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MEIN WINTERGARTEN

Meins.

Ein kleines Wort mit großer Wirkung. „Meins“ klingt für mich erst einmal egoistisch, habgierig, einseitig. Aber dann gibt es da auch andere „meins“: Meine Mumi, meine Angst, mein Körper, meine Zukunft. Das sind alles „meins“, die ich nicht einfach so ablegen kann, die zu mir dazugehören, die mich vielleicht sogar definieren.

MEINS

In diesem Semesterprojekt beschäftige ich mich experimentell und typografisch mit dem Wort „Meins“ und seiner Bedeutung für mich.

Bevor ich anfange mein Projekt zu beschreiben, möchte ich die Umstände umreißen, unter denen ich dieses Semester gearbeitet habe. Dieses Semester sollte eine weite Reise werden. Nicht nur sinnbildlich, sondern auch wortwörtlich. Ich kündigte meine Wohnung und zog in dieses Wohnmobil, um mit den Vögeln gen Süden zu ziehen. Das Ziel: Der Weg nach Spanien und Marokko. Auf dem Heckträger drei Fahrräder, eine Plastik-Recycle-Maschine; in den Schränken viele Stifte, Farbe und Papier; in meiner Brust der Wunsch nach einer neuen Herausforderung. Ich suchte mir eine Partnerin, die ebenfalls im Kurs war, die mich per Skype dazu schalten konnte und mich auf dem Laufenden hielt. (An dieser Stelle noch einmal ein großes Dank an Melanie Ullrich!)

Als der Kurs losging, saß ich in einer fremden Uni-Mensa in Köln und hoffte, dass das WLAN gut genug sei. Draußen regnete es in Strömen und meine Socken hingen zum Trocknen über der Heizung. Der Hausmeister zeigte mir heimlich die Dusche und erzählte mir, dass ihm in Marokko sein Motorrad an einer Tankstelle geklaut wurde.

So begann ich meine Reise.


# F I R S T I D E A

MEIN PROFILABDRUCK

In dem Wohnmobil, in dem ich nun lebte, lag ein Ersatzreifen unter der Motorhaube. Und dieser Reifen inspirierte mich. Was wäre, wenn ich durch meine Erlebnisse auf der Reise sein Profil verändern würde?

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Mein Profil. Von der Seite. Bei Instagram. Mein Reifenprofil.

Der Kontakt einer meiner Reifen zur Straße ist minimal, aber er trägt mein ganzes Haus. Ein rotierender Kreis, der kleine Steinchen sammelt, Dreck, Wasser und Staub. Aber er hinterlässt auch etwas. Einen Abdruck im Sand, auf dem Asphalt. Was wäre, wenn dieser Reifen mein Profil beschreibt? Wenn er bei jeder Umdrehung mein Profil in die Erde presst? Wie ein bleibender Schatten meines reisenden Daseins.

Regrooving des Profils meines Ersatzreifens.


# M O N O T Y P I E

In Spanien wurde das Wohnmobil aufgebrochen. Mir wurden alle Sachen geklaut. Dieses Ereignis nahm mir meine Euphorie. Es erschütterte mich in meinem Vertrauen und lähmte mich in meiner Schaffenskraft.

Aber bald stellte ich fest, dass ich trotzdem noch vollständig war. Auch ohne meine Stifte, Pinsel, Farben, Schmuck, Unterwäsche...

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ICH WAR BEREIT WIEDER LOSZULEGEN!

Eine Aufgabe des Kurses war das Erschaffen von Monotypie. Die Monotypie ist ein Verfahren, bei dem noch nasse Farbe von einer Platte auf ein Druckmedium aufgebracht wird. Allerdings anders als bei anderen Druckverfahren, entsteht hierbei nur ein einziger Druck. Ich experimentierte ein wenig herum und musste schnell feststellen, dass eine Presse von Vorteil wäre! Also baute ich mir eine kleine, portable Presse:

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Ich kaufte mir eine gelbe Kartuschenpresse und baute sie auseinander.

Sägen.gifSägen.gif

dann sägte ich mir einige Bretter auf die richtige Größe zu und baute sie in die Presse ein.

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Ich bog mir die Metallstreben zurecht, bohrte ein paar Löcher, schnitt eine Plexiglasplatte zu, schraubte ein paar Schrauben und lackierte die Bretter schwarz. Fertig war die kleine Presse.

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Die Plexiglasplatte lässt sich frei bewegen, sodass ich dort die Farbe aufbringen konnte. Das Papier kann mit den zwei Klammern an dem oberen Brett befestigt werden, sodass es nicht verrutschen kann.

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Da in Spanien viel Müll herumliegt, sammelte ich diesen und gestaltete damit meine Farb-Platte.


# S E C O N D I D E A

Wir fuhren von Gibralta nach Pulpi. Als wir an den ersten Gewächshäusern vorbeifuhren fiel mir wieder ein, warum ich einen Winter lang kein Gemüse und Obst aus Spanien und Italien gegessen hatte. Seltsamer Weise hatte ich mein Wissen über die Gemüse- und Obstproduktion in Almeria wieder in eine dunkle Ecke meines Gehirns verbannt. Ich war erschrocken, wie lange wir nur Plastikplanen sahen. Über 100km nichts anderes. Ich hatte also genug Zeit noch während der Fahrt mein Wissen über das sogenannte „Mar de Plastico“ wieder aufzufrischen. Wir fuhren an einem Slum, in Spanien nennt man sie chabola, vorbei. Dies waren also die Ausmaße von meinem Gemüse- und Obstkonsum.

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MEIN WINTERGARTEN

Die Bilder ließen mich nicht mehr los und ich beschloss mich noch intensiver damit auseinander zu setzen.

Ich schaute Dokumentationen, las Artikel, wanderte mit google earth durch die Plastikfelder. Fragte Einheimische, fragte Freunde und Besucher, ob sie viel über das Thema wüssten. Ich war erstaunt, dass noch keiner von ihnen die Felder von oben gesehen hatte.

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Mich beschäftigten aber nicht nur die 50.000 Hektar Dach aus Plastik, sondern auch das, was unter ihnen passierte. Die Gewerkschaft SOC SAT schätzt, dass es ca. 40.000 illegale Arbeiter gebe, die unter den Dächern schuften. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es in Europa noch so etwas wie moderne Sklaverei geben darf. Zwischen den Gewächshäusern gibt es Arbeiterstriche, an denen meist afrikanische Arbeiter ohne Papiere stehen und darauf warten, dass sie von Farmern ausgewählt und mitgenommen werden, um für einen viel zu niedrigen Tageslohn zu arbeiten. Ich suchte nach einem solchen Ort. Ich recherchierte nach Bildern und wanderte durch google maps, um Vergleichbares zu finden. Der Kreisverkehr an der Bar El Grajo war ca. 150km entfernt und schien ein solcher Ort zu sein. Wir übernachteten zwischen den Gewächshäusern, sodass ich mich gegen 5:00 morgens auf den Weg zum Kreisverkehr machen konnte. Es warteten einige Arbeiter, in gelben Westen, unter Kapuzen. Es war noch dunkel und ich fühlte mich unwohl, weil ich eine große Kamera dabei hatte, allein war und kein Spanisch spreche. Ich machte erst Fotos, als nur noch ein Arbeiter da war. Die anderen wurden von Lieferwagen abgeholt. Das nächste Mal werde ich mit einem Dolmetscher und mehr Mut zum Kreisverkehr fahren.

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Zwischen den Gewächshäusern gibt es ca. 62 Chabolas, in denen die Arbeiter hausen. Die Hütten sind aus dem Abfall der Gewächshäuser zusammengebaut. Es gibt kein fließendes Wasser und keinen Strom. Häufig verwenden die Bewohner Fässer, in denen Chemikalien gelagert wurden, um mit ihnen Wasser zu transportieren. Dieses Wasser trinken sie auch.

Das Heft

Nach all den Informationen, die ich nun gesammelt hatte, fing ich an zu experimentieren. Ich wollte ein Heft gestalten, um zu informieren, um mich immer wieder daran zu erinnern, was ich gesehen und was ich empfunden hatte.

Also spielte ich mit den Zahlen, mit den Formen der Dächer und verwarf vieles wieder. Da mich das Thema emotional sehr berührte, viel es mir teilweise schwer genug Abstand zu gewinnen, um nüchtern zu differenzieren.

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Ich entschied mich dazu das Heft auf Zeitungspapier drucken zu lassen. Möglichst groß: 280cm x 400cm. Da es nur wenig Druckereien gibt, die Zeitungen in geringen Auflagen drucken, war ich auf eine bestimmte Seitenzahl beschränkt.

Sobald ich wieder in Deutschland bin, werde ich die Zeitung drucken lassen.

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Das Heft zum Blättern findest du hier.

F A Z I T

Während der Endpräsentation fragte mich Sven, was mir denn eigentlich am wichtigsten sei. Ich sagte: Die Bilder von oben. Die Geschichte der Arbeiter. Meine Reise dorthin.

Also sind es eigentlich drei Themen, die ich in dem Heft vereinen wollte. Wären sie einzeln nicht viel stärker? Ich denke, ja! Also werde ich mich den drei Themen in Zukunft noch einem einzeln widmen.

Ein Projekt von

Fachgruppe

Kommunikationsdesign

Art des Projekts

Keine Angabe

Entstehungszeitraum

Wintersemester 2018 / 2019