Kontext und Fragestellung

Von Anfang an hatten wir die Idee, den Stellenwert von Freund*innenschaft in unserer Gesellschaft zu hinterfragen und ausgehend davon eine Xtopie zu spinnen. Wir haben uns gefragt, in welchem Verhältnis familiäre Liebe zu freundschaftlicher Liebe steht und was eigentlich genau der Unterschied dieser beiden Liebesformen ist. Ausgehend vom Konstrukt »Familie« und der zugehörigen Liebesform haben wir auch überlegt, wie Familie in der Zukunft anders funktionieren kann und wie Freund*innenschaft vielleicht eine neue Form von Familie sein könnte. 

Generell haben wir in unseren Überlegungen das aktuelle Konzept “Familie” eher kritisch betrachtet und uns darauf fokussiert in unserer Xtopie eine neue Verhältnisbestimmung von Freund*innenschaft und Familie zu erarbeiten. Freund*innenschaft sehen wir vor diesem Hintergrund, im Gegensatz zur Herkunftsfamilie, die auf Blutsverwandschaft beruht, als mögliche Wahlfamilie, die man sich eben selber aussucht und die unabhängig von Verwandtschaftsverhältnissen ist. 

In der Auseinandersetzung mit wahrscheinlichen und wünschenswerten Zukunftsszenarien freundschaftlicher Liebe gab es verschiedene Punkte über die wir nachgedacht haben:

_Gesetzgebung: Welche Rechte haben Freund*innen aktuell im Unterschied zu Eheleuten und welche Rechte könnten ihnen in Zukunft zugesprochen werden?

_Konflikte: Wie ist der Umgang mit Konflikten in Freund*innenschaften? Was passiert wenn Freund*innenschaften auseinanderbrechen und wie ernst werden diese genommen?

_Netzwerk: Wie könnten sich zukünftige Entwicklungen auf die Größe und Vernetzung von Freund*innenschaften auswirken? In welchem Verhältnis stehen Zweierfreund*innenschaften zu Mehrfreund*innenschaften? Könnten große Freund*innenschaftskommunen die neue (Wahl)Familie sein? Welchen Einfluss hätte es aber auf die Gesellschaft, wenn es nur noch homogene Freund*innenschaftskommunen gibt, die sich untereinander nicht mischen?

_Kommunikation und Kontakt: Wie kann in Zukunft mit der aktuell häufig zu beobachtenden Überforderung in der Kontaktpflege umgegangen werden? Mit welchen Tools könnte die Kontaktpflege optimiert werden? Welche Rolle wird analoge und digitale Kommunikation in diesem Kontext spielen und wie könnten Freund*innenschaften entweder ausschließlich analog oder digital gelebt werden?

_Rolle in der Gesellschaft: Auf welche gesellschaftliche Herausforderung antwortet Freund*innenschaft? 

Einer der wichtigsten Punkte, die wir aus dieser Übung mitgenommen haben, war, dass Einsamkeit in Zukunft weiter zunehmen könnte und Freund*innenschaft in der Bekämpfung zentral sein könnte. Zumindest zeigt das Einsamkeitsbarometer 2024, dass die stabilen bis abnehmenden Einsamkeitsbelastungen in 1990er-Jahren durch die Coronapandemie durchbrochen wurde (BMFSFJ 2024). 

Auch wenn Einsamkeit als subjektives Gefühl »in einem komplexen Zusammenspiel von individueller Veranlagung, erworbenen Vulnerabilitäten, situativen Faktoren und gesellschaftlichen Einflüssen« entsteht, ist die Qualität der Beziehungen zu Familie, Freund*innen und Partner*innen, »die zentrale Ressource, die vor Einsamkeitsbelastungen schützt« 

Quelle: www.bmfsfj.de/resource/blob/240528/5a00706c4e1d60528b4fed062e9debcc/einsamkeitsbarometer-2024-data.pdf, S.40.

Deshalb wollten wir den Gedanken verfolgen, welches Potential eine Stärkung freund*innenschaftlicher Beziehungen gegen Einsamkeit bieten könnte.

Eine weitere relevante Übung war die zu den Koordinatensystemen der Extremen. Ausgehend von den Extremen fest – fließend und digital – analog haben wir Gesellschaftsvisionen und die darin gelebten Freund*innenschaften in Form von Collagen und Texten skizziert. In der Besprechung der verschiedenen Darstellungen erschien uns die Gesellschaftsvision von organisierten Freund*innenschaften als spannend für eine weitere Ausarbeitung, da sie das klare Ziel verfolgt, Einsamkeit zu minimieren.

Daraus entstand die Idee eines »Bundesamtes für Freund*innenschaft« und die Idee von Freund*innenschaft als Pflicht, die wir dann weiter ausgearbeitet haben.

Anfangs haben wir noch die Extreme analog und digital als zwei mögliche Wege, zwischen denen man im Bundesamt wählen kann, in die Entwicklung der ersten Prototypen eingebaut. Im Zuge der Testphase haben wir jedoch festgestellt, dass diese Vielfalt zu umfangreich ist.

Idee

Die Grundidee unserer Station war es, eine Gesellschaftsvision zu entwerfen, in der organisierte Freund*innenschaften als Mittel gegen Einsamkeit dienen. Dabei war es uns wichtig, sowohl die positiven als auch die negativen Auswirkungen dieser Xtopie aufzuzeigen.

Ein zentraler Vorteil wäre die gezielte Bekämpfung von Einsamkeit und Ausweitung bestimmter Privilegien, die bislang hauptsächlich Familien und verheirateten Paaren vorbehalten sind – etwa Erbrecht, Vormundschaft, Steuervorteile oder Adoptionsrecht. In unserer Vision würde das Bundesamt diese Freund*innenschaften aktiv fördern und durch Maßnahmen wie Freund*innenschaftstherapie oder Entscheidungsbefugnisse im Todesfall weiter stärken.

Gleichzeitig führt diese Kontrolle freundschaftlicher Beziehungen durch Tests und regelmäßige »Check-Ups« dazu, dass sie zu einer Pflicht werden, deren Qualität vom Bundesamt überwacht wird und stetig Optimierung anstrebt. Mit den Angeboten des Bundesamts für Freund*innenschaft wollten wir erlebbar machen, wie sich staatlich regulierte und organisierte Freund*innenschaften anfühlen könnten.

Unsere gesamte Station ist als ein simulierter »Tag der offenen Tür« des Bundesamts für Freund*innenschaft konzipiert. Besuchende sollen sich wie in einer offiziellen Einrichtung fühlen, die ihre Dienstleistungen präsentiert – von Informationsständen über Beratungsmöglichkeiten bis hin zu einem interaktiven Test, der die persönliche Freund*innen-ID generiert. Durch dieses Format erhofften wir uns, die Vision greifbarer zu gestalten und über die Rolle von Freund*innenschaften in unserer Gesellschaft sowie die eigenen freund*innenschaftlichen Beziehungen nachzudenken und sich bewusst mit dieser Liebesform auseinandersetzen können.

Umsetzung

Raumplan.png

Da wir uns dafür entschieden haben, einen Raum zu erstellen, der so oder so ähnlich schon existiert, haben wir uns bei der Gestaltung an der relativ nüchternen Gestaltung von bürokratischen Materialien orientiert. Uns war schnell klar, dass wir eine »Warteraum« Ästhetik anstreben, d.h. ein paar Pflanzen und einen Haufen an Zetteln und Flyern, die überall rumhängen. Bei den Farben haben wir uns schnell auf lila und gelb (+ schwarz und weiß) geeinigt. Das wirkte modern und trotzdem noch nüchtern genug.

Den Raum haben wir so gestaltet, dass Besuchende überall etwas entdecken können. Am Eingang konnten die Besuchenden über Audiostehlen eine Einführung bekommen. Im Raum hingen Poster mit diversen Fragen, die die Besuchenden schriftlich beantworten oder sich mit Klebepunkten positionieren konnten.

Auf einem Ipad lief ein Video von einer Person, die ihre Erfahrungen mit dem Adoptionsprogramm des Bundesamtes in den Sozialen Medien geteilt hat. Daneben hing ein Poster mit den vier »Grundsätzen für eine freundliche Gesellschaft«, nach denen das Bundesamt für Freund*innenschaft agiert. Ein weiteres Angebot war die Erstellung einer Freund*innenschafts-ID. Dafür haben wir eigens einen Fragebogen erstellt, der über ein Ipad ausgefüllt wurde. Die Ergebnisse dieses Testes konnten die Besuchenden dann auf ihre Freund*innenschafts-ID übertragen. Am Infopoint wurden die IDs dann mit dem Stempel des Bundesamtes »verifiziert«. Zudem haben wir einen zweiten Stempel gestaltet, den alle Besuchenden bekommen haben, die jeweils eine Person im Raum gefunden haben, die eine höhere Punktzahl in einer Kategorie auf ihrer Freund*innenschafts-ID haben als sie selbst (und andersherum). So wurde ein Anreiz gesetzt, dass sich neue Menschen ansprechen und über ihrer Art der Freund*innenschaften austauschen.

Richtung Ausgang konnten die Besuchenden die unterschiedlichen Flyer anschauen, auf denen die Angebote und Programme des Bundesamtes ersichtlich werden.

Zum Ausgang hin haben wir die Besuchenden noch dazu eingeladen, das Bundesamt für Freund*innenschaft auf Google Maps zu bewerten.

Material

Intro (Audiofile von KI-Stimme)

Auch wenn unser Bundesamt weitestgehend analog abläuft, gibt es eine virtuelle Mitarbeiterin, die die Besucher*innen im Bundesamt willkommen heißt und so in das Zukunftsszenario einführt

-Die Audiodatei findet sich unten bei zusätzliches Material-

Namensschilder

Alle Mitarbeiter*innen des Bundesamts werden mit Freund*in + Nachname angesprochen, dafür gibt es die entsprechenden Namenschilder

Raumplan + Poster MUP-09.png

Eingangsschild 

Am Eingang befindet sich das Eingangsschild des Bundesamts, mit Logo und Grußformel

Raumplan + Poster MUP-07.png

Grundsätze des Bundesamts für Freund*innenschaft

Im Eingangsbereich des Bundesamts findet sich ein Poster, das die »4 Grundsätze einer freundlichen Gesellschaft« aufzeigt

Posterwand mit Umfrage (8 Poster mit Fragen)

Die Poster dienen der Meinungsumfrage zu unterschiedlichen Leistungen wie der Freund*innenschaftstherapie, dem Adoptionsrecht oder der Registrierung ihrer Freund*innenschaften. Ziel war es hier auch eine kleine Form der Datenerhebung und interaktive Anregung zu haben. Es gab neben den 5 Ja/Nein-Fragen auch 3 offene Fragen

Schilder Info-Punkt

Diese erklären, wobei die Mitarbeitenden hier weiterhelfen und beraten

Raumplan + Poster MUP-08.png

Werbung im »Berliner Fenster«

In Anlehnung an die Werbung in den Berliner U-Bahnen, dem sog. »Berliner Fenster« deuten einige Schlagzeilen und kurze Berichte darauf hin, welche Auswirkungen eine staatliche Priorisierung der Freund*innenschaften haben könnte

Postkarten

Die Postkarten mit lustigen Sprüchen konnten mit nach Hause genommen werden, sodass die Auseinandersetzung mit Freund*innenschaft und der Raum dafür auch außerhalb der Veranstaltung nachwirkt

Raumplan + Poster MUP.png

Freund*innen-ID

Sind Karten auf denen das Profil und die Infrastruktur der eigenen Freund*innenschaft(sfähigkeit) beschrieben wird. Die Teilnehmer*innen mussten die Ergebnisse nach dem Online-Test selbst darauf übertragen und ihn dann von einer Mitarbeitenden abstempeln lassen

Hier gehts zum Online Test

Flyer mit Leistungen

Bieten Informationen zu den diversen Angeboten des Bundesamts

Raumplan + Poster MUP.png
1Q5A0400.JPG

Adoptionsvideo

Influencerin Ina berichtet über auf einer Sozialen Plattform über ihre Erfahrungen mit ihrer besten Freundin ein Kind zu adoptieren 

Das Video findet sich in der Cloud

Adoptionsvideo_Foto_JérômeJossin.jpg

Abschlussreflexion als Google Maps Bewertung

Mit QR-Code zum Scannen und Reflexionsfragen zur Anregung.

Raumplan + Poster MUP-11.png

Evaluation

Die Umsetzung unserer Station am 14.02. lief insgesamt sehr gut, denn es gelang uns die Besucher*innen zum Nachdenken über Freund*innenschaft im eigenen Leben sowie in der Gesellschaft anzuregen. Die von uns geführten Gespräche sowie die beobachteten Gespräche und Reaktionen der Teilnehmenden wiesen auf ein reges Interesse an der Thematik hin. Viele Menschen, die unseren Infopoint besuchten berichteten, dass es toll sei, wie viel Raum wir den freund*inneschaftlichen Beziehungen hiermit geben.

Wie viele Menschen insgesamt an unserer Station waren, ist schwer einzuschätzen, da wir als Veranstalter*innen so beschäftigt waren, dass keine Person permanent die Besucher*innen zählen konnte. Die Anzahl der Klebepunkte auf den Plakaten deutet darauf hin, dass ca. 70 Personen unsere Station besucht haben. Wir schätzen, dass im Zeitraum 18:00 bis 20:30 Uhr dauerhaft zwischen 7 und 15 Menschen an unserer Station waren. Am Infopoint sowie an der Freund*innen-ID-Station gab es teilweise sogar eine Schlange von 2-3 Personen, die warten mussten.

Während wir am Infopoint standen, waren wir meist im Gespräch, weil immer Menschen kamen und neugierig wissen wollten, »was man denn hier machen könne«. Meist wurde den Besucher*innen dann das Verfahren zur ID-Erstellung erklärt oder ihre Freund*innen-ID mit dem Bundesamt-Stempel »verifiziert«. Wenn die Personen mit ihrer ausgefüllten ID kamen, wurden gemeinsam die Ergebnisse angeschaut und die Stärken und Schwächen in den Bereichen »Infrastruktur« sowie »Freund*innenprofil« identifiziert und besprochen. Danach wurde kurz die Überraschungsaktion erklärt, die das Ziel hatte, Menschen zusammenzubringen, die sich gegenseitig dabei helfen können, in ihren noch schwachen Kategorien besser zu werden. So konnten sich fremde Menschen gegenseitig kennenlernen und hatten einen Grund sich anzusprechen. Dahinter lag natürlich der Zweck, im Sinne des »Bundesamts für Freund*innenschaft«, neue Freund*innenschaften zu knüpfen und diese generell zu stärken. 

Die Besucher*innen wurden von uns bezüglich Alter und Geschlecht als sehr durchmischt eingeschätzt. Wobei etwas mehr weiblich gelesene Personen am Infopunkt waren und dabei auch aufgefallen ist, dass diese meist bei dem Test in den Kategorien »emotionale Verbundenheit« und »Zweierfreund*innenschaften« überdurchschnittlich gut in ihrem Freund*innenschafts-ID-Test abschnitten. Untersuchungen zeigen, dass für Frauen Intimität und emotionale Nähe in der Freundschaft sehr wichtig sind, während Männer mehr Wert auf gemeinsame Aktivitäten, Spaß und Unterhaltung legen (Valtin & Fatke 1997, S.30) Dies hängt wiederum mit unterschiedlichen Sozialisierung und Rollenbildern in unserer Gesellschaft zusammen. Für eine tiefgreifende Analyse der Bedeutung von Geschlecht für die Ergebnisse des Freund*innen-ID-Tests müssten jedoch noch weitere Quellen herangezogen werden.

Die Mehrheit der Besucher*innen wollte den Test zur Erstellung der ID machen, was im Framing des Bundesamts bedeutet, dass sich die Menschen dazu bereit erklärten ihr eigene Art der Freund*innenschaft vom Bundesamt einordnen und registrieren zu lassen. Wobei natürlich zu beachten ist, dass es sich um ein »Spiel« handelt. Im Nachhinein hätte man noch fragen können, ob die Menschen auch in einem echten Bundesamt für Freund*innenschaft, dazu bereit wären, ihre Freund*innenschaften einordnen und registrieren zu lassen. Um hierauf eine Einschätzung zu bekommen, lohnt sich nochmal der Blick auf die Ergebnisse der »Umfrage« durch das thematisch zugehörige Klebepunkte-Plakat. Hier sieht man eine relativ gleichmäßige Verteilung der Punkte über die Skale von »Ja« bis »Nein«.  Wenn man die Skala in 3 gleich große Abschnitte teilen würde, kann man sagen, dass ca. 18 Punkte bei »Ja«, ca. 28 im mittleren Bereich und ca. 22 bei »Nein« platziert wurden. Es gibt laut diesem Plakat eine leichte Tendenz bei den Besucher*innen, die Registrierung und Einstufung abzulehnen. Am Infopoint gab ein zwei Personen, die sich nach dem Informationsgespräch nicht registrieren lassen wollten. Sie sagten, dass sie es generell schwierig finden, sich irgendwo »registrieren« zu lassen.

IMG_3389.JPG

Es ist schwer zu sagen, wie viele Menschen aktiv an der Station mitgemacht haben, da unsere Station auch Teile hatte, die nur zum Anschauen waren, wie z.B. die Flyer. Auch die Plakatwand konnte nur durchgelesen werden, aber aus unserer Beobachtung hat die Mehrheit der Besucher*innen selbst auch eigene Klebepunkte gesetzt oder etwas auf die Plakate geschrieben.

Während des Aufenthalts an unserer xtopischen Station äußerte eine Teilnehmerin, dass unsere Station sie dazu angeregt hat, darüber nachzudenken, welche Lebensbereiche momentan staatlich kontrolliert und bevorzugt werden. Sie teilte die Erkenntnis, dass sie es schön findet, dass Freund*innenschaft ein Bereich ist, der relativ frei ausgelebt werden kann. Generell wirkten viele Besucher*innen erfreut, manche schienen nachdenklich, es entstanden angeregte Unterhaltungen – besonders dann, wenn Menschen die Station gemeinsam besuchten.

Gleichzeitig gab es Momente der Enttäuschung oder Verwunderung, insbesondere wenn die Ergebnisse des ID-Tests anders ausfielen, als von der jeweiligen Person erwartet. In den Gesprächen am Infopoint hatten die Besucher*innen meist viel Freude und waren erheitert darüber, dass alles wirklich wie bei einem Amt wirkt.

Eine direkte Bezugnahme der Teilnehmer*innen auf die anderen Stationen konnten wir nicht beobachten. Allerdings lobten die Besucher*innen die Veranstaltung insgesamt. Zahlreiche Besucher*innen lobten auch unsere Station und freuten sich darüber, dass dem Thema Freund*innenschaft so viel Raum gegeben wurde. Eine Person war sogar so begeistert, dass sie fragte, ob es sich um eine Dauerausstellung handelt oder ob sie erneut vorbeikommen kann.

Mit Blick auf das Koordinatenfeld, das die Frage aufwirft: »Wie soll Freund*innenschaft in Zukunft gelebt werden?« lässt sich ein klarer Wunsch der Besucher*innen für die Freiwilligkeit von Freund*innenschaften ablesen. Die Mehrheit der Sticker kleben im oberen Bereich (»freiwillig«) und verteilen sich aber über die x-Achse von »privat« bis »öffentlich«. Lediglich fünf Personen klebten ihren Sticker eindeutig nach unten zu »verpflichtend«. Dies ist ein sehr spannendes Bild, weshalb es schön wäre mit den Menschen nochmal intensiver über ihre Beweggründe zu sprechen. Im Gesamten basierend auf dem Koordinatensystem und den von uns geführten Gesprächen bildet sich eine Bereitschaft und Offenheit dafür ab, Freund*innenschaft mehr in die Sichtbarkeit zu tragen und wertzuschätzen – ob durch Angebote des Bundesamts oder kleine persönliche Gesten. Der verpflichtende Aspekt ist eher negativ aufgestoßen und es zeichnet sich ein mehrheitliches Bedürfnis für die Freiwilligkeit von Freund*innenschaften ab.

IMG_3369.JPG

Auch die Klebepunkteverteilung auf den Postern »innerhalb« des Bundesamtes ist eine Betrachtung wert. Während die Frage zum Adoptionsrecht für Freund*innen eine klare Mehrheit auf der einen Seite zeigt (Ja, Freund*innen sollten zur Adoption berechtigt sein) und auch eine relativ klare Mehrheit ein Interesse für Maßnahmen zur Freund*innenschaftspflege zeigt, ist die Verteilung auf den anderen beiden Postern nicht so eindeutig. Besonders uneinig waren sich die Teilnehmenden darüber, ob sie ihre Freund*innenschaften beim Bundesamt registrieren lassen würden.

Neben den Postern, die nach einer reinen Positionierung fragten, gab es auch drei Poster mit offenen Fragen. Hinsichtlich unserer Station sind besonders die Antworten auf die Frage zu den Wünschen an das Bundesamt für Freund*innenschaft interessant. Hier fällt auf, dass viele Personen sich konsumfreie Orte oder Veranstaltungen wünschen, um Freund*innenschaften zu stärken. Das kann entweder Angebote meinen, die bei der Vernetzung und dem Finden neuer Freund*innenschaften helfen oder einfach Aktivitäten bieten, denen man mit seinen Freund*innen nachgehen kann. Ein wichtiger Punkt hierbei war, dass es insbesondere auch mehr Angebote für über 60-Jährige braucht. Außerdem lässt sich an den Antworten der Teilnehmenden ablesen, dass sie sich mehr Wertschätzung von Freund*innenschaften vor dem Staat wünschen – zum Beispiel in Form von Alternativmöglichkeiten zur traditionellen Heirat, Bonuspunkte für die Pflege von Freund*innenschaften oder auch das Ernstnehmen des Leidensdrucks durch beispielsweise Krankengeld, beim Wegfallen von Freund*innenschaften.

Schön zu lesen waren die Antworten, die zu der Frage kamen: »Was bedeutet Freund*innenschaft für dich?« und eine eigene Antwort-Dynamik, die sich ergeben hat, dass Besuchende hinter der jeweilige Aussagen der anderer Besuchenden Striche als Zustimmung markiert habe.

Verbundenheit und Wachstum, Sicherheit, Sehr viel, Inspiration und Halt, Lachen und Abhängen, Vertrauen, Amor, Erweiterte Familie, Ein bisschen nach Hause kommen, Gemütlichkeit, Unterstützung, Liebe und Geborgenheit, Inspirierende Gespräche, Nähe, Gemütlichkeit, Abschalten, Wahlfamilie, Eine Art sicherer Hafen, Ausbruch und Mut, Unkonventioneller Diskurs, Liebe und eine der wichtigsten Anker in meinem Leben, Sex, Authentizität und Ehrlichkeit, Verstanden werden, Rückhalt, Ehrlichkeit, Rückgrat, Spaß, Lockerheit, Support

Reflexion und Potenzial

Nachdem wir unsere Station nun ein erstes Mal live in Interaktion mit Besucher*innen durchgeführt haben, können wir ein paar Aspekte nennen, die wir beim nächsten Mal anders machen würdent:

1. Zunächst ist aufgefallen, dass die Kopfhörer für das auditive Intro kaum genutzt wurden, was vermutlich an der Platzierung und mangelnden Sichtbarkeit lag. Die Kopfhörer auf den Audiostehlen standen sehr nah an der Station zur Selbstliebe und wurden dadurch räumlich nicht unserer Station zugeordnet, dies berichteten zumindest zwei Besucher*innen. Ursprünglich war geplant, dass eine Person aus unserer Gruppe als Mitarbeitende am Eingang die Besucher*innen aktiv einlädt und darauf verweist, das Intro anzuhören. Da der Eingang aber nicht dauerhaft besetzt werden konnte, teils Personen das Audio nicht hören wollten oder alle Kopfhörer gerade belegt waren und nicht gewartet werden wollte, starteten viele der Besucher*innen direkt bei der Plakat-Umfrage. Das war im Nachhinein etwas schade, auch wenn die Station insgesamt gut funktionierte. Zudem liefen einige Besucher*innen durch den Ausgang in die Station hinein. Eine deutliche Kennzeichnung bei der Audiostehlen, beispielsweise durch Bodenmarkierungen oder ein Hinweisschild, hätte dies vermeiden können. Das würden wir beim nächsten Mal noch ergänzen.

2. Es ist uns außerdem aufgefallen, dass unsere Station nicht gerade für Kinder ausgelegt war. Zwar hatte ein kleiner Junge viel Freude am ID-Test, aber insgesamt erforderten den Interaktionen und auch die Sprache des Ministeriums bereits ein gewisses Alter. Eine Überarbeitung, oder auch eine »Kinder-Ecke« könnte eventuell spannend für das nächste Mal sein, um auch diesen Perspektiven Raum zu geben.

3. Für eine zweite Durchführung wäre außerdem sinnvoll, die Besetzung des Infopoints mehr abzusprechen und öfter zu wechseln. Denn die Beratung der Besucher*innen des Bundesamts war anstrengender als gedacht.

4. Da so viel los war, wären auch zwei iPads für den ID-Test oder ein QR-Code zum Scannen und Durchführen am eigenen Endgerät, praktisch gewesen. Während der Veranstaltung haben wir ab und zu den Link per Handy verschickt, um die Wartezeit zu verkürzen. Gleichzeitig konnte man auch auf humorvolle Weise mit der Wartezeit umgehen, indem man erklärte, dass der Wartenummer-Automat leider kaputt sei. So konnte die Atmosphäre des Amts weitergeführt werden.

Trotz kleinerer Herausforderungen und Lehren, können wir sagen, dass das Ziel unserer Station auf jeden Fall erfüllt werden konnte. Zwei Besuchende dachten sogar, dass es das Bundesamt für Freund*innenschaft wirklich gäbe, was für eine authentische Gestaltung des Amts spricht.

Während der Betreuung der Station kamen bei uns auch ein paar Fragen auf: Zum Beispiel war es nicht immer leicht zu entscheiden, wie sehr man in seiner Rolle als Mitarbeiter*in des Bundesamts für Freund*innenschaft bleiben soll oder ob man aus dieser Rolle heraustreten kann. Das Rollenspiel hat einerseits Freude gemacht, andererseits hat es einen zum Teil davon abgehalten mit den Besucher*innen ehrlich über ihre Gedanken zu sprechen. Zudem fragen wir uns inwiefern der »negative« bzw. »dystopische« Aspekt unserer Station tatsächlich bei den Besucher*innen angekommen ist. Da die Frage der Öffentlichkeit bzw. Privatheit von Freund*innenschaft in einigen Gesprächen aber durchaus anklang, ist davon auszugehen, dass dieses Spannungsfeld die Teilnehmenden durchaus beschäftigt hat. Spannend wäre es auch, noch mehr wissenschaftliche Forschung zu inkludieren, insbesondere zu dem Verhältnis von EInsamkeit und Freund*innenschaft. Hier wäre nur die Fragen, wie gut sich faktenbasierte Informationen in ein fiktives Rollenspiel einbauen lassen.

Insgesamt kann man aber festhalten, dass Freund*innenschaft ein Thema zu sein scheint, zu dem es noch nicht viele Angebote zum Reflektieren oder Hinterfragen gibt, denn das Interesse zum Austausch darüber war groß.

Zum Gruppenprozess: Es ist schwierig, wenn man aus sehr unterschiedlichen Fachrichtungen kommt, sich kaum kennt, schnell gut zusammenzuarbeiten. Aufgrund unterschiedlicher Kapazitäten und Verantwortungsgefühl sowie allgemeinem Zeitdruck konnten wir es nicht so gestalten, dass man wirklich voneinander lernt. Sondern letztlich jede*r das macht was er*sie eh schon gut kann. Dennoch sind wir mit dem Ergebnis insgesamt sehr zufrieden!

Individuelle Reflexion

Marie

Ich hatte großen Spaß bei der Entwicklung unserer Station und habe erneut gemerkt, wie gerne ich mit verschiedenen Medien ein Gesamtkonzept im Raum entwickle. Thematisch ist mir auch nochmal bewusst geworden, wie unterschiedlich freundschaftliche Beziehungen im Gegensatz zu romantischen Beziehungen vor dem Gesetz, aber auch generell in unserer Gesellschaft betrachtet werden und ich mich dafür positionieren würde, dass dies mehr hinterfragt werden sollte.

Emma 

Nach dem Projekt muss ich sagen, dass e​s toll wäre, wenn es wirklich ein Bundesamt für Freund*innenschaft gäbe, welches Freund*innenschaften fördert, aber weder kontrolliert noch zwanghaft mehr Druck in freund*innenschaftliche Beziehungen bringt. Es wäre toll, wenn es gesellschaftlich mehr Wertschätzung und Raum dafür gibt, dass z.B. auch mit Freund*innenschaften statt mit romantischen Partner*innen die Zukunft geplant wird. Letztlich wenn es um zwischenmenschliche Beziehungen und auch die Pflege von Freund*innenschaften geht, dann erkenne ich darin stark unsere patriarchalen Strukturen in der Gesellschaft. Ich habe dafür auch einen neuen Begriff gelernt: Amatonormativtät. Dies beschreibt, dass meist davon ausgegangen wird, “dass alle Menschen in einer romantischen Beziehung bzw. einer Ehe sind oder sein wollen und dass romantische Beziehungen wichtiger als z. B. Freund*innenschaften sind” (Queer Lexikon, 2022). Persönlich stellte ich mir schon zuvor die Frage: Wie gelingt es Freund*innenschaften mehr Anerkennung zu geben und sie gleichwertig zu romantischen Beziehungen und Herkunftsfamilie zu betrachten? Diese Frage begleitet mich weiter. Ich denke letztlich braucht es dafür ein andere Gesellschaft, in der es keinen Kapitalismus mehr gibt, Carearbeit gerecht unter allen verteilt wird und die hetero Zweierbeziehung nicht bevorzugt wird. Im jetzigen System können mehr gemeinschaftliche Räume, kostenfreie Aufenthaltsmöglichkeiten für Mitmenschen, Freund*innen und Familie, Paare und auch Menschen ganz allein, ein Anfang sein. Diese Freiräume müssen aber auch gefördert werden. Die aktuellen Kürzungen im Kultur- und Sozialbereich halte ich dahingehend für völlig kontraproduktiv. Ebenso können weitere Maßnahmen zum Erlernen von emphatischen sozialen Skills in Bildungseinrichtungen hilfreich sein, damit mehr Menschen besser ihre Freund*innenschaften pflegen können.

Für meine berufliche Zukunft habe ich gemerkt, dass es mir sehr viel Freude bereitet Veranstaltungen auf die Beine zu stellen, die den Besucher*innen ein gutes Gefühl geben und Raum für Austausch und neue Gedanken über Zukunft und Gegenwart bieten. Ich habe auch Lust mir mehr wissenschaftliche Literatur zu Freund*innenschaften durchzulesen und mehr dazuzulernen.

Tilla

Mir hat die Arbeit an diesem Projekt eine große Freude bereitet. Es war spannend zu sehen, wie wir es geschafft haben, vornehmlich über die Konzeption eines neuen Raumes inhaltlich zu vermitteln oder Denkanstöße anzuregen. Für die Ausarbeitung hätte es meiern Ansicht noch mehr Zeit gebraucht. Wir hatten ein solides Konzept, das von der Raumgestaltung und einzelnen Details gelebt hat, welches durch mehr Zeit noch ausgefeilter hätte sein können. Auch der Kostenpunkt ist etwas, was ein wenig reingegrätscht ist. Durch die wenigen finanziellen Ressourcen + die wenige Zeit für die Umsetzung waren wir in einer Position, in der wir einige Kompromisse eingehen mussten, die das Konzept dadurch in der Ausarbeitung leider ein wenig geschwächt haben. 

Die Auseinandersetzung mit Freund*innenschaften, ihren gegenwärtigen und möglichen zukünftigen Strukturen innerhalb der Gruppe fand ich sehr bereichernd und ich denke wir konnten uns gut anregen, inspirieren und der Ausarbeitung ergänzen. Ich hätte mir gut vorstellen können, das Projekt über zwei Semester zu strecken, um sowohl in der Recherche als auch in der Ausarbeitung noch ein wenig mehr Tiefgang zu bekommen. Insgesamt freue ich mich aber über die Arbeit und das Ergebnis, darüber so freundliche und inspirierende Menschen kennengelernt und einen Raum gehabt zu haben, Gedanken auch in vermeintlich unrealistische Zukünfte wandern zu lassen. 

Jelle

Der Kurs war eine spannende Erfahrung, weil er stark auf Gedankenexperimente basierte. Das hat kreatives Denken gefördert, war aber auch herausfordernd, da es wenig festen Input gab. Manchmal hat mir die praktische Umsetzung bzw das wirkliche „Draufloslegen“ gefehlt. 

Ich habe mich in meiner Stationsgruppe gut aufgefangen gefühlt, besonders weil ich am Anfang meines Studiums noch nicht so viel Erfahrung habe, wie meine anderen Gruppenmitglieder. Trotzdem fand ich gut Anschluss und habe mich sehr wohl gefühlt :).

Zum ersten Mal konnte ich den gesamten Prozess von der Ideenfindung bis zur Eventumsetzung mitverfolgen. Das hat mir gezeigt, wie wichtig jeder einzelne Schritt ist. Die monatelange Auseinandersetzung mit einer gespielten staatlichen Freund*innenschaftsförderung hat mir Freude bereitet und mich zur Reflexion und Diskussionen in meinen persönlichen freund*innenschaftlichen Kreisen angeregt und mir in meiner Entwicklung geholfen. Ich möchte zwischenmenschliche Beziehungen führen, die nicht durch Labels eingestuft sind, sondern durch die Tiefe und Qualität, die wir selbst in sie investieren. Und so könnten sie auch gesellschaftlich anerkannt und gefördert werden. 

Insgesamt war es eine intensive Zeit, die Diskussionen und das Feedback im Kurs haben mir viel gebracht, auch für die Zukunft.

Patrick

Joelle

Quellen und Ressourcen

BMFSFJ. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. 2024. Einsamkeitsbarometer 2024. Langzeitentwicklung von Einsamkeit in Deutschland. https://www.bmfsfj.de/resource/blob/240528/5a00706c4e1d60528b4fed062e9debcc/einsamkeitsbarometer-2024-data.pdf (zuletzt abgerufen am 11.03.2025).

Valtin, Renate; Fatke, Reinhard. 1997. Freundschaft und Liebe. Persönliche Beziehungen im Ost/West- und im Geschlechtervergleich. Donauwörth : Auer 1997, 251 S. - (Innovation und Konzeption). DOI: 10.25656/01:12852 https://www.pedocs.de/volltexte/2017/12852/pdf/Valtin_Fatke_2017_Freundschaft_und_Liebe.pdf (zuletzt abgerufen am 11.03.2025).

Queer Lexikon. 2022. Amatonormativität. In: Glossar. veröffentlicht am 25.03.2022, letzte Aktualisierung: 05.07.2024. https://queer-lexikon.net/2022/03/25/amatonormativitaet/ (zuletzt abgerufen am 11.03.2025).

Quellen, die uns in unserer Idee eines Bundesamts für Freund*innenschaft bestärkt und bei der Ausarbeitung inspiriert haben:

https://www.freundschaftsministerium.de/

https://www.zeit.de/kultur/2024-02/freundschaft-familie-ehe-erwachsen-wg-10nach8

https://goodnews-magazin.de/ministerium-fuer-freundschaft-antonia-drews/

https://www.deutschlandfunk.de/die-schriftstellerin-paula-fuerstenberg-fordert-ein-ministerium-fuer-freundschaft-dlf-e5e765ba-100.html

https://podcasts.apple.com/de/podcast/wenn-ich-mir-was-w%C3%BCnschen-d%C3%BCrfte/id1792926571?i=1000687365073 

https://www.instagram.com/reel/DFe4R0dIz2Z/?igsh=M25jemE2emRrb3Ro 

https://www.instagram.com/reel/DFSnuDwskDo/?igsh=amh5NWwyd2QzanVj