Incom ist die Kommunikations-Plattform der Fachhochschule Potsdam

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Black Box

Das Ergebnis des Grundlagenkurses „White Cube“ im Wintersemester 2019/2020 bei Professorin Alexandra Martini ist die Black Box. Sie ermöglicht einen anonymen, ortsübergreifenden Meinungsaustausch. Jede*r kann Teil einer Debatte werden und Stimmungsbilder werden durch die transportfähige Box abhängig von verschiedenen Orten abgebildet.

Künstleranalyse

Nachdem wir die Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg analysiert hatten, mussten wir feststellen, dass ihr Stil leider von unserem abwich und wir so völlig haltlos vor einem nicht annähernd klaren Produkt standen.

Dennoch erweiterte der wissenschaftliche Charakter Ginsbergs Arbeiten die Experimentierfreudigkeit für die zweite Phase des Projekts maßgeblich.

Wir nahmen vor allem zwei Eigenschaften ihrer Arbeit mit ins „Labor“: die organischen Formen und den spekulativen Designansatz ihrer Werke.

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Matrix

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Experimente

Anfangs weckte das Salz Natriumacetat unser Interesse. Der Stoff, den man gemeinhin aus Taschenwärmen kennt, hat die Eigenschaft, Wärme zu speichern und schnell zu kristallisieren. Bei dieser Reaktion wird Wärme freigesetzt, es entsteht also „warmes Eis“. Dieser Widerspruch und die sehr organisch anmutende Wärmequelle, faszinierte außerordentlich, leider fiel es uns schwierig, dies in einen Kontext oder gar ein Konzept einzufügen, was auch bei weiteren Experimentieransätzen ein Problem darstellen sollte.

Ähnliche Versuche, organische Formen mit Sinn zu beladen, verliefen sich sehr schnell und wir standen schließlich am Anfang. Nun kamen wir zufällig auf thermochrome Farbe. Ebenfalls von Wärme beeinflusst, besitzt dieses Material einen fast poetischen Charakter. Wenn man die Farbe erwärmt, wird sie durchsichtig. Sie reagiert auf einen Außenwirkung.

Doch wie sollten wir dieser interessanten Eigenschaft einen Rahmen geben, wie sollte daraus ein funktionales Objekt oder gar eine Raumstruktur entstehen?

Wir pausierten also unsere Experimente und wendeten uns der Frage zu, wie man die Farbe konzeptionell nutzen könnte. Die Essenz der Überlegungen war schließlich:

Die thermochrome Farbe kann eine unerwartete „Belohnung“ verschleiern. Wir werden zunächst damit ein Objekt undurchsichtig machen, aber hinter einer Interaktion (Wärmezufuhr) eine „Überraschung“ verbergen.

Wie können wir diese Interaktion ansprechend machen, oder überhaupt im ersten Schritt herbeiführen? Wie soll sie aussehen und welchen Sinn wird sie haben?

Hiermit stellten sich die Fragen nach Input und Output. Dass diese jedoch in unserem zwei Ebenen besitzen - Wie sieht die Interaktion aus und was geschieht? Beziehungsweise mit welcher Bedeutung geschieht es? - machte diese Phase besonders schwierig.

Außerdem verleitete der selbstauferlegte „Druck“, am Ende ein vollendetes Produkt vorzeigen zu können, eher dazu, die Aufgabe vom Ende zu denken. Das möchten wir haben, und das müssen wir dafür tun. Dieser Zwiespalt brachte uns weg vom eigentlichen Ansatz, dass Experimente zu einer Idee führen. Sondern eher, dass die Idee die Umsetzung bestimmt. Wir schränkten uns also ein wenig ein, oder anders gesagt, begannen eher zielorientiert zu arbeiten.

So kamen wir zu dem Konzept der „Juke Box“. Eine Glasplatte, bestrichen mit thermochromer Farbe, versteckt unter sich Lichtsensoren, die aktiviert werden, sobald die Platte durch externe Wärme partiell durchsichtig wird.

Mit diesem Ansatz begannen wir, speziell mit Materialien zu experimentieren, die wir mit thermochromer Farbe bestrichen. Wie schnell ändert sich die Farbe auf verschiedenen Oberflächen? Wie lange dauert der Prozess? Wie lange benötigt sie, wieder ihre Ausgangsfarbe zu erhalten?

Am Ende dieses Prozesses stand unser Material. Eine Plexiglasplatte, bestrichen mit schwarzer thermochromer Farbe bestrichen, die bei 25°C durchsichtig wird.

Durch die schwarze Farbe, die lediglich besser deckte als ein dunkles Blau, war ebenfalls klar, welche Farbe der Unterbau haben sollte, in dem sich „die Technik“ verbergen würde. So entstand die „Black Box“.

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Prozess

Für die Hardware verbanden wir die Lichtsensoren mit einem Teensy, ein Mikrocontroller-Entwicklungsboard, das die Impulse der Sensoren in Midi-Signale umwandeln kann. Dadurch lässt sich ein Sampler anspielen, der schließlich Sound ausgibt. Die Lichtsensoren werden in einer Matrix unter der Platte verortet und isoliert, sodass sie sie unabhängig voneinander auf die jeweilige Veränderung der Lichtverhältnisse reagieren können.

Die anspruchsvollste Aufgabe war das zusammenfügen der Hardware und das schreiben des dazugehören Programms. Die „Black Box“ als ganzes war schließlich ziemlich schnell gebaut. Nun hatten wir einen funktionierenden Midicontroller, der sich mit Licht steuern lässt.

Leitete uns in der zweiten Phase die Idee eher zum Experiment, mussten wir nun ebenfalls von einem fertigen Produkt zu einem Konzept finden.

Hierfür nutzten wir trivialerweise die Design Thinking Methode der einhundert Ideen. Schnelles Brainstorming ohne jegliche Beschränkungen brachte uns zu dem Ansatz der Interaktion. Wieso dem Nutzer nicht selbst die Möglichkeit bieten, den Output zu bestimmen? Ihn als Teil des Produktes zu begreifen.

So kamen wir zu der Frage - Antwort Interaktion und die Frage resultierte aus dem „Black Box“ - Konzept.

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Konzept

Eine „Black Box“ lässt sich im Allgemeinen als ein Teil einer Beobachtung beschreiben. Wenn wir etwas inspizieren wollen, dass zunächst unzugänglich ist - sei es ein technischer, biologischer oder auch psychischer Vorgang - können wir nur Input und Output sehen und müssen von dort aus Rückschlüsse auf mögliche Zwischenschritte ziehen.

So überrascht es nicht, dass sich der Begriff „Black Box“ vor allem im Behaviorismus wiederfindet, einem Ansatz der Psychologie, der mit den Reiz-Reaktions-Modellen zu Anfang des 20. Jh. begann und in den 1950er Jahren mit B.F. Skinner die Phase seines größten Einflusses erreichte.

Der Behaviorismus war die Grundlage für die Verhaltenspsychologie, beschäftigte sich also lediglich mit der Reaktion beziehungsweise dem Output der Psyche. Er verzichtet darauf, überhaupt Aussagen darüber zu treffen, was beispielsweise im Unbewussten geschieht und deklariert demnach die komplexe und undurchsichtige Psyche als „Black Box“.

In der Soziologie beziehungsweise Kommunikationswissenschaft wiederholt Niklas Luhmann mit der Systemtheorie in gewisser Weise eine Grundentscheidung des Behaviorismus: die Annahme, dass Kommunikation (Input und Output) beobachtbar ist, das Innere der Subjekte aber eben eine Black Box, also opak.

Wenn unsere eigene Psyche eine Black Box ist, so ist die Psyche anderer Menschen für uns sowieso undurchdringlich.

Das Aufeinandertreffen zweier (oder mehr) Menschen beschreibt er demnach als „doppelte Kontingenz“:

„Zum Unterbau, der im Theorem der doppelten Kontingenz vorausgesetzt ist, gehören hochkomplexe, sinnbenutzende Systeme, die für einander nicht durchsichtig und nicht kalkulierbar sind. Dies können psychische oder soziale Systeme sein. Wir müssen von deren Unterschied einstweilen absehen und sprechen deshalb von ‚black boxes‘. Die Grundsituation der doppelten Kontingenz ist dann einfach: Zwei black boxes bekommen es, auf Grund welcher Umstände auch immer, miteinander zu tun.“

Und mehr noch: Bekanntlich hat Luhmann die Einsicht in die Opazität der Subjekte gegen das Konzept des Subjekts selbst gewendet. Er zieht die Konsequenz, das Subjekt weitgehend zu verabschieden, und ersetzt es durch die Kommunikation:

„Die Formulierung des Problems der doppelten Kontingenz wird dazu verführen, sich auf beiden Seiten, als Ego und als Alter, Menschen, Subjekte, Individuen, Personen als voll konkretisierte Existenzen vorzustellen. Das ist weder ganz falsch noch ganz richtig. Das Theorem der doppelten Kontingenz dient gerade dazu, eine solche allzu kompakte Prämisse aufzulösen.“

Wir sehen nur das Verhalten unseres Gegenübers, nicht sein oder ihr wirkliches Ich.

Welchen Input geben wir, und welchen Output erhalten wir? Um einen anderen Menschen wirklich zu verstehen und verstanden zu werden, müssen wir die Black Box öffnen.

Bringt man beide Ansätze zusammen, den psychologischen und kommunikationswissenschaftlichen, so erhalten wir also das Bild des Menschen, des Subjekt als Black Box.

Erfahrungen, Eindrücke wirken von außen und regen unsere Psyche an. Wir bilden Emotionen, Verhaltensweisen, eine Persönlichkeit. Doch außerhalb dieser „Black Box“ kann man unsere Gedanken, Gefühle, Konflikte nicht sehen, schon gar nicht verstehen. Erst wenn wir die Black Box öffnen, und Gedanken mitteilen, Gefühle zulassen oder innere Konflikte nach außen tragen - also kommunizieren, können uns andere erfahren.

Dort möchten wir mit unserem Projekt anknüpfen. Wer unsere „Black Box“ benutzt, hört zunächst nur einen dumpfen Schwarm an Stimmen.

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Was geschieht?

Zunächst erscheint die schwarze Holzbox undurchsichtig, die Stimmen versteht man nicht, das Objekt erklärt sich nicht. Wer dann aber den warmen Würfel an eine bestimmte Stelle auf der Platte oberhalb der Box legt, sieht, wie die Oberfläche an dieser Stelle durchsichtig wird. Eine Stimme, eine Erfahrung, eine Ansicht, ein Gedanke schwirrt hinaus und die Rezipient*innen können die eingesprochene Antwort auf eine Frage hören, die vorige Rezipient*innen eingesprochen haben.

Nun besteht die Möglichkeit, ebenfalls die eigene Antwort zur Frage aufzunehmen und so ein Teil seiner eigenen Black Box weiterzugeben.

Denn die Black Box, als Schwarm von Gedanken, kann überall installiert werden und so wird ein anonymer, ortsübergreifender Meinungsaustausch ermöglicht. Jede*r kann Teil einer Debatte werden und Stimmungsbilder werden durch die transportfähige Box abhängig von verschiedenen Orten abgebildet.

Um eine - möglicherweise unendliche - Sammlung an Output zu beginnen, möchten wir fragen:

„What’s in your Black Box - was macht uns als Menschen aus?“

Ergebnis

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Fazit

Wir haben sicherlich nicht den vorgegeben (und bei mehr Zeit definitiv vielversprechenden) Weg gewählt, über unsere Experimente, zu einer Idee, zu einem Konzept, zu einem Objekt zu gelangen. Dadurch war bis kurz vor der Fertigstellung - und tatsächlich erst nachdem wir die Analogien mit dem Black Box Gedanke gesehen haben - überhaupt abzusehen, ob das Projekt scheitern wird oder wir es tatsächlich schaffen, etwas „rundes“ abzugeben.

Dennoch haben wir den Gestaltungsprozess in allen Stadien durchlebt. Zu erkennen, dass vermeintlich leere Dinge, durch auferlegten Sinn und ein durchdachtes Konzeptes vollends zu Leben erwachen, ist eine wertvolle Erfahrung und auch, dass es besser ist, auch einfach Dinge in die Hand zu nehmen, anstatt nur zu überlegen, war ein wichtiges Learning.

Ausblick

Einige Fragen haben wir konzeptionell noch offen gelassen, daraus ergeben sich letztlich noch einige Möglichkeiten zur Erweiterung der Black Box.

Beschränken wir uns auf die eine Frage oder lassen wir noch weitere zu, eventuell abhängig von dem jeweiligen Ort? 

Zwei verschiedene Fragen wären eine umfassendere Näherung (und damit Erforschung) der einen Black Box „Mensch“, jedoch könnte gerade die (alles miteinschließende) Frage nach dem „Menschsein“ zu einer Art Datenbank werden.

Beschränken wir uns auf 16 Aufnahmen, die immer überschrieben werden oder speichern wir alle Antworten für immer ab?

Letzteres würde der Black Box den Datenbank Charakter verleihen, zudem ist denkbar, dass man durch Anpassung des Code darüberhinaus auch auf unendlich Aufnahmen zurückgreifen kann, auch wenn nur 16 Lichtsensoren vorhanden sind. Darauf aufbauend könnten wir uns die Sammlung der Black Box auch als Internetprojekt vorstellen.

Fachgruppe

Gestaltungsgrundlagen

Art des Projekts

Studienarbeit im ersten Studienabschnitt

Betreuung

foto: Prof. Alexandra Martini

Zugehöriger Workspace

WHITE CUBE

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2019 / 2020