Theorie und Recherche
Die Arbeit stützt sich, neben einer umfangreichen Literaturrecherche, auf einen Methodenmix mit qualitativ-interpretativer Ausrichtung. Noch während des Masterstudiums wurden eine exemplarische semiotische Analyse, die Cultural-Probes und ein Co-Creation-Workshop durchgeführt, deren Ergebnisse in die Arbeit integriert werden. Methodisches Kernstück stellen Experteninterviews mit Vertretern verschiedener Akteursgruppen des Handlungsfeldes Wissenschaftliches Publizieren dar. Die so gewonnen Insights fließen gemeinsam mit den theoretischen Annahmen dieser Arbeit in Idea-Napkins ein, auf deren Basis die Modellbildung vorgenommen wird.
Nach dem Schaffen von theoretischen Grundlagen, dem Aufzeigen von weniger bekannten Alternativen und der Vorstellung relevanter Ansätze und Referenzprojekte können Schlussfolgerungen gezogen, die Erkenntnisse aus der theoretischen Arbeit gebündelt und Ziele für die Modellbildung formuliert werden. Es wird deutlich, dass das digitale Publizieren, speziell von wissenschaftlichen Arbeiten, mit verschiedensten Problemen verbunden ist. Durch den dargestellten Publikationsprozess wurde deutlich, dass die einzelnen Akteure wechselseitig aufeinander angewiesen sind und eine starke Abhängigkeit von den Verlagen vorherrscht. Die diskutierte Qualitätssicherung zeigt kritisch zu beurteilende Punkte auf, es mangelt vor Allem an Transparenz in den einzelnen Verfahren. Innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft herrschen viele restriktive Strukturen vor, die es zu hinterfragen gilt, beispielsweise die Verfahren zur Qualitätsmessung.
Die Digitalisierung zieht viele Veränderungen nach sich, die auch in der wissenschaftlichen Praxis bemerkbar werden. So ändert sich das Such- und Leseverhalten und auch die Arbeit mit neuen Kommunikationskanälen, z.B. die Nutzung von Social Media, wird relevanter. Das Feld des Urheberrechts und der Distribution von wissenschaftlichen Publikationen ist sehr komplex und zeigt, dass sich Autoren in der heutigen Zeit nicht mehr althergebrachten Strukturen unterwerfen müssen, sondern die Möglichkeit haben, die Prozesse des Publizierens mitzugestalten. Der Diskurs um die freie Verfügbarkeit von Volltexten (Open Access) und die Offenlegung von Forschungsdaten (Open Science) zeigt, dass es Strategien zu finden gilt, diese Bewegungen zu fördern und praktikabel zu gestalten. Dies tangiert die Grundsätze der Wissenschaft und verdeutlicht, dass sich auch gerade junge Autoren den klassischen Systemen nicht länger unterwerfen müssen und anfangen können, eine Reformierung und Neustrukturierung zu initiieren. Das zeigt auch der noch zu führende Diskurs um die veränderten Strukturen wissenschaftlicher Publikationen in einer digitalen Umgebung. Aus den formulierten Anforderungen lassen sich folgende Eigenschaften schlussfolgern, die eine digitale wissenschaftliche Publikation haben sollte: • Lesbarkeit • Verwertbarkeit • Verständlichkeit • Kommunizierbarkeit • Archivierbarkeit
Die Cultural Probes, der Co-Creation-Workshop, die exemplarische semiotische Analyse und die durchgeführten Interviews lieferten wertvolle Ansatzpunkte, um nah an den Akteuren des Publikationsprozesses und der Zielgruppe arbeiten zu können. Um die neu definierten Kriterien für wissenschaftliche Publikationen realisieren zu können, muss nicht nur die inhaltliche Struktur der Publikationen überdacht werden, es gilt auch gestalterische Lösungen zu finden. Die Grundannahme der Arbeit ist, dass eine gestalterische Perspektive in der Lage ist, den vielfältigen neuen Anforderungen eine Form zu geben. Die ausgesuchten Ansätze und Referenzprojekte liefern dafür erste wichtige Grundlagen, die es nun zusammenzuführen, zu ordnen und in ein praktikables Modell zu übertragen gilt. Hierbei geht es nicht darum, Wissenschaft neu zu erfinden, sondern bestehende, zugegebenermaßen oft nicht mehr zeitgemäße, und praktikable Punkte zu identifizieren, zu untersuchen und Alternativen aufzuzeigen.
Parallel zu diesem Arbeitsprozess erfolgte die Bildung einer Strategie für digitales Publizieren an der FH Potsdam, wo, gemeinsam mit incom und dem Projekt Forschendes Lehren der FH Potsdam, in einem ersten Schritt bereits eine Vorlage für eine wissenschaftliche Projektdokumentation für Studierende entstanden ist.

Modellbildung und Entwurf
Der Fokus liegt auf der Entwicklung eines modularen Systems für wissenschaftliche Publikationen mit der Einbindung der Möglichkeiten des Selfpublishings für wissenschaftliche Arbeiten und einer zeitgemäßen Anpassung an digitale Distributionskanäle. Die Zielgruppe umfasst die Autoren wissenschaftlicher Publikationen und soll ihnen ein Werkzeug an die Hand geben, um das Produzieren ihrer eigenen Arbeiten und den damit zusammenhängenden Veröffentlichungsprozess zu erleichtern. Das Modell sieht vor, die starre und lineare Struktur der einzelnen Publikationstypen aufzulockern und eine Mehrfachverwertung der Inhalte zu ermöglichen sowie langfristig nicht-lineare (Arbeits-) Prozesse zu anzustoßen.
Durch die Anwendung des modularen Systems kann eine einfache Aufbereitung für die entsprechenden Social Media-Kanäle in Verbindung mit Elementen des Storytelling gewährleistet werden und die Verbreitung über verschiedenste Distributionskanäle wird erleichtert. Eine weitere nützliche Funktion kann zum Beispiel auch sein, eine detaillierte Versionierung und ein Arbeiten im Sinne der Co-Creation zu ermöglichen. Im Sinne der Offenlegung von Forschungsdaten (Open Science) ist die Anreicherung mit multimedialen Inhalten ein zentrales Element. Das dient zum Einen einer freien Zugänglichkeit, zum Anderen aber auch der einfachen Integrierung von Formaten die eine höhere Verständlichkeit, Nutzung und Verwertbarkeit der wissenschaftlichen Arbeit gewährleisten. Denkbar sind beispielsweise klickbare Diagramme, interaktive Visualisierungen, Videos von Interviews oder Versuchsanordnungen, Tonaufnahmen und noch vieles mehr. Die Gestaltung der so entstandenen „Enhanced Publications“ sollte selbstverständlich an die damit verbundenen digitalen Ausgabemedien angepasst sein und den Prinzipien einer zeitgemäßen formal-ästhetischen Umsetzung folgen – expliziter: die Verwendung von Schriften, die für das Lesen am Bildschirm geeignet sind, die Verwendung von einspaltigen Satzspiegeln und großformatigen Abbildungen, sowie eine konsequente Verlinkung innerhalb und außer- halb des Dokumentes liegender Referenzpunkte der Publikation. Auch eine persistente Einbindung der Metadaten ist von einer hohen Bedeutung, um eine Auffindbarkeit, Wiederverwertung und Langzeitarchivierung zu ermöglichen.



Der Entwurf zeigt ein Konzept zur Entwicklung neuer Produktions- und Herstellungsprozesse digitaler wissenschaftlicher Publikationen und bietet erste Ansätze einer praktikablen Umsetzung. Das entwickelte Modell für eine modulare Struktur und die Einbeziehung der in den theoretischen Grundlagen ausgearbeiteten Ergebnisse bündeln sich in der Plattform Sciencepub, die es Autoren ermöglicht verlagsunabhängig und im Sinne von Open Access und Open Science eine neue Art des Selfpublishings für wissenschaftliche Arbeiten durchzuführen. Damit wird ein neuer Ansatz für die Publikation digitaler wissenschaftlicher Arbeiten vorgestellt und zeitgemäße Formen der wissenschaftlichen Kommunikation unterstützt.
Ein problematischer Punkt ist die Qualitätssicherung – neue Verfahren wie Open Review und Collaborative Review sind noch nicht etabliert. An dieser Stelle bedarf es einer Anerkennung innerhalb der Community und der Voraussetzung, dass restriktive Systeme wie beispielsweise der JIF (Journal-Impact-Factor) hinterfragt werden. Eine weitere Hürde, die es noch zu nehmen gilt, ist eine Anwendung des modularen Systems auf umfangreichere Publikationstypen, ob Sciencepub beispielsweise auch für Monografien anwendbar ist gilt es noch herauszufinden. Für Herausgeberbände werden durch die Ermöglichung kollaborativer Arbeitsprozesse und einer detaillierten Versionierung jedoch gute Voraussetzungen geschaffen. Im Entwurf wird deutlich, dass mit Sciencepub auch eine virtuelle Forschungsumgebung bereitgestellt werden kann, in der Wissenschaftler eine Materialsammlung zu ihren Forschungsthemen bündeln und mit anderen Autoren im Sinne der Co-Creation zusammenarbeiten können.

Ausblick
Zukünftig gilt es das Modell und die Entwürfe als Projekt anzusehen und Sciencepub weiter zu entwickeln, auszubauen, zu verfeinern und bestenfalls vollständig zu realisieren. Hierfür wurde mit dieser Arbeit ein guter Grundstein gelegt, um gegebenenfalls auch eine Kooperation mit einer Institution oder einem Wirtschaftsunternehmen eingehen zu können. Auch eine weitere theoretische Auseinandersetzung mit dem Projekt, zum Beispiel im Rahmen einer Promotion, ist denkbar. Durch die hohe Relevanz des Themas und der erarbeiteten zukunftsweisenden Inhalte ist die Weiterarbeit an Sciencepub wünschenswert und eine Realisierung kann einen großen Mehrwert für die wissenschaftliche Community und den Umgang mit digitalen wissenschaftlichen Publikationen beinhalten.
In einem ersten Schritt wird die Masterarbeit nach den eigens erarbeiteten Kriterien digital veröffentlicht, und der Entwurf in Form eines klickbaren Prototypen detaillierter umgesetzt.