Incom ist die Kommunikations-Plattform der Fachhochschule Potsdam

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Manchmal eine halbe Ewigkeit

– Die Gestaltung eines Bilderbuchs für poetische Minimalisten und pragmatische Tagträumerinnen

Abstrakt

Der Mensch ist ein soziales Wesen. Ob Psychologie, Soziologie, Kommunikationswissenschaft oder Philosophie – das außerordentliche Interesse, unser Verhalten zu ergründen und die Zusammenhänge zwischenmenschlicher Kommunikation zu verstehen, kommt in diversen wissenschaftlichen Disziplinen zum Tragen. Während Kommunikation schon immer ein wichtiger Bestandteil unseres Miteinanders ist, beginnt vor ungefähr 40.000 Jahren eine kleine Revolution in der Menschheitsgeschichte: Der Mensch entdeckt die Kunst. Diverse Tiere und Jagdszenen, Handabdrücke, sogar ein Mischwesen aus Stier und Frauenkörper, lassen sich an den Höhlenwänden in Südfrankreich und der Schweiz finden. Diese beeindruckenden Funde zeugen von einer neuen kognitiven Entwicklungsstufe. Der Mensch begann sich über sich selbst Gedanken zu machen. Kunst und das Bedürfnis sich mit Hilfe von Farben, Formen und Materialien gestalterisch mitzuteilen, begleiten seit dem unser Leben. 

Die Fähigkeit und der Drang, Informationen zu teilen und Geschichten zu erzählen, liegen also tief in uns verwurzelt. War es ursprünglich überlebenswichtig, sich darüber auszutauschen, ob eine Gefahr hinter dem nächsten Strauch lauert, wurden Geschichten darüber hinaus ein bedeutender Bestandteil unserer Kultur. Sie wurden an Steinwände gemeißelt und auf Papier geschrieben. Mit der Erfindung des Buchdrucks, konnten sich Geschichten und Informationen bald rasend schnell verbreiten und es sollte nicht lange dauern bis die ersten Bilderbücher entstanden.

Im Genre des Bilderbuchs tut sich für mich ein Interessantes Spannungsfeld auf. Es bietet die Möglichkeit, sich mit einem frei gewählten Thema, einer bildnerischen und einer textlichen Ebene auseinander zu setzen. Es bietet den Raum, die eigene Haltung zum Ausdruck zu bringen, für sich relevante Themen zu durchdenken und die Kommunikation mit anderen zu eröffnen. Vor allem aber kann hier einer Leidenschaft nachgegangen werden, die uns seit Jahrhunderten begleitet – dem Erzählen einer Geschichte.

Abstract

Humans are social beings. Whether psychology, sociology, communication-science, or philosophy - a diverse range of scientific disciplines show extraordinary interest in understanding human communication and social behaviour. While we have always been a social species, 40,000 years ago a small revolution in human history began: We discovered art. Various animals, hunting scenes and handprints from this time can be found on cave walls in Southern France and Switzerland. These impressive finds bear witness to a new level of cognitive development. Humans began to think about themselves. Art and the need to communicate with the help of colours, shapes, and materials have accompanied our lives ever since.

The ability and the urge to share information and tell stories are deeply rooted in us. While it was originally vital for our survival to exchange information about whether danger lurks behind the next bush, stories later developed as an important part of our culture in their own right. Early written stories were chiseled on stone walls or inked on papyrus. With the invention of letterpress printing, stories and information could soon spread at breakneck speed and it was not long before the first picture books were created.

Picture books offer an intriguing area of creative exploration for me - a blank canvas for ideas, expressed through image and text. Through this medium, I can express my own observations and reflections and in doing so encourage the readers' introspection. Above all, it celebrates the passion that has accompanied humans for millennia - the telling of a story.

Forschungsinteresse

Im Fortgang meiner Bachelorarbeit gehe ich der Frage nach, wo die Ursprünge der abstrakten Gestaltung und reduzierten Formensprache im Design liegen und wie diese ihren Weg ins Bilderbuch fanden. Mit der Erarbeitung eines abstrakten Bilderbuchs versuche ich das erzählerische und gestalterische Potential des Genres zu gründen.

Das Bilderbuch – ein komplexer Forschungsgegenstand

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Wir leben in einem komplexen System aus Zeichen und Informationen, welche es zu entschlüsseln und verstehen gilt. Bereits in der Kindheit treten wir mit einer Welt aus Farben, Formen und Buchstaben in Kontakt. Im Bilderbuch finden wir einen frühen Begleiter, der uns beim Erschließen dieser Welt zur Seite steht. Und so überrascht es nicht, dass sich das Genre neben einer Vielzahl an digitalen Medien und Angeboten weiterhin an großer Beliebtheit (1) erfreut.

Überraschend ist vielmehr, dass ungeachtet der steigenden Popularität von Bilderbüchern und ihrer Bedeutung für die Kindheit, die Bilderbuchforschung im deutschsprachigen Raum keine eigenständige wissenschaftliche Disziplin darstellt (2). Dabei erweist sich das Bilderbuch „[e]ntgegen seinem Image als einfaches und triviales Medium (…) als ein bildästhetischer, literarischer, psychologischer, soziologischer und medialer äußerst komplexer Gegenstand“(3). Nach Jens Thiele lassen sich hierfür unterschiedliche Gründe finden. Vor allem aber das Selbstverständnis, sich auf die Seite der Gebrauchskunst zu schlagen und den Adressaten stets im Kind zu suchen, erschwerten es dem Genre in der Kunstwissenschaft Beachtung zu finden.

„Wer den Versuch unternimmt, das Bilderbuch am Ende des 20. Jahrhunderts literarisch, künstlerisch und medial zu verorten, nimmt ein Medium wahr, das potentiell von künstlerischer Vielfalt und ästhetischer Kraft ist, das sich aber aufgrund verschiedener Setzungen und Selbstwahrnehmung ins Abseits kultureller und künstlerischer Entwicklungen der Gesellschaft manövriert hat.”

– Jens Thiele (4)

Umso erfreulicher ist es, dass es seit den Anfängen des 20. Jahrhunderts immer wieder KünstlerInnen und GrafikerInnen gab, die das Genre für sich entdeckten. Hier konnte das Bilderbuch zur Spielwiese neuer visueller Konzepte und Ideen werden. Nicht nur künstlerische Einflüsse, sondern auch gesellschaftspolitische Veränderungen und Strömungen, brachten neue Impulse, von denen das Bilderbuch-Genre profitieren konnte (5). Im sowjetischen Konstruktivismus und auch bei den sozialkritischen Künstlern der Weimarer Republik, rückte das Kind als Adressat einer engagierten Kunst in den Fokus (6).

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(1) Vgl. Branchen-Monitor BUCH: in: Börsenverein des deutschen Buchhandels, Januar 2020 [online] https://www.boersenverein.de/tx_boev_newsletter_view?tx._boev_pi14[uid]=1358&tx_boev_pi14[backend_layout]=pagets__newsletter [02.06.2020].

(2) Vgl. Köpke, Ilse: Angelika Kaufmanns Stellung in der Kinderbuchillustration der vergangenen 40 Jahre, Diplomarbeit, Kunstgeschichte, 2011, [online] http://othes.univie.ac.at/15886/1/2011-08-12_0309102.pdf [02.06.2020], S. 10.

(3) ebd.

(4) Vgl. Thiele, Jens / Jane Doonan: Das Bilderbuch: Ästhetik - Theorie - Analyse - Didaktik - Rezeption, Bremen, Deutschland: Aschenbeck & Isensee, 2000, S. 15.

(5) Vgl. Thiele, 2000, S. 23.

(6) ebd.

Der Gestaltungsprozess - Von der Idee zum Bilderbuch

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Im Folgenden habe ich mich konzeptionell und gestalterisch mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit die graphische Reduktion der Bildsprache in der Bilderbuchgestaltung helfen kann, ein schwer greifbares Thema visuell darzustellen. Entstanden ist ein Bilderbuch für (aber nicht ausschließlich) Kinder, welches sich mit dem Phänomen der Zeitwahrnehmung beschäftigt.

Als Kommunikationsdesignerin ist es stets mein Ziel, eine geeignete Form für Kommunikationsinhalte zu finden. Dabei steht die konzeptionelle Arbeit an erster Stelle. Gute Gestaltung will durchdacht sein und sollte mehr Kriterien erfüllen als nur visuell ansprechend zu sein. Die Motivation, ein komplexes Thema in Form eines graphischen Bilderbuchs aufzuarbeiten, entspringt zum einen aus meiner Leidenschaft für konzeptionelles Arbeiten zum anderen aus dem Bedürfnis nach gestalterischem Freiraum. Während ich mich in meinem Hauptstudium vorrangig mit Corporate Designs, Marken und ihren Zeichen beschäftigt habe, wollte ich mich in meiner Abschlussarbeit einem illustrativen Projekt widmen. Dabei unterscheidet sich der Gestaltungsprozess für ein Bilderbuch eigentlich nur unwesentlich von dem eines Corporate Designs. Mein Gestaltungsprozess beginnt immer mit einer Ideenfindungsphase, die mit Hilfe von Moodboards begleitet wird. Anschließend entwickelt sich aus den gesammelten Fragmenten im Idealfall ein Konzept. Dieses wird in der Entwurfsphase überprüft, weiterentwickelt und abschließend finalisiert. Während die Entwicklung eines Corporate Designs im Auftrag einer Marke entsteht, mit Vorgaben und Einschränkungen seitens der AuftraggeberInnen, ist die Gestaltung eines freien Bilderbuchs Spielwiese für Experimente.

Über die Themenfindung

Wie findet man eigentlich ein geeignetes Thema für die Gestaltung eines Bilderbuchs? Während die Entscheidung ein illustratives Projekt umzusetzen frühzeitig gefallen ist, galt es im nächsten Schritt, ein geeignetes Thema für das Buch zu finden. Wie jeder kreative Prozess von einer anfänglichen Phase der blanken Panik und Ideenlosigkeit begleitet wird, lässt sich auch meine Ideenfindungsphase ähnlich beschreiben. Hier hilft es nur, sich in die Recherche zu stürzen, Inspiration zu sammeln, abzuwarten und Tee zu trinken. Phasen der Verzweiflung und Fokussierung lassen immer neue Ideen aufkommen und sorgen auch für das Verwerfen dieser. Und manchmal findet sich die größte Inspiration in Zeiten von neuartigen Viren und einer Pandemie ganz unverhofft.

Seitdem das Coronavirus Sars-CoV-2 die Welt ergriffen hat, ist das Zeitempfinden wieder stärker in den Fokus gerückt. Leben wir normalerweise in einer Welt, die auf Schnelligkeit und Effizienz ausgerichtet ist, mussten wir in den letzten Monaten lernen mit einer Entschleunigung umzugehen, wie die meisten von uns sie wohl noch nie erlebt haben. Geschäfte, Schulen und Kultureinrichtungen mussten schließen, Kontaktverbote und Ausgangssperren zwangen uns plötzlich, sehr viel mehr Zeit zu Hause zu verbringen. In einer Situation, die äußerst ungewiss und langwierig scheint, kann Zeit etwas bedrückendes sein. In einer solchen Phase der Unsicherheit und des Sehrvielzeithabens ist die Idee für mein Bilderbuch entstanden: eine Geschichte über den Moment und unser Zeitempfinden. 

Über das Motiv der Zeit

Die Wahrnehmung von Zeit ist höchst individuell. Obwohl jeder Tag in 24 Stunden geteilt wird und eine Stunde aus 60 Minuten besteht, haben wir manchmal das Gefühl, die Zeit will einfach nicht vergehen. Andersherum kann sie aber auch förmlich vor uns wegrennen. Abhängig von der Situation, ob wir warten oder uns beeilen müssen, vergeht die gefühlte Zeit also unterschiedlich schnell.

Über die Zeit haben sich schon viele PhilosophInnen den Kopf zerbrochen, WissenschaftlerInnen Formeln zu ihrer Berechnung aufgestellt und SchriftstellerInnen Geschichten geschrieben. Bücher, die die Uhrzeit erklären oder den Ursprung unserer Zeitmessung auf den Grund gehen, gibt es sicherlich viele. Mit meinem Buch verfolge ich das Ziel, eine Reflexion über den Moment anzuregen. In einer Lesesituation der vollen Aufmerksamkeit, soll ein Austausch über Zeit und unsere Wahrnehmung angeregt werden.

Während im Buch über das Fortschreiten und den Stillstand von Zeit berichtet wird, ist dieser Verlauf auf mehreren Ebenen sichtbar. Rein formal ist das Buch durch einen Anfang und ein Ende bestimmt. Das Lesen und Durchblättern der Seiten kann schnell oder langsam erfolgen. Zeit ist also unmittelbar an die Rezeption des Buchs geknüpft.Auf textlicher Ebene wird Zeit beschrieben und erfahrbar gemacht. Dabei nimmt der Text sich den Raum, sich über mehrere Seiten zu erstrecken und streckt damit das Erzählte in die Länge. Damit nimmt sich selbst ein kleiner Moment den Freiraum zu wirken. Visuell zieht sich der Verlauf von Zeit mit Hilfe einer stark betonten Gestaltungsachse und einer reduzierten Form- und Farbgestaltung durch das Buch. Mit dem Voranschreiten der Geschichte verändern sich von Seite zu Seite die Elemente, ordnen sich neu an oder entwickeln sich zu einer neuen Bildidee. Damit wirkt die Zeit auch unmittelbar auf das Dargestellte ein. Dem komplexen Sachverhalt wird eine nicht weniger komplexe Gestaltungsidee gegenübergestellt, welche sich beim Betrachten langsam entfaltet.

Welche Form hat die Zeit?

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Inspiration & Moodboards

Nachdem das Thema für das Bilderbuch gefunden war, begann meine Recherche nach einer geeigneten Bildsprache. Da mein Interesse dem abstrakten und minimalistischen Bilderbuch galt, habe ich zunächst eine Vielzahl an grafischen Bilderbüchern gesammelt und gelesen. Parallel dazu erstellte ich ein Moodboard, um einen kleinen Farb- und Formenkatalog aufzubauen. Normalerweise ist das Scribbeln von Ideen in dieser Phase von großer Bedeutung. In diesem Projekt fand ich meine größte Inspiration allerdings in gesammelten Textfragmenten. Zum Thema Zeit lässt sich eine große Vielfalt an sprachlichen Bildern und Redewendungen finden, welche ich zunächst gesichtet habe und anschließend in ihren Aussagen clustern konnte. Aus den Textbausteinen konnte so die Geschichte für das Bilderbuch entwickelt werden, welche von der Geburt bis zum Tod, die kleinen und großen Momente des Alltags thematisiert.

Abstraktion

„Jedes Gemälde, jede Skulptur bedeutet etwas. Ob nun ein gegenständliches oder ein »abstraktes« Werk ist, immer ist es ein Werk »über etwas«; es ist eine Aussage über das Wesen unseres Daseins.“ (7)

Es mag nahe liegen, dass GrafikdesignerInnen sich eher mit einer minimalistischen, reduzierten Bildsprache im Bilderbuch auseinandersetzen. Prinzipiell könnte man behaupten, dass jedes Thema auf einer Skala von naturalistisch bis abstrakt illustrativ umgesetzt werden kann. Welche Stärke hat also die abstrakte Darstellung? Dass durch sie die Kreativität und Fantasie angeregt und mehr Freiraum für die eigene Interpretation geschaffen wird, konnte bisher nicht belegt werden. Der Meister der Abstraktion, Illustrator Christoph Niemann sagte in einem Interview dazu: „The abstraction for me is this idea of getting rid of everything that’s not essential to making a point”(8). Der Illustrator sieht in der abstrakten Darstellung die Chance, die Essenz einer Aussage hervorzuheben. In der Einfachheit der Darstellung liegt meiner Meinung nach das Potential, komplexe und abstrakte Sachverhalte zu vermitteln.

In seinem Abstract-o-meter zeigt Niemann auf einer Skala der Abstraktion dieses Potentials anhand einer Herzillustration ganz deutlich. Die Abstraktion vermag etwas symbolhaftes, zeichenhaftes zu vermitteln und kann als kleines Teil für etwas größeres Ganzes stehen. Dieser Umstand wird nicht zuletzt in der Gestaltung von Icons oder Infografiken genutzt.

Die Grenze zwischen zu abstrakt und genau richtig verläuft dabei sicherlich auch individuell. Je nach Sehgewohnheiten mag der Zugang leichter oder schwerer fallen. Paul Rand sah in der Einfachheit und Geometrie eine Sprache der Zeitlosigkeit und Universalität (9). Darin liegt sicherlich eine besondere Stärke der Abstraktion. Christoph Niemann beschreibt die Abstraktion selbst als nicht besonders Interessant. Vielmehr entsteht durch den Kontext die Möglichkeit, mit einer einfachen Botschaft eine große Reaktion hervorzubringen (9).

Für die Gestaltung meines Bilderbuchs lag also die Herausforderung darin, eine Geschichte abstrakt zu illustrieren und durch die Einfachheit der Darstellung einen Zugang zur Thematik zu eröffnen. Ich entwickelte ein Illustrationskonzept, welches auf den einfachsten geometrischen Formen basiert und gleichzeitig viel mehr ist als nur eine farbige Fläche auf Grund. Durch ein komplexes Zusammenspiel der Textebene sowie dem Verlauf der Formen und Farben im Buch wird Zeit thematisiert und gleichzeitig illustriert.

Tatsächlich bestand die Herausforderung für mich darin, sich von der einfachen Bildsprache nicht irritieren zu lassen und die bewusste Entscheidung zu treffen, Bildelemente zu reduzieren und auf eine detailverliebte Inszenierung zu verzichten. Arnheim gibt zu bedenken, dass: „wir gerne an der Reife des Schöpfers [zweifeln], wenn die Dinge einfach gestaltet sind” (11). Diese Zweifel zu überwinden, war durchaus Teil meines Gestaltungsprozesses.

Der Kreis

„Aus der Kreisform tritt dem Betrachter die Linie mit ewiger Wiederkehr entgegen: sie hat weder Anfang noch Ende, sie kreist um eine unsichtbare, aber ganz präzise Mitte. Es ist die Idee des Ablaufs der Zeit, die von nirgends kommt und kein Ende findet.” (12)

Der Kreis ist ein zentrales Gestaltungselement in meinem Bilderbuch. Dabei nimmt dieser unterschiedliche Größen an, wird durch andere Formen ergänzt oder durch Vervielfältigung zum Muster. Die Veränderungen sind bewusst graduell und auf einer gleichbleibenden Achse angelegt, sodass der Eindruck von Bewegung entsteht. Damit wird das Verstreichen von Zeit visuell unterstützt. Kaum eine andere Grundform bietet sich wohl besser für die Thematik an als der Kreis.

Neben Dreieck und Viereck ist der Kreis eine der geometrischen Grundformen, die in den meisten Kulturen als Träger für religiöse oder philosophische Symbolik (13) zu finden ist. Abhängig vom Kontext assoziieren wir beim Betrachten eines Kreises sofort einen uns vertrauten Gegenstand (14). So kann die geometrische Grundform problemlos eine Vielzahl von Dingen symbolisieren. In meinem Buch mache ich mir diesen Umstand zu nutze und transformiere den Kreis im Fortgang der Geschichte immer wieder zu neuen Objekten und Szenen. Durch die Transformation wird das Verstreichen von Zeit spürbar gemacht. Da die Zeit weder Anfang noch Ende besitzt, lässt sie sich sehr gut durch die Unendlichkeit des Kreises repräsentieren.

Während Arnheim den Kreis als eine neutrale Form bezeichnet, die beliebiges repräsentieren kann betont Frutiger vielmehr, dass „[b]eim Betrachten des Kreises (…) der Gefühlsbereich so stark angesprochen wird, wie in keinem anderen Zeichen”(15).

Der Kreis kann als Schutzraum wahrgenommen werden, aber auch Beklemmungen wecken. Verstockt weist zudem darauf hin, dass der Kreis unsere Aufmerksamkeit aggressiv einfordert. Wirkt der Kreis zunächst einfach und unscheinbar, zeichnet sich bei der näheren Auseinandersetzung ein deutliches Spannungsverhältnis ab. Der Kreis ist in seiner Form und seinen Bedeutungsebenen alles andere als trivial und vermag im Kontext seine Stärke zu entfalten. Damit fiel die Entscheidung mein Gestaltungskonzept aus dieser Grundform zu entwickeln relativ frühzeitig. Erste Assoziationen waren zunächst der Urknall und die Entstehung des Universums, sowie eine Wanduhr. Aus dieser Bildidee entstand das Konzept, den Verlauf von Zeit auch visuell in der Transformation der Kreise zu thematisieren.

Alle Illustrationen im Buch sind geprägt durch ihre Vollflächigkeit und Eindimensionalität. Auf Schatten und Strukturen, grafische Spezialeffekte und andere Spielereien wurde ganz bewusst verzichtet. Es wurde der Versuch unternommen, so viel wie nötig und so wenig wie möglich in die Formen und ihre Ausgestaltung einzugreifen.

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(7) Vgl. Arnheim, Rudolf / Hermann: Kunst und Sehen: eine Psychologie des schöpferischen Auges, Berlin, Deutschland: De Gruyter, 1978, S. 64.

(8) Vgl. Luxford, Charlotte: A New Netflix Show Explores Christoph Niemann’s Amazing World of Illustration, in: Culture Trip, 22.03.2017, [online] https://theculturetrip.com/north-america/usa/new-york/new-york-city/articles/a-new-netflix-show-explores-christoph-niemanns-amazing-world-of-illustration/ [02.06.2020].

(9) Vgl. Paul Rand, everything is design! The man who changed the face of the USA: in: Graphéine - Agence de communication Paris Lyon, 03.10.2019, [online] https://www.grapheine.com/en/history-of-graphic-design/paul-rand-everything-is-design [02.06.2020].

(10) Vgl. Christoph Niemann Interview: in: designboom | architecture & design magazine, 13.10.2017, [online] https://www.designboom.com/art/christoph-niemann-interview/ [02.06.2020].

(11) Vgl. Arnheim, Rudolf / Hermann: Kunst und Sehen: eine Psychologie des schöpferischen Auges, Berlin, Deutschland: De Gruyter, 1978, S. 60.

(12) Vgl. Frutiger, Adrian / Heiderhoff: Der Mensch und seine Zeichen: Schriften, Symbole, Signets, Signale, Wiesbaden, Deutschland: Marixverlag, 2004, S. 45.

(13) Vgl. Verstockt, Mark / Wachter: Der Weg zur Form: vom Chaos zur Geometrie, München, Deutschland: Aries, 1996, S. 85.

(14) Vgl. Frutiger/Heiderhoff, 2004, S. 46.

(15) ebd.

Manchmal eine halbe Ewigkeit

Wir können sie messen in Sekunden, Minuten und Stunden. Wir zählen die Tage, Wochen und Jahre. Aber wie lange dauert ein Moment? Wann fängt »gleich« an und wann ist »jetzt« vorbei? Das ist wohl alles eine Frage der Zeit, oder?

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Fazit

Während Design und Kunst immer in einem Spannungsverhältnis stehen werden, verschwimmen oftmals die Grenzen zwischen KünstlerIn und GestalterIn. Beide Disziplinen lassen sich nicht immer strikt voneinander trennen und blicken auf eine gemeinsame Geschichte zurück. Design konnte sich jedoch von der Kunst emanzipieren und eigene Anwendungsgebiete finden. Im Bilderbuch treffen beide Welten wieder aufeinander. In der Vergangenheit interessierten sich KünstlerInnen wie DesignerInnen gleichermaßen für das Medium und tun dies bis heute. Dabei ist es ihnen zu verdanken, dass das Bilderbuch immer wieder neue Impulse erhält.

In unserer Welt müssen wir frühzeitig lernen abstrakt zu denken, Zeichen und Symbole zu entschlüsseln und gleichzeitig Empathie und Verständnis füreinander zu entwickeln. In der Kindheit wird dieser Prozess oftmals durch Bilderbücher begleitet und angeregt. Hier werden Geschichten erzählt und visuelle Codes kennengelernt. Gleichzeitig werden wir mit einer Flut an Bildern und Informationen überfrachtet und müssen lernen, uns bewusst mit den Inhalten auseinander zu setzen und das Gesehene zu reflektieren.

Visuelle Kommunikation setzt genau hier an. Sie hilft Informationen zu ordnen und so aufzubereiten, dass am Ende eine klare Botschaft vermittelt werden kann. Mit der Gestaltung von Bilderbüchern erobern sich DesignerInnen einen Raum, der es ihnen ermöglicht, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Eine Designperspektive auf das Medium Bilderbuch trägt dazu bei, eine größere Bandbreite an Perspektiven und Sichtweisen mit den LeserInnen zu teilen. Vor allem die Potentiale des abstrakten Bilderbuchs sind dabei noch längst nicht erschöpft und warten darauf, von Buchgestaltern und Geschichtenerzählerinnen entdeckt zu werden. Ich möchte mit meinen Bilderbuch einen Beitrag dazu leisten.

Danke!

An dieser Stelle möchte ich bei meinen Betreuerinnen Prof. Lisa Bucher und Prof. Marion Godau bedanken, die trotz eines turbulenten Starts in das Jahr 2020 an meiner Seite standen. Dank Videokonferenz konnte ich mich rückversichern, mit meinem Projekt auf dem richtigen Weg zu sein. Danke Lisa für deine bestärkenden Worte, die feinsinnige Kritik und das Vertrauen in mein Vorhaben. Dein Elan und frischer Geist konnten mich doch tatsächlich im letzten Semester vor meiner Bachelorarbeit davon überzeugen, mein Abschlussprojekt der Illustration zu widmen.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Bachelorarbeit

Betreuer_in

foto: Prof. Lisa Bucher

Entstehungszeitraum

Sommersemester 2020

Keywords

zusätzliches Material