for venues like Berghain to be (non-transformatively) liminoid is suggested by Turner but never explored. There are permanent ‘liminoid’ settings and spaces, too, he writes — bars, pubs, some cafes, social clubs, etc. But when clubs become exclusivist they tend to generate rites of passage, with the liminal as a condition of entrance into the ‘liminoid’ realm. This emergence of entrance rites, of course, does not preclude the survival of communitas in the heterotopic-liminoid realm, and in Berghain the two work in coordination. The liminal passage which is Berghain’s entrance policy in fact cues and eases communitas’ emergence among clubgoers. While selectivity and curation of entrants prove necessary to preserving the sense of sacredness and community which pervades Berghain, this selectivity operates in the service of self- and collective transcendence rather than identity re-affirmation. (suspended reason_PRAS: BH)

die garderobe

hier wird meist die jacke abgegeben, bei manchen einschlägig sexpositiven parties auch das ganze outfit nach einem wechsel im bereich davor.

im zielgruppenspezifischeren laboratory auch als sonderform: das entkleiden, befreien von allem unnötigen und hineinstopfen in eine blauen 120 liter plastikmüllsack. man gibt seine identität quasi ritual an der garderobe ab, um frei zu sein, von den konstruktionen seines realen selbst. gut geheizt ist ohnehin, zuviel textil also unangemessen.

Once inside, this process of identity dissolution and crowd cohesion is reinforced by a Piotr Nathan installation entitled Rituale des Verschwindens (Rituals of Disappearance) visible upon traversing the southwest portion of the ground floor. VIP spaces are either nonexistent or carefully hidden from sight (egalitarian) while bathrooms conspicuously lack mirrors (dissolution of individual identity). Egalitarianism is arguably central to the success of a club venue: Cordes in her study of dance culture observed constant references among interviewees to being on the same level. (suspended reason_PRS: BH)

der aufstieg

event horizon ins eigentlich heterope: als ereignishorizont wird in der allgemeinen realitivitätstheorie eine grenzfläche in der raumzeit definiert, für die gilt, das ereignisse jenseits dieser Grenzfläche prinzipiell nicht sichtbar für Beobachter sind, die sich diesseits der Grenzfläche befinden. ein bestimmendes kriterium des mythos berghain ist, dass ein striktes photografieverbot besteht, dass durch das rituelle aufkleben eines farbigen klebepunktes auf die mitgeführte smartphonekamera installiert, konstituiert und kommuniziert wird. alles was in diesem heterotopen raum geschieht, bleibt dort oder in der erinnerung der besucher, jedoch findet keinen weg nach draussen in form einer photograpischen dokumentation. so sind auch keine aufnahmen der toiletten im internet zu finden. (lediglich wenige aufnahmen zu musikpromotionen lassen sich finden oder aufnahmen von ausgestellten kunstwerken, die teil des konzeptes sind).

Technopartys waren Orte, an denen Lust – häufig vermittelt über Drogen – konsumierbar wurde. Die Gegenwelt der Party, deren Verborgenheit durch Film- und Fotografieverbote aufrechterhalten werden sollte, schuf einen Raum zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, in dem Lust mit dem eigenen wie mit anderen Körpern gelebt werden konnte. ,Im Keller lagen eigentlich alle, jeder streichelte irgendeinen Arm, irgendein Bein. Heteros und Schwule durcheinander, die Mädels dazwischen.' (MTT)

die bar

der ort der eigentlich ankunft nach überwindung der hürden des einlass und der garderobe. mitunter eine erneute geduldsprobe und buhlen um aufmerksamkeit, diesmal des barkeepers. er/sie ist der verwalter des offiziellen rauschmittels, das zur lösung und entgrenzung vom alltag beiträgt. aber auch eine art entertainer und gesicht des clubs - neben der tür. der tresen ist ein ort der kommunikation mit den wartenden daneben, sei es verbal oder non-verbal. die bar ist ein klassischer ort des flirts, an dem die gesichter der anderen besucher im schmeichelhaften barlicht lesbar werden.

der dancefloor

der wesentlich ort der entgrenzung innerhalb eines rahmens des beobachtet werdens: in seiner ritualisierung erinnert der tanzboden eines clubs an archaische stammesplätze, in denen zu rhythmis-dumpfdröhnenden ritualtrommeln zustände der trance, ekstase und kontrollverlusts erreicht werden. eine auflösung des individuums und ein-/abtauchen in eine kollektiverfahrung aus sound, licht, fleisch, schweiss. im öffnen aller körperporen wird der eigene körper durchlässiger, der geist freier, die grenzen zur umwelt permeable. in einem mitunter schmerzhaften prozess der tänzerischen katharsis werden - auch über körpereigenen hormonelle botenstoffe - erfahrungen der auflösung, verarbeitung, überwindung, entgrenzung vermittelt.

Vorher war man immer Beobachter im Club. Wenn man Hip-Hop oder Downbeat gehört hat, ist man vielleicht mal auf die Tanzfläche, aber man hat sich die ganze Zeit Gedanken gemacht. Im Tresor ging das alles nicht. Da kamst du rein und standst mitten im Inferno. Das hatte eine ganz andere Intensität. Du musstest mitmachen – oder nach Hause gehen. Der Tresor-Betreiber Dimitri Hegemann schrieb dem Club gar eine erotische Wirkung zu: Der Funke ist direkt übergesprungen. Die Musik, die Intensität, der Schweiß, das Schreien. (MTT)

das klo

ein ort, der zuallererst einer sehr weltlichen funktion gewidmet ist: der ausscheidung. jedoch erfolgt auf dem clubklo ein multicoding: neben miktion/defäkation ist es ein ort des konsums von drogen, der kopulation mit einem oderen mehreren partnern. ich alleine entscheide, ob ich die tür zu diesem streng umgrenzten minimalraum hinter mir allein schliesse - oder wer oder wieviele dort noch platz finden. was dort stattfindet - und wie lange. im wesentlichen ist die clubtoilette in ihrem charakter einer heterotopie zweiten grades die essenz des entgrenzungsversprechen des clubs: ein ort an dem alles geschehen kann.

Drogen spielten sowohl für die Versuche, die Leistungsfähigkeit des Körpers zu steigern, als auch für die schwierige Balance zwischen Kontrollverlust und Selbstkontrolle, eine entscheidende Rolle. Die ausdauernden Entgrenzungen wurden durch gezielten Drogenkonsum ermöglicht, etwa von Speed oder Kokain, mit Hilfe derer körperliche Bedürfnisse nach Essen oder Schlaf unterdrückt und zeitweise überwunden werden konnten. Für viele gehörte Ecstasy zum lustvollen Rausch der Party dazu. (MTT)

der darkroom

ein zusatzfeature, das sich heute in fast allen queeren bars und sehr vielen clubs finden lässt: ein raum, der nur dem einem dient: der flüchtigen, anonymen sexuellen begegnung. vormals ein rein queeres phänomen ist mittlerweile der darkroom oder gleich mehrere bereiche in unterschiedlicher abdunklung und exponierung auf sexpositiven parties zu finden. in seiner reduktion oder völligen ausblendung des visuellen ergbit sich eine konzentration auf das sinnliche, enthemmte, moralisch befreite der zufälligkeit und spontanität. unter bewusster inkaufnahme eines infektionsrisikos wird der darkroom zum erlebnisraum der sexuellen heterotopie im widerspruch zur weiterhin von christlichen werten wie treue, monogamie, langfristiger bindung dominierten gesellschaftsvorstellungen. dieser ort befreit sich von den moralischen stigmatisierungen einer lustvoll gelebten überwindung und entgrenzung dieser normativen vorstellungen.

we must escape the here and now for the then and there, individual transports are insufficient, we need to engage into collective temporal distortion, we need to step out of rigid conceptualisation that is still present. (jose esteban munoz, cruising utopia)

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III_BRECHUNG DER HYGIENENORMEN

in der betrachtung des phänomens hinsichtlich seiner (durch-)brechung bestehender konventionen und normen bezüglich von hygiene lassen sich zwei aspekte herausstellen:

zum einen hatte die berliner technoszene gerade zu beginn einen stark temporären charakter in ihrer aneignung von verwaisten und leerstehenden räumen, die sich schlagartig im sich öffnenden osten der stadt auftaten und eine vielzahl von möglichkeiten und freiräumen zu experimenteller und sehr oft illegaler nutzung anboten. oft waren auf-/abbau für eine party-/reihe oder fremdveranstaltung unmittelbar vor und nach der eigentlich party, oft besaßen solche illegalen raves stark improvisierten und dilletantischen charakter und so war auch die aneignung des bespielten raumes oft nur rudimentär auf die party ausgerichtet, toiletten und garderoben waren nötiges infrastrukturelles beiwerk ohne weitere betonung von hygienekonzepten. (gelegentlich waren dieses orte der bespielung selbst toilettenanlagen wie das sexyland am rosenthaler platz ende der 90er.) so geht die brechung bestehender normen fast zwangsläufig mit diesem eher improvisierten charakter der temporären bespielung einher.

andererseits war gerade die abwesenheit von übertriebender kontrolle und ein gewisser grad an versyphtheit gerade ausdruck hedonistischer entgrenztheit, die konventionelle gesellschaftliche vorstellungen von spass, sex, hygiene - normatives denken ganz generell - brach und in frage stellte. dieses wesen des hedonismus der 90er jahre wurde inflationär häuftig im credo anything goes zusammengefaßt: alles kann - nichts muss.  er ist zeichen einer heterotopie, die sich dem neoliberalen konservativismus, wachsender globalisierung und stärker werdendem gesellschaftlichen leistungs- und selbstoptimierungsdruck schlicht entzog und eine apolitische und spassbetonte gegenwelt erschuf, die stark auf individuellem erleben und ausprobieren basierte.

IV_LUSTAUFLADUNG DER AUSSCHEIDUNG

in gewissen subzenen, die mit der technokultur affiliert sind, geht die brechung der hygienenormen sogar weiter hin zu einer starken überscheitungen und überschreibung normativer kategorien und tabus im hinblick auf lust und ausscheidung: auf fetishparties werden diese spielweisen ebenso bedient und finden ein raum, frei von konventionell-gesellschaftlicher wertung oder scham, die sehr oft damit einher geht oder erziehungsmäßig codiert wird. dies betrifft zwar nur sehr kleine teilszenen, finden aber oft in teilbereichen größerer clubs statt oder als fremdveranstaltungen in bestehenden technoclubs. so kommt es zu einer durchdringung dieser sphären und einer damit einhergehenden aufweichung von vorstellungen, konventionen und ekelschwellen bezüglich von hygiene.

(beispielsweise die sukzessive etablierung verschiedener floors für sehr verschiedene zielgruppen im ostgut, auf denen in einem sehr breiten spektrum sexueller orientierung, identiäten und musikalischer präferenzen zwischen panoramabar und laboratory alles stattfinden konnte - frei von vorurteilen oder abwertung.)

auch überwindet der vermehrt zu beobachtende sexpositivismus des berliner nachtlebens die klassische kategorisierung sexueller orientierung und praktiken und auch damit einhergehender hygieneerwartungen, da einstmals queer-subversive phänomene wie cruising oder sex-on-premises in darkrooms oder dafür speziell konzipierten räumen eingang fanden in breitere teile der berliner clubszene. 

definition Sex on Premises Venue (SOPV)

is the term used primarily in British and Australian medical literature for the various commercial venues expressly for engaging in public sex, as opposed to spaces such as parks which may be used for sexual behavior but are intended for general public use.

A similar term, 'on-premises club', is used by heterosexual swingers to describe a sex club in which non-commercial sexual activity takes place between clients or members.

quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Sex_on_premises_venue (zugriff am 04.06.2021).

V_POESIE DES PROFANEN (EMPIRISCHE EBENE DER BETRACHTUNG)

ostgut (snax 1998)

die ruckelnden bewegungen lassen nach. ein kurzer moment des innehaltens, dann löst sich der ein körper vom anderen. der untenliegende, die hose nur leicht über das gesäß gezogen bleibt regungslos liegen. scheinbar eingeschlafen – trotz gefühlter 160 bpm musikdröhnung und einem stakkato rhythmischer beckengymnastik. da liegt er nun auf einem metallenen bettgestell mit einem netz aus drahtgeflecht, bomberjacke, jeans, gesicht nach unten, der blanke gluteus nach oben und schläft. um ihn herum ist dass hedonische chaos ausgebrochen und mit ihm eine vielzahl von handlungsangeboten und -aufforderungen. und so bleibt er noch eine ganze weile liegen, während der andere schon verschwunden ist in die nacht, die so vieles schluckt und so vieles gebiert. aber jeden allein lässt.

ostgut (snax, 1998)

freunde aus frankfurt schleppten mich zu snax, einer men only pervy party ins ostgut. die party war vorher im bunker in der albrechtstraße, tingelte eine weile durch den osten der stadt und landete schließlich in einer halle auf dem ehemaligen güterbahnhof. daher auch das naming. es war eine dieser damalig sehr üblichen rohen techno-parties in rohen post-industriell aufgelassenen industriegebäuden mit roher musik. und in diesem falle noch roherer sexeller aktivitäten. eigentlich war der gesamte innenraum eine art labyrinthhaftes cluster an erlebnisräumen, in denen variationen des tehmas 'sex on premises' stattfanden. es gab ecken, an denen türmten sich gebrauchte berge von zellstoff auf, andere räume war mit matratzen ausgelegt oder es standen feldbetten rum. der skin-look war damals noch ein ding, viele trugen eine bomberjacke, springerstiefel mit weißen senkeln und gebleicht-gesprenkelte jeans mit umgeschlagenen beinen.

da die bespielung des ortes völlig neu war, standen nur eine batterie von etwa 12 oder 14 dixie-klos auf einem podest, dass man über eine treppenkonstruktion aus gerüstbauelementen erreichte. diese einzelnen klokabinen waren unten aufgeschnitten und entleerten ihren inhalt in einen großen behälter, der sich darunter befand. durch das plastikding, was im dixie-klo eine toilette simuliert konnte man in einen endlosen ozean von fäkalien herabblicken. die olfaktorische sinneswahrnehmung dazu war dementsprechend unvergesslich post-industriell.

klobar (2005)

i came all the way from spain - do i get something for free? sagt sie und schüttelt ihr blondes, gelocktes haar. ich denke mir: dein zauber wirkt bei mir nicht,schätzchen. langsam nerven diese easyjeter aus spanien oder italien, die meinen, eine flugreise sei sowas wie eine zeitgenössische pilgerfahrt und verdiene almosen. auch eine bestellung aufgeben, dann sein gesamtes kupfergeld auf den tresen knallen beindruckt mich nur noch negativ. ich gehe die gesichter auf der anderen seite des tresen stoisch nach der reihe ab, runde um runde, ignoriere zwischenrufe oder gebettel um aufmerksamkeit. ab und dann ein bekanntes gesicht, das mich sogleich in freude versetzt. ich versuche schnell zu sein, nudel meine monotonen runden aus bestellungannahme, flaschenentnahme aus der truhe vor oder den kühlschränken hinter mir, dem obligatorischen griff an den flaschenöffner, der an einer kette an meiner hose hängt, kurzer übung in kopfrechnen, abkassieren und next! mit den dicken sohlen meiner schweren schuhe im look von ski-stiefeln klemme ich mich unter den rand der kühltruhe, um mein gleichgewicht zu halten und dabei mit meinen textilfreien oberkörper in die entgegengesetzte richtung zu driften. nach geschlagenen 12 stunden, geht das bumbumbum aus, ich knipse im sicherungskasten das putzlicht an und schlurfe reichlich durchnächtigt und müde ins klo, das wieder eine mischung aus hiroshima 1945 und brandenburger schweinemastbetrieb simuliert. eine strengriechende mischung aus getränken, wasser, fäkalien, zellstoff, kondomen, kippenstummeln und kleinen plastiktütchen bilden ein undefinierbares tableau menschlicher bedürfnisse und ihrer artefakte voll anmutiger vanitas.

berghain (2012)

ich drehe meine übliche runde: treppe rauf, ein anti-alkoholisches vorwandsgetränk, das immergleiche zerschnippelte shirt aufgerollt oben auf die box neben die flasche mit leitungswasser. wippen mit der fersen, den beat finden und sich aufnehmen. augen schliessen und sich in diesen sound fallen lassen: beckenkreisen, die reise ins innere antreten, die musik ist das medium des kontaktes mit mir selbst. meinem schmerz, meiner unsicherheit, meinem frust, freude, müdigkeit, verlangen, sehnsucht, aufregung, anhaftung. irgendwann kommt die bewegung oben in meinem schultergürtel an, wird üppiger, ausladender. ich vergesse den kontext um mir herum, schalte auf autopilot und lasse mich von der musikalischen strukturen leiten. am ende ist wieder dieser moment von totaler synchronizität mit der musik, der körper bildet sie ab, interpretiert und materialisiert sie.

laboratory (2018)

steve und ich stehen auf dem klo, yago ist wieder irgendwo verloren gegangen. irgendwas ist echt schiefgelaufen mit dem klempner. um uns herum ist der boden flächendeckend mit einer fiese braunen pampe bedeckt, im gesamten raum. beindruckend viel, konsistent und übelriechend. wir waten reichlich angewidert und doch fasziniert vor so viel abgründiger infernalität durch den raum und klammern uns am desinfektionsmittelspender fest. an den klotüren wilde, dionysische edding-zeichnungen von stark behaarten wesen mit überproportional großen genitalien und fettem grinsen.

03: SCHLUSSTEIL

diskussion

das thema der ausscheidung kann lustaufgeladen ein, ebenso wie das ausbrechen aus der konvention selbst lustvoll aufgeladen ist. es spiegelt jedoch das gesellschaftlich bedingte entfremdungsgeschehen von metabolischen realitäten: das thema ausscheidung bleibt einziges gesellschaftliches tabu, das noch wirklich schockiert, da es starken ekel hervorruft.

wenn sich feststellen läßt, dass wir ein unnatürliches verhältnis zu unseren körperausscheidungen besitzen und daraus ein entfremdungsgeschehen vom grundlegend menschlichen metabolischen geschehen ablesbar wird, stellt sich die frage, ob dies auf alle zeit fixiert bleibt oder ob es durch heterotope orte/spezielle subszenen und ihren lustaufgeladenen umgang mit dem thema zu einer umdeutung innerhalb der gesellschaft kommen kann.

es ist bereits eine umdeutung von miktion und defäkation im kontext von kunst festzustellen als happening (beispiel sarah schönfeld: hero’s journey (2019) - der gesammelte urin von gästen des berghains dient als material eines lichtobjektes, das seinen platz in der rohen industriearchitektur des clubs fand.)

kritik: heterontopy is the new normal

im hinblick auf den zeitlichen kontext von foucaults werk läßt sich folgendes feststellen:

alle bildschirme sind ebenfalls heterotopien: der zuwachs der bildschirmarbeit in der modernen informationsgesellschaft ist integraler bestandteil der digital dominierten alltagskultur geworden (speziell unter den aktuellen pandemiebedingungen des home offices, der akademischen lehre, etc). wir erleben momentan einen großen verlust an tradierter normalität in hinblick auf arbeitswelten, informellen begegnungen und modalitäten des studierens.

heterotopie ist der normalzustand - das andere ist alltag geworden.

im gegensatz zur clubkultur oder zum internet-gaming finden diese heterotopien jedoch auf einer anderen ebene statt; sie wurden durch ihre verbindung mit erwerbstätigkeit und akademischer lehre produktiv. diese spiegelkammern erfuhren also durch die covid19-pandemie 2020/21 einen bedeutsamen wandlungsprozess hin zu einem realen raum des arbeitens, lernens, kommunizierens.

fazit

bereiten berliner klubklos dem prozess der auflösung entfremdungsorientierter wahrnehmung des menschlichem metabolismus den weg in eine ganzheitliche wahrnehmung, die auch lustaufladungen ermöglichen? sei es durch die bedingungen der raumproduktion temporärer orte des nachtlebens, sei es aus dem populärkulturellen phänomen technoklub innewohnenden verschmelzen von erfahrungserweiterung, lust, tabubruch, entgrenzung und auflösung und dem substanzgebunden verlust der kontrolle und normativen regularien oder die profane logistische herausforderung hinsichtlich des verhältnisses von zeit zu personen und raum: die normativen vorstellungen und persönlichen grenzen der wahrnehmung solcher phänomene und der damit erlebte ekel verändert bzw. verschiebt die parameter dessen was als ekel empfundenen wird. eventuell ließe es sich auch als ein therapeutisches adjuvant zur überwindung von scham und traumata deuten, die mit dem topos der metabolischen ausscheidung - kulturell bedingt - einhergehen.

so geht es nicht nur um erweiterte erfahrung im aussen des heteotopen raumes, sondern auch um eine erforschung, umdeutung im inneren des eigenen selbst, der eigenen psychischen struktur - der geistigen verfasstheit in punkto hygiene und sozial konstruierter normen.

cave lutum - potuit emundare.

(vorsicht vor dem schmutz - er kann auch reinigen.)

epilog: kontext techno & neoliberalismus

Technopartys waren prinzipiell ins Unendliche verlängerbare Momente, die den Körper in Bewegung halten sollten, was letztlich für Körper wie für Technik verausgabend war. Techno sollte zugleich extreme, intensivierte Körperlichkeit und, wie das Beispiel der Mind Machine zeigt, fast körperlose Innerlichkeit hervorbringen.

Die Sehnsucht nach stetiger Steigerung von Lust- und Leistungsfähigkeit, die Betonung des Kreativen und Experimentellen sowie die Notwendigkeit, (körperlichen) Exzess und Selbstbeobachtung miteinander zu verbinden legt nahe, Technokörper als Teil des neoliberalen Subjektivierungsregimes zu verstehen. War das Tanzen zur Technik, so ließe sich zugespitzt fragen, ein Tanzen neoliberaler (Selbst-)Zwänge? Konnte, und kann, das Kreativsubjekt, das den Arbeitszwang zunehmend verinnerlicht, im Techno Lust am ,Erlebnis der Leibeigenschaft' genießen, wie Iris Dankemeyer meint? (MTT)

die fragestellung von techno als flüchtigem ausdruck und erlösung von neoliberalen zwängen scheint im hinblick auf seine entstehungsgeschichte in der post-industriellen phase der 1980er jahren in den USA interessant zu sein. so schreibt der in wien lebende kolumbianische kulturwissenschaftler felipe duque, der in der wiener clubszene unter dem pseudonym „adorno“ bekannt ist:

Ich denke jedoch nicht, dass Techno Chaos in Ordnung bringt. Im Gegenteil, die aktuelle Technomusik und die Art und Weise, wie wir sie konsumieren, ist die Ursache und Wirkung unserer turbokapitalistischen Zeit, so wie es in den 80er-Jahren in Detroit unter dem Einfluss des Fordismus, des Weltraumrennens und des Neoliberalismus war: Ein Fluchtventil für eine hedonistisch gesinnte Gesellschaft, in der den Einzelne für einige Stunden in der Tanzfläche in seiner Einsamkeit frei ist.

der detroit-techno gelangte über die stationierten us-amerikanischen GI’s nach deutschland - deswegen war frankfurt/main neben berlin ein epizentrum des deutschen technos in den 90er jahren mit clubs wie das omen, dorian gray und xs.

die ursprünglich wirtschaftsliberalen ideen des 20. jhd erfuhren ab den 1970ern eine abwertende umdeutung in richtung eines marktfundamentalismus, insbesondere hinsichtlicher der angelsächsischen new right in seiner ausprägung des britischen thatcherism und der wirtschaftspolitik der reagan-jahre, die von einer zunehmenden deregulierung, privatisierung und durchsetzung eines globalen freihandels geprägt waren und auch noch heute nachwirken.

vergleiche zum kontextuellen zusammenhang auch sebastian friedrich:

Das Berghain ist mehr als ein Technoschuppen; es ist ein Symbol für den Wunsch nach Weltflucht einer knietief im neoliberalen Sumpf stecken gebliebenen Generation, die nie die Hoffnung auf eine Utopie aufgeben musste, weil sie nie eine wirkliche hatte, die aber nach immer neuen Orten sucht, den Überschuss des im Alltag nicht Auslebbaren zu kompensieren.

Die saubere Realität unter der Woche weicht dem Schmutz. Kotzbrocken verstopfen Pissrinne und Klos, triefende Menschen mit größtmöglichen Pupillen laufen sich in die Arme, die Darkrooms sind prall gefüllt. Auf den Gummipolstern der Separees vermischt sich Speichel mit anderen Körperflüssigkeiten.

Spätestens unter der Dusche, wenn die Schweiß-Chemie-Zigarettenrauch-Kruste von der Haut geschrubbt ist, kommt die bittere Erkenntnis, dass das Berghain kein Gegenort, sondern lediglich die andere Seite derselben Medaille ist, ein Ort des kasernierten Exzesses.

die 40-stunden-party wird zum antidot zu einer 40-stunden-woche – und so ergibt sich ein bezug zwischen der funktion von techno/clubkultur als ventil einer überregulierte leistungsbetonte (arbeits-) gesellschaft und der medialen perpetuierung des hedonistischen mythos vom heteroptopen anything goes der 90er jahre, der sich allwochenendlich in den substanziellen leftovers einer durchgeballerten berghain-nacht an den äußerst robust gestalteten toiletten ablesen läßt. sie sind die eigentlichen dokumentationsorte der körperlichen entgrenzung und der dekonstruktion sozialer normen von reinheit und ordnung.

literatur

Friedrich, Sebastian: Alle wollen alles in der Exzess-Kaserne, unter: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/alle-wollen-alles-in-der-exzess-kaserne (Zugriff am 08.07.2021).

Chlada, Marvin: Heterotopie und Erfahrung. Abriss der Heterotopologie nach Michel Foucault. Alibri, 2005.

Foucault, Michel: Die Heterotopien/Der utopische Körper. 4. Auflage, Suhrkamp, 2013.

Foucault, Michel: Andere Räume (1967), in: Barck, Karlheinz (Hg.): Aisthesis: Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik; Essais. 5., durchgesehene Auflage. Leipzig: Reclam, 1993.

Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit. Band 1, Suhrkamp 1976.

Karwath, Leonie/Häberlen, Joachim C.: Mit der Technik tanzen: Technokörper im Berlin der frühen Neunziger Jahre. Body Politics, 6 (9). pp. 95-122., 2018.

Muckermann, Janine: Adorno hätte Techno nicht gemocht, unter: https://www.monopol-magazin.de/adorno-techno-dj (Zugriff am 08.07.2021).

suspended reason: Post-Ritual Space: Berghain, unter: https://suspendedreason.com/2016/12/23/post-ritual-space-berghain/ (Zugriff am 13.06.2021).

suspended reason: Clarifying the Heterotopic, unter: https://suspendedreason.com/2016/12/29/clarifying-the-heterotopic/ (Zugriff am 19.06.2021).

Tafazoli, Hamid/Gray, Richard T. (Hrsg.): Außenraum-Mitraum-Innenraum. Heterotopien in Kultur und Gesellschaft, Bielefeld: Aisthesis, 2012.

Urban, Urs: Der Raum des Anderen und Andere Räume. Würzburg: Königshausen und Neumann, 2007.

bildrecherche | faktor kunst

PANORAMABAR

Für Wolfgang Tillmans ist das Berghain ein Ort, an dem man nicht feiert, sondern ausgeht, weil es beim Ausgehen um die Auseinandersetzung mit anderen und im Berghain allen voran auch um die Auseinandersetzung mit sich selbst geht. Tillmans hat seine Fotografien immer wieder ausgestellt, etwa Freischwimmer.

Foto: Wolfgang Tillmans/ Hatje Cantz

quelle: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rezension-zum-buch-berghain-kunst-im-klub-a-1048447.html#fotostrecke-dd7b4d04-0001-0002-0000-000000129230 (zugriff am 05.06.2021).

KLOBAR

Im Berghain durchzuckt uns Joseph Marr

Dämmerlicht, ineinander verschlungene Männerkörper, das zuckersüße Verlangen nach Sex und Ekstase, Lust am Rausch und die Freude daran sich selbst zu verlieren – im Berghain, dass ist inzwischen hinlänglich bekannt, werden Suchende fündig. Brücken werden geschlagen, es trifft Jung auf Alt, Hetero auf Homo und andersherum und irgendwie auch Jeder und Jede auf jemand anderen, harte Bässe auf Minimal Electro und neuerdings Feiernde auf die Kunst von Joseph Marr.

Wer sich im Berghain bis zur „Klobar“ durchschlägt, kommt in den Genuss Kunst ganz nah zu erleben und visuell die Atmosphäre einer Nacht oder eines Tages vorgeführt zu bekommen. In die Bar intergiert ist eine neun Meter lange Installation des australisch-maorischen Künstler und Bildhauers Joseph Marr. Das Material: Zucker. Das Thema: Leidenschaft und Lust, Zärtlichkeit und Verlangen. Die Umsetzung: aus Glasvitrinen leuchten ineinander verschlungene Männerkörper entgegen – goldgelb, transparent und thematisch wohl nirgends besser aufgehoben als in den legendär hohen heißen Hallen des Berghains, die den Club zum lebenden Mythos haben werden lassen.

Für den Titel seiner Installation hat Marr den Titel „Together“ gewählt.  Dieser ist nicht nur Synonym für das Berghain-Gefühl von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft, sondern zeigt auch, dass Kunst überall ihren Platz finden kann. Auch dort wo sie auf Musik, Discolichter und den unerfüllten Wunsch trifft, dass der nächste Morgen niemals eintritt. 

Text: Vincent Schier // Fotos: DONE Studio – Ulf Saupe

quelle: https://www.artberlin.de/ausstellung/berghain-kunst/ (20.04.2021).

URIN ALS MATERIAL

Faszination und Ekel liegen meist näher als man denkt. Und genau das machen sich viele Künstler zum Vorteil, so auch Sarah Schönfeld.

Ihr Werk Hero’s Journey ist eine, nun ja, grenzwertige, aber doch irgendwo faszinierende Installationen, für welche sie 1000 Liter Urin sammelte. Dieser Urin kommt- wie kann es auch anders sein, straight aus dem Berliner Berghain. Im berühmt berüchtigten Technotempel wurde dieses zugegeben eigene Material über Wochen gesammelt, ehe die Künstlerin die Liter in einen großen, gläsernen Behälter füllte.

Anschließend brachte Schönfeld einen besondere Beleuchtung an der Vitrine an, sodass das Kunstwerk intensiv schimmert und einen abstrakt edlen Eindruck macht.

Fazit – man darf Kunst vielleicht nicht immer so ernst nehmen …

quelle: https://readthetrieb.com/index.php/2017/07/09/sarah-schoenfelds-heros-journey/ (zugriff am 18.05.2021).

bildnachweis

BILDNACHWEIS

abb. 1: berghain flyer, august 2006: artwork by harthorst.

abb. 2: berghain flyer, februar 2008: fotocollage by yusuf etimann.

abb. 3: https://www.tagesspiegel.de/berlin/berghain-gegen-uebersee-club-die-haertesten-tueren-von-berlin-und-hamburg/11490420.html (zugriff 20.04.2021).

abb. 4: https://www.monopol-magazin.de/sites/default/files/styles/min_autox1000/public/img_d7/Rituale-des-Verschwindens_%C2%A9-Piotr-Nathan-Photo-%C2%A9-Christine-Frenzl_landscape_0.png?itok=yByVHc8V (zugriff 20.04.2021).

abb. 5: https://www.miss-astarte.de/?p=3701 (zugriff am 20.04.2021).

abb. 6: https://www.miss-astarte.de/?p=3701 (zugriff am 20.04.2021).

abb. 7: https://felixhoffmanntechno.wordpress.com/2011/03/21/berghain-berlin/ (zugriff am 20.04.2021)

abb. 8: https://www.artberlin.de/ausstellung/berghain-kunst/ (zugriff am 20.04. 2021).

abb. 9: https://www.artberlin.de/ausstellung/berghain-kunst/ (zugriff am 20.04. 2021).

abb. 10: https://gramho.com/explore-hashtag/kreuzfriedrichs (zugriff am 20.04.2021).

abb. 11: sascha holzmann

abb. 12: https://readthetrieb.com/index.php/2017/07/09/sarah-schoenfelds-heros-journey/ (18.05.2021).

abb. 13: https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/rezension-zum-buch-berghain-kunst-im-klub-a-1048447.html (zugriff am 05.06.21).

abb. 14: https://trommelmusic.com/news/get-perlonized-again-at-panorama-bar-this-december/ (zugriff am 05.06.21).

abb. 15: https://trommelmusic.com/news/get-perlonized-again-at-panorama-bar-this-december/ (zugriff am 05.06.21).

abb. 16: https://soundcloud.com/splitpotrecords/sets/panorama-bar-berlin-dj-sets (zugriff am 05.06.21).

abb. 17: https://www.bz-berlin.de/artikel-archiv/das-geheimnis-des-berghain (zugriff am 20.04.2021).

X: PRÄSENTATION: topologie des heterotopen (miro board)

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Ein Projekt von

Fachgruppe

Theorie

Art des Projekts

Studienarbeit im zweiten Studienabschnitt

Betreuung

foto: Prof. Dr. phil. Rainer Funke

Zugehöriger Workspace

Cave Lutum!

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2021