In seiner Funktionalität auf die Lehre in gestalterischen Studiengängen zugeschnitten... Schnittstelle für die moderne Lehre
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Digital Public Health: Vom kleinen, gelben Heftchen zur App für besseren Impfschutz in Deutschland
Bis ins 18. Jahrhundert war die Menschheit weitestgehend machtlos gegen regelmäßig wiederkehrende Seuchen. Menschen weltweit waren Infektionskrankheiten schutzlos ausgeliefert, oft mit verheerenden Folgen. Aus der privilegierten Position eines Menschen, der im Westeuropa des 21. Jahrhunderts lebt, ist kaum vorstellbar, wie viel Angst und Leid diese Krankheiten damals in der Bevölkerung verbreitet haben müssen. Eine grobe Vorstellung bekommt, wer aus der Ferne die Berichterstattung über Zikavirus-Ausbrüche in Südamerika oder Ebola-Epidemien in Westafrika verfolgt hat.
↑ Aus der Bildbeschreibung: »Zeigt zwei Junge, beide 13 Jahre alt. Der rechts wurde in der Kindheit [gegen Pocken] geimpft, der andere wurde nicht geimpft. Shows two boys, both aged 13 years. Sie wurden beide von der selben Infektionsquelle am selben Tag infiziert. […]«
Das Impfen gehört, aus medizinischer Sicht, zu den größten Errungenschaften der jüngeren Geschichte. Ohne die Entwicklung hochwirksamer Impfstoffe und die Fortschritte in den Bereichen Hygiene und Infektiologie würden auch in Europa noch immer zehntausende Menschen an gefährlichen Infektionskrankheiten sterben oder lebenslange Folgeschäden davontragen. Die Einführung von Impfungen hat nicht nur zu umfassenden gesundheitlichen, sondern auch zu enormen gesellschaftlichen und ökonomischen Verbesserungen geführt.
Der Impfpass begleitet einen Menschen sein Leben lang. Bereits im Säuglingsalter erhält jedes Kind in Deutschland das gelbe Heftchen der WHO, welches sich danach im Rahmen der Kinder-Vorsorgeuntersuchungen mit Impfbescheinigungen gegen mindestens 13 Erkrankungen füllen sollte.
↑ Komplex, aber sinnvoll: der Impfkalender gemäß der Vorgaben der Ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut
Häufig ist es dann auch die Kinderärztin, die die letzte Schutzimpfung verabreicht. Rund 43 Prozent der Bürgerinnen wissen nicht gegen welche Krankheiten sie geschützt sind (Institut für Demoskopie Allensbach, 2013). So ist es nicht verwunderlich, dass jede zweite Deutsche einen unvollständigen Impfstatus aufweist. Wer nicht gerade verreist und den kleinen gelben Pass für Impfungen gegen Tropenkrankheiten benötigt, vergisst im Erwachsenenalter häufig die regelmäßig nötigen Auffrischungsimpfungen oder ist sich nicht bewusst, dass diese notwendig sind.
Immer wieder kommt es in Deutschland zu lokalen Masernausbrüchen mit mehreren tausend erkrankten Kindern (BZgA, o. J.h). Der Schrecken, den vermeintliche Kinderkrankheiten wie Masern, Diphtherie und Kinderlähmung in früheren Generationen ausgelöst haben und das Wissen, um die schweren Komplikationen dieser Krankheiten, scheint verloren gegangen zu sein. Laut einer aktuellen Studie der Krankenkasse Barmer haben mehr als die Hälfte der Zweijährigen nicht die nötigen Teilimpfungen erhalten (Grandt, Lappe, & Schubert, 2019). Prof. Dr. Betsch, die an der Universität Erfurt zu Impfverhalten und Impfmüdigkeit forscht, erklärt die fehlenden Impfungen folgendermaßen: »Die meisten Menschen sind impfbereit – aber impfen ist oft nicht einfach genug. Erwachsenen ist außerdem oft auch nicht bekannt, dass oder wann sie sich impfen lassen sollten.« (Betsch et al., 2019, S. 406).
↑ Der Impfpass im Wandel der Zeit: vom Impfschein aus dem Jahr 1831 bis zum dreisprachigen Internationalen Impfausweis der WHO heute
Doch nicht nur fehlende Impfungen können zu Problemen führen, laut des Infektionsschutzberichts der BZgA wissen 22 Prozent der Bevölkerung nicht oder nicht genau, wo sich ihr Impfpass befindet (Horstkötter et al., 2017). Auch unleserliche oder unvollständige Einträge sowie die Materialalterung des Papiers können zu unbeabsichtigten Lücken in der Impfhistorie eines Menschen führen. Für Impfdaten besteht in Deutschland jedoch kein zentrales Register, das bedeutet bei Verlust des Impfausweises steht keine Sicherheitskopie zur Verfügung (Klein, Schöneberg, & Krause, 2012). Der Impfstatus der Betroffenen kann anhand der ärztlichen Unterlagen oft nur noch unvollständig nachvollzogen werden und gilt als unklar.
Aufgezeigt wird, wie ein digitaler Impfpass Menschen dabei helfen kann den eigenen Impfstatus besser zu verstehen und regelmäßige Impfungen nicht zu vergessen. Dabei stütze ich mich auf die im 5C-Modell von Prof. Dr. Betsch definierten Einflussfaktoren auf das Impfverhalten. Im Prototypen der Impfpass-App für iOS zeige ich, wie gezieltes Nudging und Familien-Accounts dazu beitragen können ein bewussteres Impfverhalten zu verankern und Impftermine besser zu organisieren.
→ Mehr unter impfpass.study
Aktuell dominieren Apps zur Selbstoptimierung den Bereich Digital Health, so zählen wir etwa unsere Schritte oder dokumentieren unser Schlafverhalten. Im Gesundheitswesen selbst steckt allerdings im Bezug auf Digitalisierung noch viel ungenutztes Potenzial. Hürden wie verlorene Impfausweise oder im Alltagsstress vergessene Impfungen können so reduziert oder ganz abgebaut werden. Wird bei der Umsetzung auf einen sensiblen und verantwortungsvollen Umgang mit den Daten der Bürgerinnen geachtet, können Projekte wie der digitale Impfpass helfen Arbeitsabläufe zu vereinfachen und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu verbessern.
Häufig scheuen sich die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung derartige Vorhaben anzugehen. Neben Berührungsängsten mit der digitalen Welt spielen hier vermutlich auch die allgegenwärtigen Bedenken zum Datenschutz eine Rolle. Aus diesem Grund erwarte ich mit besonderer Spannung die im gerade verabschiedeten Masernschutz- und Digitale-Vorsorge-Gesetz vorgesehene Umsetzung des elektronischen Impfausweises.
Literatur
Betsch, C., Schmid, P., Korn, L., Steinmeyer, L., Heinemeier, D., Eitze, S., … Böhm, R. (2019). Impfverhalten psychologisch erklären, messen und verändern. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 62 (4), S. 400–409. DOI 10.1007/s00103-019-02900-6
BZgA. (o. J.). Masern-Impfung bei Erwachsenen. Abgerufen am 16. Oktober 2019, Impfen-Info
Grandt, D., Lappe, V., & Schubert, I. (2019). BARMER Arzneimittelreport 2019 Impfungen bei Kindern und Jugendlichen. Abgerufen am 18. Oktober 2019, Barmer
Horstkötter, N., Müller, U., Ommen, O., Platte, A., Reckendrees, B., Stander, V., … Thaiss, H. M. (2017). Einstellungen, Wissen und Verhalten von Erwachsenen und Eltern gegenüber Impfungen – Ergebnisse der Repräsentativbefragung 2016 zum Infektionsschutz. Abgerufen am 12. November 2019, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Institut für Demoskopie Allensbach. (2013). Impfen in Deutschland (Nr. 10). Abgerufen am 15. Oktober 2019, Verlag für Demoskopie, Kurzbericht
Klein, S., Schöneberg, I., & Krause, G. (2012). Vom Zwang zur Pockenschutzimpfung zum Nationalen Impfplan: Die Entwicklung des Impfwesens vom Deutschen Kaiserreich bis heute. Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz, 55 (11–12), S. 1.512–1.523. DOI 10.1007/s00103-012-1539-7